19 Februar 2025

Joachim Steinhöfel „Das ist eine Machtdemonstration des Staates“ (WELT+)

Joachim Steinhöfel
„Das ist eine Machtdemonstration des Staates“
Von Alexander Siemon, Fanny Fee Werther 19.02.2025, Lesedauer: 4 Minuten
Drei deutsche Staatsanwälte in der CBS-Reportage „60 Minutes“ sind zum Gesicht der Debatte über erodierende Meinungsfreiheit in Deutschland geworden. Anwalt Joachim Steinhöfel erklärt, warum der Staat in dieser Sache seine Macht missbraucht.
Die CBS-Reportage „60 Minutes“, bei der drei deutsche Staatsanwälte über die Ermittlungen zur Hassrede im Internet sprechen, schlägt weiter hohe Wellen. Nicht nur, dass US-Vizepräsident J.D. Vance zuvor in seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz Deutschland Defizite bei der Meinungsfreiheit attestierte. Er kommentierte inzwischen auch die CBS-Reportage und betonte, dass dieser „Wahnsinn“ aufhören müsse. Wir sprachen darüber mit dem renommierten Hamburger Rechtsanwalt Joachim Steinhöfel.
WELT: Herr Steinhöfel, US-Vizepräsident J.D. Vance hält Deutschland für einen Überwachungsstaat, weil Beleidigungen hierzulande unter Strafe stehen. Hat der Mann eventuell recht? In den USA ist das Recht auf freie Meinungsäußerung ja deutlich weiter gefasst.
Joachim Steinhöfel: Die Rede von Vance in München war in einer Weise historisch, wie wir es wahrscheinlich heute noch gar nicht erkennen können. Man muss sich vor allen Dingen einmal vor Augen führen, was geschehen sein muss, dass ein amerikanischer Spitzenpolitiker bei einem Spitzentreffen solch einen Schwerpunkt setzt. Denn Amerika interessiert sich normalerweise nicht für deutsche Innenpolitik.
Dann bedeutet das, dass man in Amerika auf etwas aufmerksam geworden ist, was man sehr, sehr ernst nimmt und als problematisch erachtet. Und er hat in allem, was er gesagt hat recht. Niemand hat sich bislang näher damit befasst, welche Beispiele er genannt hat, auf welche Zustände er hingewiesen hat, sondern man hat sich nur indigniert gegeben: „Das tut man nicht. Unter Freunden tut man das nicht.“ Gerade unter Freunden tut man es, wenn man glaubt, dass etwas im Argen liegt wie es in Deutschland in Sachen Meinungsfreiheit ganz massiv der Fall ist.
WELT: Welchen Spielraum haben denn Staatsanwälte, um einen Fall vor Gericht zu bringen? Wir schauen noch mal auf diesen „Schwachkopf“-Post im Fall Robert Habeck. Musste die Staatsanwaltschaft in diesem Fall so heftig einschreiten – mit einer Hausdurchsuchung um 6 Uhr morgens oder hätte man den Fall auch einfach schmunzelnd ad acta legen können?

Steinhöfel: Es gibt auch noch die dritte Möglichkeit, dass man einfach ermittelt und dann zu einem Ergebnis kommt. Man muss da keine Hausdurchsuchung machen, und schon gar nicht wegen solcher absoluten Lappalien. Wenn es um schwerste Volksverhetzung geht wie „Vergast alle Juden“ oder um schlimmste Persönlichkeitsrechtsverletzungen, kann man drüber nachdenken. Aber hier war das ein leicht zuzuordnender Twitter-Account. Da muss man gar keine Hausdurchsuchung machen.
Das ist eine Machtdemonstration des Staates, und das macht man auch mit einer gewissen Genugtuung und Freude an der verliehenen Macht. Sie haben ja eben auf diese US-Dokumentation „60 Minutes“ hingewiesen, wo drei Staatsanwälte aus Niedersachsen interviewt werden, wie sie sich freuen und kichern, dass den Leuten ihr Handy weggenommen wird. Und das in hämischer und niederträchtiger Weise.

Was sind das für Menschen? Die sollen die Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrechte verteidigen und auch zugunsten des Beschuldigten ermitteln. Und die sitzen da und reiben sich die Hände, wenn sie einen Menschen morgens um sechs Uhr schockieren, verängstigen und einschüchtern können. Ist das das Gesicht eines freiheitlichen Staates?

WELT: Ist der Paragraf 188 StGB möglicherweise zu streng gefasst? Darin geht es um üble Nachrede, Beleidigung und Verleumdung von Personen des politischen Lebens. Dafür gibt es eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren. Wolfgang Kubicki von der FDP meint, der Paragraf sei überflüssig, weil Politiker üble Nachrede auch aushalten müssten. Was sagen Sie denn?
Steinhöfel: Selbstverständlich hat Herr Kubicki, wie in fast allen Fragen, wenn es um Meinungsfreiheit geht, recht. Es gibt diese Aufschrift auf der Scheune in „Farm der Tiere“ von George Orwell: „Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher.“ Orwells Dystopie ist Realität geworden in Deutschland, in dem für dieselbe Aussage gegenüber einem Politiker der Täter – in Anführungsstrichen – härter bestraft wird, als wenn er einen anderen Mitbürger beleidigt. Das ist eine absolut skandalöse Regelung, in der Politiker als Individuen – unter Verstoß gegen Artikel 3 und damit gegen den Gleichheitsgrundsatz, wie ich finde – anders behandelt und über den Rest der Bürger erhoben werden, als seien sie etwas Besseres. Das sind sie nicht. Das ist Orwell in Reinkultur. Und dieser Paragraf gehört unverzüglich abgeschafft.

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