Die Wahl eines Oberbürgermeisters ist
demokratische Routine. In Ludwigshafen ist das dieses Jahr anders. Ein
Bewerber für das Amt ist von der Wahl ausgeschlossen worden. Aus
politischen Gründen. Diese Praxis kennt man nur aus autoritären Staaten.
In Deutschland ist das verfassungswidrig.
VON VOLKER BOEHME-NESSLER am 19. August 2025 7 min
Ende September wählt Ludwigshafen einen neuen Oberbürgermeister. Ein
Wahlausschuss soll diese Wahl organisieren. In ihm sitzen Vertreter fast
aller Parteien, die im Stadtrat von Ludwigshafen vertreten sind. Ein
Politiker der AfD findet sich im Ausschuss allerdings nicht. Vor einigen
Wochen hat dieser Wahlausschuss den AfD-Politiker Joachim Paul von der
Wahl ausgeschlossen. Im Klartext: Er darf nicht antreten und sich dem
Votum der Wähler stellen. Inzwischen werden die Wahlzettel gedruckt.
Joachim Paul steht nicht darauf.
Dass Bewerber von einer Wahl
ausgeschlossen werden, kommt im Einzelfall vor. Dabei geht es aber um
Formalien. Sie müssen ein Mindestalter haben, Staatsbürger eines
EU-Staates sein und einen Hauptwohnsitz dort haben, wo sie gewählt
werden wollen. Hier ist es aber anders: Der Lehrer und
Landtagsabgeordnete wird aus politischen Gründen ausgeschlossen. Die
Mitglieder des Wahlausschusses haben Zweifel an seiner Verfassungstreue.
Sie meinen, er biete nicht die Gewähr dafür, jederzeit für die
freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten. Joachim Paul geht
juristisch gegen seinen Ausschluss vor. Das zuständige
Verwaltungsgericht in Neustadt hat seinen Eilantrag aber zurückgewiesen
und den Ausschluss von der Wahl bestätigt.
Demokratische Wahlen und Gemeindeordnung
Der
Wahlausschuss beruft sich auf die rheinland-pfälzische Gemeindeordnung.
Dort heißt es tatsächlich, dass nur wählbar ist, wer die „Gewähr dafür
bietet, jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung im
Sinne des Grundgesetzes einzutreten“. Das ist die klassische Anforderung
an einen Beamten, nicht an einen Politiker. Ein Oberbürgermeister ist
tatsächlich ein Beamter, ein Wahlbeamter auf Zeit. Aber erst nach der
Wahl. Vor der Wahl ist er Politiker, für den die liberaleren Regeln für
Politiker gelten. Und zu einer Wahl können selbstverständlich auch
Politiker antreten, die das Grundgesetz kritisch sehen oder es sogar
abschaffen wollen.
Die Anforderungen an Wahlen in der Demokratie
regelt das Grundgesetz eindeutig. Eine demokratische Wahl ist
grundsätzlich für alle Bewerber offen. Kein Kandidat kann wegen
inhaltlicher, also politischer Gründe vor der Wahl aussortiert werden.
Über Politik entscheiden in der Demokratie immer noch die Wähler. Die
Verfassung ist ganz klar: Eine Wahl, bei der vorher politisch unliebsame
Bewerber ausgeschlossen werden, ist keine demokratische Wahl.
Aber was ist jetzt mit der Gemeindeordnung, auf die sich der
Wahlausschuss stützt? Sie muss so ausgelegt werden, dass sie mit der
Verfassung vereinbar ist. Diese verfassungskonforme Auslegung liegt hier
auf der Hand. Vor der Wahl geht es um Politik und demokratische Wahlen.
Dabei darf die Frage der Verfassungstreue keine Rolle spielen. Anders
ist es nach der Wahl. Ob der gewählte Kandidat zum Beamten auf Zeit
ernannt werden kann, hängt dann von der Verfassungstreue ab, wie bei
jedem Beamten. Das bedeutet: Die Entscheidung des Wahlausschusses,
Joachim Paul von der Wahl auszuschließen, ist verfassungswidrig.
Das
Verwaltungsgericht hat dieses schwerwiegende Verfassungsproblem in
seiner Entscheidung völlig ignoriert. Es hat blind die Gemeindeordnung
angewendet. Das ist traurig. Denn selbstverständlich müssen alle
Gerichte im Rechtsstaat das Grundgesetz beachten.
Joachim Paul und die Verfassungstreue
Das
Gericht hält die Zweifel des Wahlausschusses an der Verfassungstreue
des Bewerbers für „nachvollziehbar“. Das ist höchst erstaunlich, wenn
man sich die Belege näher anschaut, auf die der Ausschuss seine Zweifel
stützt.
Man hätte erwartet, dass die Richter aus Neustadt als
Grundlage für ihr Verdikt mündliche und schriftliche Äußerungen von
Joachim Paul haben, aus denen sich seine Verfassungsfeindschaft
eindeutig ergibt. Solche Aussagen sucht man im Beschluss des Gerichts vergeblich. Sie gibt es wohl nicht.
Das ist nicht erstaunlich. Immerhin ist Joachim Paul seit langer Zeit
schon Beamter, nämlich Lehrer. Zweifel an seiner Verfassungstreue hat
bisher niemand gehabt.
Weil Joachim Paul Mitglied der AfD ist,
seien Zweifel an seiner Verfassungstreue berechtigt, sagt das Gericht.
Denn die AfD werde vom Verfassungsschutz als „Verdachtsfall“ eingestuft.
Das Argument ist rechtswidrig. Im Beamtenrecht – und darum geht es ja
hier – ist klar anerkannt: Die Mitgliedschaft in einer Partei kann nicht
pauschal Zweifel an der Verfassungstreue begründen. Ganz besonders
dann, wenn die Partei nicht vom Bundesverfassungsgericht verboten ist.
Es geht immer um das konkrete Reden und Handeln im Einzelfall.
Abgesehen davon legt das Gericht dem AfD-Politiker vor allem seine
politischen Kontakte zur Last. Sein Wahlkreisbüro sei „zu einer
bedeutenderen Veranstaltungs- und Vernetzungsöffentlichkeit
herangewachsen“. Dabei habe Paul Kontakte mit Vertretern der „Neuen
Rechten“ und dem Rechtsextremisten Martin Sellner gehabt. Bei manchen
Veranstaltungen seien auch AfD-Politiker anwesend gewesen. Dieses
Argument irritiert. Im Wahlkreisbüro eines AfD-Abgeordneten halten sich
AfD-Politiker auf? Wie das Zweifel an der Verfassungstreue begründen
soll, ist schleierhaft. Problematisch findet das Gericht auch einen
„Bücherbasar“, bei dem hauptsächlich „einschlägige rechte Literatur“
angeboten wurde. Welche Bücher das konkret waren, lässt das Gericht
offen. Das hat alles keine echte Substanz. Und darauf stützt man den
Ausschluss von einer demokratischen Wahl? Mit dem demokratischen Geist
der Freiheit und den strengen Grundsätzen des Rechtsstaats lässt sich
das nicht in Einklang bringen.
Parteiverbot durch die Hintertür
Das
Gericht wirft Joachim Paul letztlich seine politischen Kontakte vor.
Die Richter greifen damit auf das menschenverachtende und
demokratiefeindliche Konzept der Kontaktschuld zurück. Ein Mensch wird
durch den bloßen Kontakt mit einem anderen, vermeintlich verdächtigen,
schuldigen oder umstrittenen Menschen selbst schuldig. Nach diesem
perversen Konzept reicht der banale Kontakt, um sich schuldig zu machen.
Wie die Begegnung stattfand und ob überhaupt kommuniziert wurde, ist
danach irrelevant. Das Kontaktschuld-Prinzip wurde – und wird – vor
allem von totalitären Systemen und in harten ideologischen
Auseinandersetzungen genutzt. Kein Wunder: Es ist ein teuflisch
wirksames Werkzeug von Machthabern, um Bürger nachhaltig einzuschüchtern
und Gesellschaften zu spalten. Für ein Gericht in der Demokratie, das
an die Menschenwürde und rechtsstaatliche Prinzipien gebunden ist,
verbietet sich solches Denken absolut.
Das darf nicht Schule machen. Parteien, die nicht verboten sind,
dürfen im demokratischen Parteienwettbewerb nicht benachteiligt werden.
Da ist die Verfassung sehr klar. Entweder ist eine Partei verboten, dann
ist sie vom Parteienwettbewerb vollständig ausgeschlossen. Oder sie ist
nicht verboten, dann darf sie mit allen Rechten – und Pflichten – am
Parteienwettbewerb teilnehmen. Eine dritte Möglichkeit sieht die
Verfassung nicht vor. Verwaltungsrechtliche Tricksereien, die einer
umstrittenen Partei das Leben schwer machen sollen, sind ein
„Parteiverbot durch die Hintertür“ – und ein klarer Verstoß gegen das
Grundgesetz.
Macht statt Recht
Der Vorgang ist unerhört,
ja skandalös. Ein Wahlausschuss schließt einen Bewerber von einer Wahl
aus. Begründung: Zweifel an der Verfassungstreue. Das Gremium stützt
seine Entscheidung auf die falsche Interpretation einer rechtlichen
Vorschrift und auf – wie soll man das nennen – windiges Material des
Verfassungsschutzes. Interessant ist der politische Hintergrund. Der
zuständige Innenminister, der das Material besorgt, ist Mitglied der
SPD. Dem ausgeschlossenen Bewerber der AfD werden gute Chancen
attestiert, der SPD das Amt des Oberbürgermeisters streitig zu machen.
Hier setzt sich die Macht gegenüber dem Recht durch. Im Rechtsstaat wäre
es Aufgabe des Verwaltungsgerichts gewesen, der politischen Macht in
den Arm zu fallen und das Recht durchzusetzen. Haben sich die Richter in
Neustadt das nicht getraut – oder haben sie es nicht gewollt? Man weiß
nicht, was schlimmer wäre.
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