19 Februar 2025

The Piuoneer Business Class Edition - Deutschland digital: Ein Schadensbericht

Business Class Edition

Deutschland digital: Ein Schadensbericht
Guten Morgen,
im Jahr 1999 untersuchte der Psychologe David Dunning zusammen mit seinem Kollegen Justin Kruger, warum unwissende Menschen so selbstsicher auftreten, derweil Experten ständig von Selbstzweifeln geplagt werden.
Ihr Befund war das sogenannte Hochstapler-Syndrom: Wenig Wissen führt zur Selbstüberschätzung. Viel Wissen führt zu Selbstzweifeln. Der Unwissende werde einzig aufgrund seiner Unwissenheit zum Hochstapler.
Auslöser ihrer Untersuchungen an der Cornell Universität war der Bankräuber McArthur Wheeler. Der 44-Jährige hatte gelesen, dass man Zitronensaft als unsichtbare Tinte benutzen könne. Also rieb er sich Zitronensaft ins Gesicht und glaubte beim Banküberfall in Pittsburgh, dass sein Gesicht unsichtbar sei.
Dunning und Kruger untersuchten das Phänomen und wiesen nach, dass Selbstüberschätzung bei Menschen mit geringer Bildung und entsprechend wackeligem Wissen epidemisch ist. Ihre Schlussfolgerung:
Wenn man inkompetent ist, kann man nicht wissen, dass man inkompetent ist, weil man dazu zu inkompetent ist.

Womit wir bei den deutschen Politikern wären. Sobald es um Digitalisierung und Künstliche Intelligenz geht, verwandeln sich deutsche Politiker in die Maulhelden der Nation. Sie spielen mit wohlklingenden Worten wie das Baby mit der Glöckchenrassel.
Die Illusion: Quantencomputer. E-Government. Edge Computing. Blockchain. Big Data. Open Source. Cloud Computing. Artificial Intelligence. Viele Politiker glauben, durch den häufigen Gebrauch dieser Schlagworte würden sie vom Publikum als kompetent wahrgenommen.
Die Wahrheit: Es gibt kein einziges Kabinettsmitglied in der fast zwanzigjährigen Amtszeit der Kanzler Merkel und Scholz, das über eine nennenswerte digitale Kompetenz verfügt. Man hat viel gesprochen und wenig verstanden. Das Hochstapler-Syndrom grassierte an allen Kabinettstischen der vergangenen Jahrzehnte.Medien hören weg: Der Scholz-Satz zur Eröffnung des Digital-Gipfels 2024 („Mein Ziel ist, dass Deutschland bei Zukunftstechnologien ganz vorn mitspielt“) wurde in keiner Zeitung als leere Reformrhetorik entlarvt. So wundert es nicht, dass Deutschland im internationalen Wettbewerb marginalisiert wurde und ausweislich aller Leistungsvergleiche ein Non-Performer ist. Hier die digitale Schadensbilanz, die in diesem Blitzwahlkampf auf die Agenda gehört hätte:

#1 Das langsame Internet

1981 fasste Helmut Schmidts Regierung den Plan, Deutschland flächendeckend mit Glasfaserkabeln zu versorgen. Dann kam Kohl und stoppte das Projekt. Heute ist Deutschland im Ranking der OECD-Länder auf Platz 37, was den Ausbau des Glasfasernetzes angeht. In Südkorea liegt der Glasfaseranteil bei 90 Prozent, in Deutschland bei 11 Prozent. Der OECD-Schnitt beträgt 42 Prozent. Die Folge: Deutschland ist die Schnecke auf der Datenautobahn.

#2 Die Importabhängigkeit

92 Prozent aller in Deutschland betriebenen Computer nutzen US-Software, bei Smartphones sind es 99 Prozent. Besonders drastisch zeigt sich die Abhängigkeit im öffentlichen Sektor: Heute laufen 96 Prozent aller Behördenrechner mit Microsoft Office und Windows. Die Kosten steigen rasant – zahlte der Bund 2017 noch 74 Millionen Euro an Lizenzgebühren an Microsoft, waren es 2023 fast 200 Millionen Euro.

Auch die deutsche Wirtschaft spürt nichts von der in Politikerreden versprochenen „digitalen Souveränität“. Laut einer Studie des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) fühlen sich rund 80 Prozent der Unternehmen in der Informationswirtschaft sowie im verarbeitenden Gewerbe bei zentralen digitalen Technologien von US-Anbietern abhängig. Dieses Gefühl entspricht den Fakten.

#3 Dominanz der amerikanischen Cloud-Dienste

Europa ist in Sachen Digitalisierung eine US-Kolonie: Ob private Fotos, Kundendaten aus Online-Shops oder sensible Industriedaten – in nahezu allen Bereichen ist Europa auf Cloud-Dienste aus den USA angewiesen. Technologiekonzerne wie Amazon, Microsoft und Google kontrollieren laut Schätzungen von Synergy Research rund 72 Prozent des europäischen Marktes.

Diese Abhängigkeit birgt nicht nur wirtschaftliche Risiken, sondern auch datenschutzrechtliche Herausforderungen, denn US-Unternehmen unterliegen den Bestimmungen des US-Rechts. Das bedeutet, dass Geheimdienste wie NSA oder CIA weltweit auf Daten zugreifen können, selbst wenn sie in Europa gespeichert sind.

#4 Fehlende eigene Forschung und Entwicklung

Die Investitionen in Forschung und Entwicklung, also die Suche nach neuen Anwendungen (zum Beispiel KI-Sprachmodelle), befinden sich zwar auf einem Höchststand, können aber im internationalen Vergleich nicht mithalten. 2023 haben Staat und Wirtschaft gemeinsam 130 Milliarden Euro investiert, was 2,12 Prozent des BIP entspricht. Allein im Bundesstaat Kalifornien wurden über 170 Milliarden Euro investiert, was 4,4 Prozent des dortigen BIPs ausmacht. Das sind ein Drittel mehr Investitionen trotz halbierter Bevölkerungszahl. Das Ergebnis: Alle wichtigen KI-Sprachmodelle der westlichen Welt stammen aus den USA.

#5 Deutschland fehlt die unternehmerische Tech-Power

Das größte deutsche Tech-Unternehmen ist SAP mit einer Marktkapitalisierung von 340 Milliarden Euro. Was hierzulande als wertvollstes Unternehmen und damit als Riese gilt, ist im Vergleich zu Apple ein Zwerg. SAP besitzt nur knapp ein Zehntel des Apple-Wertes. Derweil die USA über eine Armee von Digital-Konzernen verfügen, ist SAP ein Solist geblieben.

Die Börse reflektiert die digitale Schwäche der deutschen Volkswirtschaft: Das wertvollste US-Techunternehmen, Apple, hat einen Markenwert von umgerechnet 3,5 Billionen Euro, US-Chiphersteller Nvidia von 3,3 Billionen und Microsoft von knapp 2,9 Billionen. Das ist zusammen fünfmal so viel wie der gesamte Marktwert der Dax-40-Unternehmen.

#6 Fehlende Start-up-Kultur

Das Neue hat hierzulande kaum eine Chance, auch weil die großen Wagnisfinanzierer einen Bogen um die Stillstandsrepublik Deutschland machen. In den vergangenen zehn Jahren betrugen die jährlichen Wagniskapital-Investitionen in der EU durchschnittlich nur 0,2 Prozent des BIP – weniger als ein Drittel der 0,7 Prozent, die in den USA erreicht wurden.

Zwischen 2013 und 2023 sammelten europäische VC-Fonds rund 130 Milliarden US-Dollar ein, während US-Fonds im gleichen Zeitraum auf beeindruckende 924 Milliarden US-Dollar kamen. Nicht mitgerechnet sind die Start-ups innerhalb der Digital-Konzerne.

Die Größenverhältnisse erzählen die Geschichte einer Unterlegenheit: Das Heidelberger KI-Start-up Aleph Alpha hat 70 Mitarbeiter. Bei OpenAI in den USA arbeiten rund 700 Personen. Bei Microsoft über 220.000.

Fazit: In keinem TV-Duell hat man Scholz, Habeck, Weidel, Lindner oder Merz zu diesen unbequemen Wahrheiten je befragt. So kommen die Politiker mit ihrem hastig angelesenen Halbwissen davon. Getreu der Erkenntnis von Kurt Tucholsky:

Auf nichts ist der Mensch so stolz, wie auf das, was er seit zwei Minuten weiß.

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