Die SPD und ihr Kanzler fühlen sich als Siegerin, weil es ihnen gelang, landesweit den Furor gegen die AfD zu entfachen. Aber diese Siegerin ist in Wahrheit eine Verliererin, wie sie spätestens am Wahlabend spüren wird. Die SPD hat nicht den Rechtspopulismus bekämpft, sondern nur die eigene Müdigkeit.
Als Reichskanzler Otto von Bismarck 1878 mit den
Sozialistengesetzen die aufstrebende junge Arbeiterpartei in die
Schranken weisen wollte, schlug dieses Ansinnen in das Gegenteil um. Mit
dem Verbot der sozialdemokratischen Zeitungen und der Beteiligung von
Sozialdemokraten an öffentlichen Versammlungen glaubte der
Reichskanzler, die Partei bei lebendigem Leibe begraben zu haben. Sie
sollte nicht mehr hörbar sein.
Das Gegenteil geschah. Bismarck hatte der SPD mit den Sozialistengesetzen ein Alleinstellungsmerkmal verschafft, das zu erhöhter Aufmerksamkeit und dann zu millionenfacher Solidarisierung führte.
Die alte Spruchweisheit „Viel Feind, viel Ehr“ bewies ihre Gültigkeit. Die SPD, die zum Zeitpunkt der Verabschiedung der Sozialistengesetze bei 7,6 Prozent der Stimmen lag, erzielte bei den Reichstagswahlen von 1890 stolze 19,8 Prozent. Die Stigmatisierung hatte sie groß gemacht.
Zweitens: Wenn der Kampf gegen Rechts zur rhetorischen Figur wird
Die SPD hat denselben tragischen Fehler schon einmal begangen. Sie polemisierte gegen Hitler und die NSDAP. Aber sie ging nicht daran, die Ursache für den Aufstieg der NSDAP zu adressieren. Man machte Hitler verächtlich, so wie Kurt Tucholsky:
Dabei hätte der Kampf gegen Rechts in der energischen Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit bestehen müssen. So wie man heute zuerst die AfD bekämpft (und nicht die toxische Gleichzeitigkeit von unsicherer Wirtschaftslage bei massenhafter illegaler Zuwanderung), hat man damals zuerst die NSDAP bekämpft, aber nicht die Gründe, die sie groß und größer machten."Den Mann gibt es gar nicht, er ist nur der Lärm, den er verursacht"
Für viele Arbeiter war im Oktober des Jahres 1929 das Ende der Geduld erreicht, als in New York die Aktienkurse zu bröckeln begannen und bald darauf die Weltwirtschaft kollabierte. Die von der SPD geführte Koalition besaß in dieser schwierigen ökonomischen Situation eine satte Mehrheit, verfügte über nahezu 300 von 450 Sitzen.
Mit dieser Mehrheit hätte sich regieren lassen, ohne Nazis, ohne Hitler, ohne Geschrei und ohne Neuwahlen, einfach nur regieren, wie es in einer solchen Notlage geboten schien. Aber was tat die Regierung von SPD-Kanzler Hermann Müller?
Sie nahm die Verantwortung nicht wahr. Sie schmiss sie weg.
Man erzielte im Kabinett keine Einigkeit über die läppische Frage, ob die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung um einen Viertelpunkt angehoben werden sollten oder nicht. Der Streit, der erst zum Bruch der Regierungskoalition und dann zu Neuwahlen führte, war das größte Nazi-Förderprogramm aller Zeiten.
Jeder konnte sehen, dass die Demokraten sich um die falschen Fragen stritten. Die Sitzzahl der NSDAP im Reichstag verzehnfachte sich bei der nun folgenden Reichstagswahl fast, aus vorher zwölf wurden 107 Mandate.
Selbst in dieser Schicksalswahl vom 14. September des Jahres 1930 blieb die SPD stärkste Partei. Was heute als Radikalisierung der Massen bezeichnet wird, war in Wahrheit eine Massenernüchterung. Die Frankfurter Zeitung sprach damals von „Erbitterungswahlen“.
In ihrer damaligen Wahlanalyse hieß es:
Die meisten Wähler, denen die extremen Parteien ihren Mandatzuwachs verdanken, sind gar nicht radikal, nur ohne Glauben an das Alte.
Die Wirtschaft krümmte sich, als habe man ihr einen Schlag in die Magengrube verpasst. Die Arbeitslosigkeit stieg dramatisch – von 1,5 Millionen in 1928 auf drei Millionen Ende 1930, später dann auf sechs Millionen im Februar 1932. Die Politik der demokratischen Mitte – zunächst stellte die SPD den Kanzler, dann das Zentrum, die Vorläuferpartei der CDU – glich einer unterlassenen Hilfeleistung.
Das Ergebnis war überall auf den Straßen Deutschlands zu besichtigen: Es gab mehr Not, mehr Hungernde, mehr Arbeitslose als je zuvor. Und mehr Nazis gab es auch.
Aus dem Massenelend wurde ein Massenmisstrauen gegen die demokratischen Parteien, bis schließlich überall in Deutschland ein Plakat an den Bäumen hing:
Unsere letzte Hoffnung: Hitler
Weimar sei eine „Republik ohne Republikaner“ gewesen, heißt es heute allenthalben. Dabei dominierten die Parteien einer bundesdeutschen Großen Koalition, wie sie auch nach der Bundestagswahl wahrscheinlich ist. Kein Radikaler hatte in den ersten zwölf von 14 Weimarer Jahren das Kanzleramt je betreten.
Fazit: Vergleichen heißt nicht gleichsetzen. Aber die SPD ist drauf und dran, den alten Fehler zu wiederholen. Sie stellt den Kanzler. Sie kümmert sich nicht um zentrale Anliegen der Deutschen. Stattdessen macht sie die AfD zum Referenzpunkt ihrer politischen Betrachtung. Die knappste Ressource der Gegenwart ist die Nachdenklichkeit
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