Business Class Edition Ära Scholz: Die Zeitverschwendung Gabor Steingart, Donnerstag, 20.02.2025Guten Morgen,
als sich das Ende der sozialliberalen Koalition in Bonn abzeichnete, griff Bundeskanzler Helmut Schmidt zum
Telefonhörer und ließ sich nach Ost-Berlin zum Leiter der Ständigen
Vertretung der BRD in der DDR – wie es damals hieß – durchstellen.
Klaus Bölling war gelernter Journalist und hatte zuvor
in Bonn als Regierungssprecher von Schmidt gedient. Der politisch unter
Druck geratene Kanzler richtete an seinen Getreuen nur diese eine Bitte: "Klaus, Sie müssen zurückkommen nach Bonn, um meinen Abschied zu illuminieren".
Olaf Scholz ist kein zweiter Helmut Schmidt und einen
Kommunikator vom Schlage eines Klaus Bölling hat er nie an seiner Seite
gehabt. So zieht er alleine durch die Fernsehstudios, um in
verschiedenen Akten das von ihm selbst geschriebene Stück „Abschied in
Würde“ darzubieten. Gestern Abend zu Gast bei BILD und WELT-TV war es wieder so weit.
Wenn man die Gründe für den vorzeitigen Abschied des
Kanzlers Olaf Scholz verstehen möchte, kann man die Jahre einer
glücklosen Regierungszeit in Augenschein nehmen. Aber im Grunde braucht
man nur diese 60-minütige Fernsehsendung. Hier wurden die tieferen
Ursachen seines Scheiterns illuminiert:
#1 Inszenierte Entschlossenheit Scholz täuscht eine Führungsstärke vor – „Ich werde nicht zulassen…“, „Das ist nicht akzeptabel“ –, die er drei Jahre lang vermissen ließ. Zu den harten Sanktionen beim Bürgergeld, die Scholz gestern Abend als „dringend geboten“ bezeichnete, hat er sich drei Jahre lang nicht aufraffen können. Beim Thema Asylpolitik und Abschiebung dasselbe Spiel.
„Wir müssen mit den Rückführungen, mit den Abschiebungen weiter
vorankommen“, sagte er. Und jeder weiß, da wurde ein Scholz ins
Schaufenster gestellt, den es im Laden nie zu kaufen gab.#2 Fortgesetzte Realitätsverweigerung Der Kanzler setzte auch gestern Abend wieder den unbequemen Tatsachen über die Zustände im Lande ein positives Deutschland-Narrativ entgegen.Eigentlich läufts, wenn da nur nicht die Schuldenbremse
wäre. In der Migrationspolitik hat er gesetzgeberisch alles auf den Weg
gebracht. Wenn nur der Vollzug ihn nicht immer ausbremsen würde. Außerdem sind die Bürger selber schuld, wenn sich die gute Lage nicht in gute Stimmung übersetzt:"Wir müssen dafür kämpfen, dass die Bürgerinnen und Bürger Zuversicht gewinnen".
Und wenn’s dann immer noch nicht reicht, muss der Staat ran: Schuldenbremse lockern, Subventionen erhöhen, die bei ihm jetzt „Made-in-Germany-Bonus“ heißen.
So geht das seit drei Jahren schon. Doch Scholz konnte – anders
als von seinem Kanzleramtsminister und seinem Regierungssprecher
gehofft – sein kontrafaktisches Narrativ im öffentlichen Diskurs nicht
durchsetzen. Zur Halbzeit der Legislatur hatte die SPD laut Forsa
bereits 44 Prozent ihrer Wähler von 2021 verloren. Scholz hat sie auch
gestern nicht zurückgewinnen können.
#3 Fehlende Priorisierung
„Da muss man ganz klar sein“, sagte er gestern. Da ging es um
die Steuerpolitik. Er wolle „alle Hebel in Bewegung setzen“. Damit
meinte er die Terrorbekämpfung. „Das geht nicht“, so Scholz zum Leben
auf Kosten des Staates.
Doch diese Inszenierung von Leadership verfängt nicht mehr bei einem, der drei Jahre nicht geführt hat.
Die harte Abschiebepolitik ist über die Schlagzeile nach dem Spiegel -Interview nie hinausgekommen.
Eine Wirtschaftskrise, die er bis zuletzt leugnete, konnte er deshalb auch nicht bekämpfen.
Die Prioritäten der Wähler – Wohlstandssicherung, Preisstabilität und innere Sicherheit – waren nie die seinen.
Stattdessen beschäftigte sich
die von ihm geführte Regierung mit der Cannabis-Freigabe, dem
erleichterten Zugang zur Staatsbürgerschaft, der freien Geschlechtswahl
und der Abschaltung der letzten drei Kernkraftwerke. Es geht hier nicht
darum, dass diese Gesetze auf eine breite Ablehnung stießen. Das taten
sie größtenteils nicht.
Sie stießen nur auf Unverständnis angesichts der realen Problemlagen.
Sie zeigten die Defokussierung des Kanzlers. Oder bildlich gesprochen:
Wenn über dem Atlantik beim Flugzeug das Triebwerk qualmt, wird der
Verkauf zollfreier Ware eingestellt. Das ist kein Statement gegen
Zigaretten und Parfüms, wohl aber das Zeichen einer Prioritätensetzung
durch den Piloten.
Auf diese Prioritätensetzung wartete man drei Jahre
lang vergeblich. Die SPD-Wähler mussten zuweilen das Gefühl haben, im
Cockpit der Deutschland AG säße gar kein Pilot am Steuer. Europas größte
Industrienation fliegt im ökonomischen Sinkflug.
#4 No Future
Der visionäre Gehalt des Olaf Scholz war schon immer gering.
Auch gestern Abend wartete man vergeblich auf eine Idee von Zukunft,
die Lust auf mehr Zukunft oder zumindest auf mehr Scholz machte.
Der Gipfel der Einfältigkeit erfolgte bei der Frage, wie er denn diese Wahl noch gewinnen wolle. Seine Antwort:
Die Bürgerinnen und Bürger müssen nur ihr Kreuz bei der SPD machen.
Fazit:
Olaf Scholz kann noch 100 solcher TV-Duelle durchführen. Er wird als
glückloser Kanzler in die Geschichte eingehen, der weit hinter Adenauer, Erhard, Brandt, Schmidt, Kohl, Schröder und Merkel rangiert.
Wir müssen ihn deshalb nicht verteufeln. Seine Amtszeit war keine
Katastrophe. Aber eine Zeitverschwendung, das war sie schon.
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