07 Februar 2025

Es hätte im Wahlkampf viele wichtige Themen gegeben – aber die Parteien entschieden sich für ein fünf Akte Migrations-Theater (Focus-Briefing)

Es hätte im Wahlkampf viele wichtige Themen gegeben – aber die Parteien entschieden sich für ein fünf Akte Migrations-Theater (Focus-Briefing)
Von Thomas Tuma, 07.02.2025
Liebe Leserin, Lieber Leser,
haben Sie noch den Überblick, was schärfere Regeln für Migration in Deutschland angeht? Nach rund zwei Wochen Diskurs-Feuerwerk scheint mir nur noch klar: Wir können in Deutschland jedes Thema in Grund und Boden quatschen, ohne dass auch nur ein klitzekleinster gemeinsamer Nenner gefunden wird oder sich was ändert.
Deutschland 2025? Leider eher unregierbar. Und so sah das aus, dieses traurige Schauspiel zwischen Symbolpolitik, Aktionismus, Ego-Shows, Ziel- und Orientierungslosigkeit:
Prolog: Aschaffenburg, Park, Wintersonne. Ein bereits abgelehnter Asylbewerber aus Afghanistan ersticht zwei Menschen mit einem Küchenmesser. Hätte aber auch Solingen sein können, Mannheim, Magdeburg oder irgendeine andere Stadt, die so eine Tat bereits hinter oder noch vor sich hat.

Akt 1: Friedrich Merz antwortet mit einem „Zustrombegrenzungsgesetz“, dessen fünf Punkte man aber bei SPD und Grünen für schlimmer hält als die vorangegangene Tat. Großes Drama im Bundestag. Lügen-Vorwürfe, Beleidigungen, Empörung. Chaos. Weil nur die AfD für das Merz-Gesetz die Mehrheit beschaffen will, wallen Zehntausende durch deutsche Innenstädte. Die Demos richten sich nicht gegen die Blutbäder, sondern „gegen rechts“. An meinem tieferen Verständnis dieser Logik arbeite ich noch. Mei, ist halt Theater, gell?

Akt 2: Der von der FDP vorgetragene Alternativ-„Migrationspakt der Mitte“ ist tot, bevor er die anderen Parteien erreicht. Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck antwortet auf offener Bühne mit einem eigenen „Zehn-Punkte-Plan“. Der wiederum sieht zwar keine Zurückweisungen an den Grenzen vor, überrascht aber mit dem neuen Begriff einer „Vollstreckungsoffensive“, was weniger nach Habeck als nach Henker klingt, aber auch nur so tut.

Akt 3: Die Grüne Jugend wirft ihrem eigenen Kanzlerkandidaten daraufhin mal „Hass und Hetze“ vor, mal die „größte Hetzjagd“ gegen Migranten seit 1945, womit auch Habeck nun unter Nazi-Verdacht steht. Das immerhin geht längst ganz schnell im Land.

Akt 4: In einem weiteren Zehn-Punkte-Plan der jungen Grünen (sie hätten vielleicht auf 15 aufstocken sollen?) taucht als Lösungsidee u.a. die „gerechte Besteuerung von Milliardenvermögen“ auf. Klar, eine Vermögensteuer wird alle Migrationsprobleme lösen. Islamistische Einzeltäter werden ad hoc geläutert der Gewalt abschwören, Messer und Macheten bei ihren örtlichen Polizeidienststellen abgeben und sich zu Pflegekräften oder KI-Entwicklern umschulen lassen. Dass da vorher niemand drauf kam.
Einmal schlurcht langsam Olaf Scholz über die Bühne und tut das, was er schon seit vier Jahren variantenreich tut: Er schweigt. Dafür ruft ein Angela-Merkel-Double mehrfach Merz zur Ordnung.

Akt 5: Das gesamte Ensemble steht nun kathartisch verschwitzt vorn am Bühnenrand. Alle im Streit mit allen. Und jetzt stellen Sie sich bitte kurz vor, wie verheerend dieses Zwei-Wochen-Drama beim Publikum, den Wahlbürgen, ankam! Und diese Parteien sollen nach dem 23. Februar irgendwie gemeinsam die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt regieren?

Epilog: „Wir stehen selbst enttäuscht und seh´n betroffen den Vorhang zu und alle Fragen offen.“ Wusste schon Bertolt Brecht. Hinten in den Kulissen lacht ein letztes Mal durchdringend eine Eisprinzessin, die Alice Weidel ähnelt.
Wie haben Sie das Migrations-Drama der vergangenen Tage erlebt? Schreiben Sie mir: feedback@focus-magazin.de

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