22 August 2025

Über Wahlen in der Demokratie - Ludwigshafen ist nicht Moskau (Cicero)

Was haben die Kommunen Neukloster (Mecklenburg-Vorpommern), Lage (NRW) und Ludwigshafen (Rheinland-Pfalz) gemein? In allen dreien haben Wahlausschüsse dieses Jahr AfD-Kandidaten von einer Bürgermeisterwahl ausgeschlossen. Ist das noch wehrhafte Demokratie oder schon ein Parteienverbot durch die Hintertür? Fragt auch Tomas Tuma im Focus Briefing.
Über Wahlen in der Demokratie
-
Ludwigshafen ist nicht Moskau (Cicero)
Die Wahl eines Oberbürgermeisters ist demokratische Routine. In Ludwigshafen ist das dieses Jahr anders. Ein Bewerber für das Amt ist von der Wahl ausgeschlossen worden. Aus politischen Gründen. Diese Praxis kennt man nur aus autoritären Staaten. In Deutschland ist das verfassungswidrig.
VON VOLKER BOEHME-NESSLER am 19. August 2025 7 min
Ende September wählt Ludwigshafen einen neuen Oberbürgermeister. Ein Wahlausschuss soll diese Wahl organisieren. In ihm sitzen Vertreter fast aller Parteien, die im Stadtrat von Ludwigshafen vertreten sind. Ein Politiker der AfD findet sich im Ausschuss allerdings nicht. Vor einigen Wochen hat dieser Wahlausschuss den AfD-Politiker Joachim Paul von der Wahl ausgeschlossen. Im Klartext: Er darf nicht antreten und sich dem Votum der Wähler stellen. Inzwischen werden die Wahlzettel gedruckt. Joachim Paul steht nicht darauf.
Dass Bewerber von einer Wahl ausgeschlossen werden, kommt im Einzelfall vor. Dabei geht es aber um Formalien. Sie müssen ein Mindestalter haben, Staatsbürger eines EU-Staates sein und einen Hauptwohnsitz dort haben, wo sie gewählt werden wollen. Hier ist es aber anders: Der Lehrer und Landtagsabgeordnete wird aus politischen Gründen ausgeschlossen. Die Mitglieder des Wahlausschusses haben Zweifel an seiner Verfassungstreue. Sie meinen, er biete nicht die Gewähr dafür, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten. Joachim Paul geht juristisch gegen seinen Ausschluss vor. Das zuständige Verwaltungsgericht in Neustadt hat seinen Eilantrag aber zurückgewiesen und den Ausschluss von der Wahl bestätigt.
Demokratische Wahlen und Gemeindeordnung
Der Wahlausschuss beruft sich auf die rheinland-pfälzische Gemeindeordnung. Dort heißt es tatsächlich, dass nur wählbar ist, wer die „Gewähr dafür bietet, jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten“. Das ist die klassische Anforderung an einen Beamten, nicht an einen Politiker. Ein Oberbürgermeister ist tatsächlich ein Beamter, ein Wahlbeamter auf Zeit. Aber erst nach der Wahl. Vor der Wahl ist er Politiker, für den die liberaleren Regeln für Politiker gelten. Und zu einer Wahl können selbstverständlich auch Politiker antreten, die das Grundgesetz kritisch sehen oder es sogar abschaffen wollen.
Die Anforderungen an Wahlen in der Demokratie regelt das Grundgesetz eindeutig. Eine demokratische Wahl ist grundsätzlich für alle Bewerber offen. Kein Kandidat kann wegen inhaltlicher, also politischer Gründe vor der Wahl aussortiert werden. Über Politik entscheiden in der Demokratie immer noch die Wähler. Die Verfassung ist ganz klar: Eine Wahl, bei der vorher politisch unliebsame Bewerber ausgeschlossen werden, ist keine demokratische Wahl.

Aber was ist jetzt mit der Gemeindeordnung, auf die sich der Wahlausschuss stützt? Sie muss so ausgelegt werden, dass sie mit der Verfassung vereinbar ist. Diese verfassungskonforme Auslegung liegt hier auf der Hand. Vor der Wahl geht es um Politik und demokratische Wahlen. Dabei darf die Frage der Verfassungstreue keine Rolle spielen. Anders ist es nach der Wahl. Ob der gewählte Kandidat zum Beamten auf Zeit ernannt werden kann, hängt dann von der Verfassungstreue ab, wie bei jedem Beamten. Das bedeutet: Die Entscheidung des Wahlausschusses, Joachim Paul von der Wahl auszuschließen, ist verfassungswidrig.

Das Verwaltungsgericht hat dieses schwerwiegende Verfassungsproblem in seiner Entscheidung völlig ignoriert. Es hat blind die Gemeindeordnung angewendet. Das ist traurig. Denn selbstverständlich müssen alle Gerichte im Rechtsstaat das Grundgesetz beachten.

Joachim Paul und die Verfassungstreue

Das Gericht hält die Zweifel des Wahlausschusses an der Verfassungstreue des Bewerbers für „nachvollziehbar“. Das ist höchst erstaunlich, wenn man sich die Belege näher anschaut, auf die der Ausschuss seine Zweifel stützt.

Man hätte erwartet, dass die Richter aus Neustadt als Grundlage für ihr Verdikt mündliche und schriftliche Äußerungen von Joachim Paul haben, aus denen sich seine Verfassungsfeindschaft eindeutig ergibt. Solche Aussagen sucht man im Beschluss des Gerichts vergeblich. Sie gibt es wohl nicht. Das ist nicht erstaunlich. Immerhin ist Joachim Paul seit langer Zeit schon Beamter, nämlich Lehrer. Zweifel an seiner Verfassungstreue hat bisher niemand gehabt.

Weil Joachim Paul Mitglied der AfD ist, seien Zweifel an seiner Verfassungstreue berechtigt, sagt das Gericht. Denn die AfD werde vom Verfassungsschutz als „Verdachtsfall“ eingestuft. Das Argument ist rechtswidrig. Im Beamtenrecht – und darum geht es ja hier – ist klar anerkannt: Die Mitgliedschaft in einer Partei kann nicht pauschal Zweifel an der Verfassungstreue begründen. Ganz besonders dann, wenn die Partei nicht vom Bundesverfassungsgericht verboten ist. Es geht immer um das konkrete Reden und Handeln im Einzelfall.

Abgesehen davon legt das Gericht dem AfD-Politiker vor allem seine politischen Kontakte zur Last. Sein Wahlkreisbüro sei „zu einer bedeutenderen Veranstaltungs- und Vernetzungsöffentlichkeit herangewachsen“. Dabei habe Paul Kontakte mit Vertretern der „Neuen Rechten“ und dem Rechtsextremisten Martin Sellner gehabt. Bei manchen Veranstaltungen seien auch AfD-Politiker anwesend gewesen. Dieses Argument irritiert. Im Wahlkreisbüro eines AfD-Abgeordneten halten sich AfD-Politiker auf? Wie das Zweifel an der Verfassungstreue begründen soll, ist schleierhaft. Problematisch findet das Gericht auch einen „Bücherbasar“, bei dem hauptsächlich „einschlägige rechte Literatur“ angeboten wurde. Welche Bücher das konkret waren, lässt das Gericht offen. Das hat alles keine echte Substanz. Und darauf stützt man den Ausschluss von einer demokratischen Wahl? Mit dem demokratischen Geist der Freiheit und den strengen Grundsätzen des Rechtsstaats lässt sich das nicht in Einklang bringen.

Parteiverbot durch die Hintertür

Das Gericht wirft Joachim Paul letztlich seine politischen Kontakte vor. Die Richter greifen damit auf das menschenverachtende und demokratiefeindliche Konzept der Kontaktschuld zurück. Ein Mensch wird durch den bloßen Kontakt mit einem anderen, vermeintlich verdächtigen, schuldigen oder umstrittenen Menschen selbst schuldig. Nach diesem perversen Konzept reicht der banale Kontakt, um sich schuldig zu machen. Wie die Begegnung stattfand und ob überhaupt kommuniziert wurde, ist danach irrelevant. Das Kontaktschuld-Prinzip wurde – und wird – vor allem von totalitären Systemen und in harten ideologischen Auseinandersetzungen genutzt. Kein Wunder: Es ist ein teuflisch wirksames Werkzeug von Machthabern, um Bürger nachhaltig einzuschüchtern und Gesellschaften zu spalten. Für ein Gericht in der Demokratie, das an die Menschenwürde und rechtsstaatliche Prinzipien gebunden ist, verbietet sich solches Denken absolut.

Das darf nicht Schule machen. Parteien, die nicht verboten sind, dürfen im demokratischen Parteienwettbewerb nicht benachteiligt werden. Da ist die Verfassung sehr klar. Entweder ist eine Partei verboten, dann ist sie vom Parteienwettbewerb vollständig ausgeschlossen. Oder sie ist nicht verboten, dann darf sie mit allen Rechten – und Pflichten – am Parteienwettbewerb teilnehmen. Eine dritte Möglichkeit sieht die Verfassung nicht vor. Verwaltungsrechtliche Tricksereien, die einer umstrittenen Partei das Leben schwer machen sollen, sind ein „Parteiverbot durch die Hintertür“ – und ein klarer Verstoß gegen das Grundgesetz.

Macht statt Recht

Der Vorgang ist unerhört, ja skandalös. Ein Wahlausschuss schließt einen Bewerber von einer Wahl aus. Begründung: Zweifel an der Verfassungstreue. Das Gremium stützt seine Entscheidung auf die falsche Interpretation einer rechtlichen Vorschrift und auf – wie soll man das nennen – windiges Material des Verfassungsschutzes. Interessant ist der politische Hintergrund. Der zuständige Innenminister, der das Material besorgt, ist Mitglied der SPD. Dem ausgeschlossenen Bewerber der AfD werden gute Chancen attestiert, der SPD das Amt des Oberbürgermeisters streitig zu machen. Hier setzt sich die Macht gegenüber dem Recht durch. Im Rechtsstaat wäre es Aufgabe des Verwaltungsgerichts gewesen, der politischen Macht in den Arm zu fallen und das Recht durchzusetzen. Haben sich die Richter in Neustadt das nicht getraut – oder haben sie es nicht gewollt? Man weiß nicht, was schlimmer wäre.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen