18 Februar 2025

Gewissensfreiheit der Abgeordneten - Für einen Bundestag ohne Koalition (Cicero)

Der Bundestag handelt permanent verfassungswidrig - Art.38 Abs.1 GG über den Status der Abgeordneten:
Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen. Vom Fraktioszwang steht dort nichts!
Gewissensfreiheit der Abgeordneten
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Für einen Bundestag ohne Koalition (Cicero)
Das Grundgesetz weiß nichts von Koalitionen in Parlamenten zum Zwecke der Bildung stabiler Regierungen. Mit wechselnden Mehrheiten ließen sich sogar bessere, klarere Gesetze verabschieden als unter dem Zwang des Koalitions- und Fraktionskompromisses.
VON JÖRG PHIL FRIEDRICH, am 18. Februar 2025, 5 min
Ganz egal, wie die Bundestagswahl genau ausgehen wird, schon jetzt ist klar, dass die Koalitionsverhandlungen schwierig sein werden. Im Parlament werden fünf bis sieben Parteien vertreten sein, davon wird eine etwa 20 Prozent der Sitze haben, mit der aber niemand koalieren will. Es ist wahrscheinlich, dass es unter den anderen kein Paar gibt, das sich inhaltlich auf allen wichtigen Politikfeldern nahe ist und das zugleich gemeinsam mehr als 50 Prozent der Sitze haben wird.
Die vergangenen Wahlen auf Bundes- und Landesebene haben bereits gezeigt, dass diese Situation normal wird, und auch in anderen Ländern mit parlamentarischem System und Verhältniswahlrecht entwickeln sich die Dinge in diese Richtung. Es wird Zeit, das Konstrukt der Koalition grundsätzlich in Frage zu stellen.
Man hält die Bildung einer Koalition, den Abschluss einer Koalitionsvereinbarung und die Koalitionsdisziplin für die Dauer einer Wahlperiode für notwendig, damit das parlamentarische System funktioniert und stabile Regierungen gebildet werden können. So kann man es auf der Seite des Bundestages und sogar bei der Bundeszentrale für politische Bildung nachlesen. Allerdings weiß das Grundgesetz nichts von Koalitionen in Parlamenten zum Zwecke der Bildung stabiler Regierungen und für das Funktionieren des parlamentarischen Systems. Im Gegenteil, bekanntlich sind die Parlamentarier nur ihrem Gewissen verpflichtet und von Zwängen einer Fraktions- oder gar Koalitionsdisziplin frei.
Abstimmungen im Bundestag sind in den meisten Fällen reine Formalität
Man meint, dass ein Parlament ohne Koalitionsdisziplin, die in einer Koalitionsvereinbarung festgeschrieben ist, keine Beschlüsse zustande bringen würde. Tatsächlich – und das verstößt genau genommen gegen das Grundgesetz – verpflichten die Koalitionsvereinbarungen die Fraktionen der Regierungskoalition und damit jeden einzelnen Abgeordneten auf gemeinsames Abstimmungsverhalten. Im Ergebnis führt das dazu, dass ein paar Leute innerhalb des engsten Zirkels rund um Kanzler und Fraktionsführungen über das entscheiden, was eigentlich im Parlament auszuhandeln ist, und dass die Abstimmungen im Bundestag in den meisten Fällen reine Formalität sind.
Dass zwischen Politikern und Bürgern eine tiefe Entfremdung fortschreitet, dürfte seinen Grund darin haben, dass die Bürger überhaupt nicht mehr wahrnehmen können, dass die Abgeordneten ihre Vertreter im Prozess der Entscheidungsfindung sind, sondern dass es eher umgekehrt ist: Abgeordnete vertreten das, was Kanzler, Vizekanzler und Fraktionsführungen ausgehandelt haben, gegenüber den Bürgern.
Die Kritik an den Geschehnissen im Bundestag, der in den letzten Wochen ohne das Korsett der Koalition plötzlich lebendig geworden ist, zeigt deutlich, wie sehr der Formalismus des Durchregierens auch in der öffentlichen Wahrnehmung schon selbstverständlich geworden ist. Schaut man aber genauer hin, haben die letzten Sitzungen des Parlaments gezeigt, dass es eben auch ohne Koalitionszwang geht: Es wurde debattiert und abgestimmt, manches wurde auch beschlossen, einiges abgelehnt. Man hatte plötzlich das Gefühl, dass da tatsächlich Volksvertreter sitzen, die zwar durchaus um Kompromisse ringen, darüber aber ihre je eigenen Prinzipien und ihr persönliches Gewissen, ihre Verpflichtung gegenüber den Wählern, die sie in ihren Wahlkreisen treffen und über deren Ansichten sie in den Parteigremien an der Basis erfahren, nicht vergessen.

Es müssen nicht alle Abgeordneten einer Fraktion gleichartig abstimmen

Aber ließe sich denn ohne Koalition überhaupt eine Regierung bilden, ließe sich ein Kanzler wählen? Warum nicht? Warum sollten Merz, Scholz oder wer auch immer Kanzler werden will, nicht versuchen, Leute aus den anderen Parteien für Ministerämter und Staatssekretärs-Positionen zu gewinnen, ohne dass daraus eine Koalitionsverpflichtung entstünde? Warum nicht den Grünen das Umwelt-Ressort anbieten, wenn man das Gefühl hat, auf diesem Gebiet gemeinsam etwas voranbringen zu können, der SPD das Verteidigungsministerium, der FDP das Wirtschaftsministerium usw.? Und warum sollte ein solcher Prozess der Regierungsbildung nicht dazu führen, dass sich die Abgeordneten auf eine Person als Kanzler einigen können?

Es ist nicht einmal unwahrscheinlich, dass sich mit wechselnden Mehrheiten bessere, klarere Gesetze verabschieden ließen als unter dem Zwang des Koalitions- und Fraktionskompromisses. Und natürlich würden dann nicht alle Abgeordneten einer Fraktion gleichartig abstimmen. Das bedeutet nicht, dass die Abgeordneten der gleichen Partei nicht innerhalb ihrer Fraktion kooperieren und sich die Arbeit teilen würden, um sodann der Empfehlung des Experten zu folgen, dem man vertraut. Auch das ist eine Entscheidung des guten Gewissens. Ebenso, wenn sich jemand entscheidet, gegen einen Vorschlag zu stimmen, weil Abgeordnete einer bestimmten anderen Fraktion ebenfalls zustimmen. Aber dazu braucht es keine „Brandmauer“ – das kann man getrost der grundgesetzlich verbürgten Gewissenspflicht der Abgeordneten überlassen.
Und nein: Das schafft keine „Weimarer Verhältnisse“ und erst recht ist es nicht die Vorstufe zum Faschismus. Im Parlament sitzen mehrheitlich demokratisch erzogene und überzeugte Bundesbürger, die wissen, welche Verantwortung sie tragen. Und letztlich hat auch nicht ein Zuviel an Demokratie im Reichstag die Machtergreifung der Nationalsozialisten möglich gemacht, sondern die Aushöhlung demokratischer Prinzipien. Das sollte uns Heutigen eher Sorgen machen, und nicht zu viel Lebendigkeit im Parlament.

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