Der aus Fulda stammende AfD-Bundestagsabgeordnete Pierre Lamely wollte die Sache denn auch nicht einfach auf sich beruhen lassen und initiierte auf kommunaler Ebene einen Akteneinsichtsausschuss, der Klarheit bringen soll. Zumal es auch um mögliche Verfehlungen ganz anderer Art geht. Laut der Fuldaer AfD-Stadtratsfraktion hat „Fulda stellt sich quer“ mehrere Rechnungen mehrfach zur Erstattung eingereicht und Akten manipuliert, es seien Leistungen abgerechnet worden, die nie erbracht wurden (die Lesung einer linken Journalistin), Vorstandsmitglieder des Vereins hätten unzulässige Honorarverträge mit sich selbst abgeschlossen. Noch dazu habe es personelle Verflechtungen zwischen „Fulda stellt sich quer“ und der städtischen Prüf- und Kontrollbehörde für die Fördermittel gegeben.
Die Pressestelle der Stadt Fulda reagiert auf Nachfrage ausweichend und verweist darauf, dass „eine inhaltliche Bewertung der Vorwürfe allein Aufgabe des Akteneinsichtsausschusses beziehungsweise der Stadtverordnetenversammlung ist“. Der Vorsitzende von „Fulda stellt sich quer“ ließ einen entsprechenden Fragenkatalog sogar gänzlich unbeantwortet. Kritiker, die im dahinterstehenden Bundesprogramm „Demokratie leben!“ vor allem einen Selbstbedienungsladen für Vorfeldorganisationen zumeist linker Parteien erkennen wollen, dürften sich durch den Fuldaer Fall bestätigt sehen.
Schröders Rot-Grün ebnete das NGO-Paradies
Denn immer öfter ist der Bund in die Kritik geraten, wo er eine zu starke Nähe zu jenen zivilgesellschaftlichen Organisationen
erkennen ließ, die durch kein öffentliches Mandat legitimiert und durch
starke politische Einseitigkeit aufgefallen sind. Begonnen hat diese
bedenkliche Ausrichtung bereits um die Jahrtausendwende unter der
damaligen rot-grünen Regierung von Gerhard Schröder (SPD). Die nämlich
wollte in jenen Jahren nicht nur internationaler Vorreiter in Sachen
Klima-, Entwicklungs- und Menschenrechtspolitik werden – wofür sie immer
wieder auch den werbewirksamen Schulterschluss mit namhaften NGOs wie
Greenpeace oder dem Bund für Umwelt und Naturschutz suchte; Rot-Grün war
auch Erfinder jener eigentümlichen Parole, die von heute aus betrachtet
den Startschuss für die großzügige staatliche Unterstützung von
Aktionsbündnissen, Nichtregierungsorganisationen und Bürgerinitiativen
gegeben hat: der „Aufstand der Anständigen“.
Am 4. Oktober 2000 hatte Kanzler Schröder, damals tief bewegt von einem Brandanschlag auf die Neue Synagoge im Düsseldorfer Stadtteil Golzheim, die Bevölkerung zu bundesweiten Aktionen aufgerufen. Als kurz darauf auch noch das Gerücht aufkam, im Freibad der sächsischen Stadt Sebnitz hätten rechtsextreme Schläger einen kleinen Jungen ertränkt, zeigte sich die damalige Regierung bereit, Projekte, Initiativen und Maßnahmen gegen rechte Gewalt massiv zu unterstützen. Zahlreiche Bundesprogramme wurden daraufhin aufgelegt – darunter „Jugend für Toleranz und Demokratie – gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“. Und erstmals zeigte man sich auch offen für experimentelle Ansätze. Was nichts anderes hieß, als dass lokale Netzwerke oder nichtstaatliche Player mit einem Mal staatliche Förderung erhielten.
Die Krux an der Geschichte: Weder in Düsseldorf-Golzheim noch in Sebnitz konnten am Ende Täter aus dem rechten Umfeld dingfest gemacht werden. Während der Brandanschlag auf das Konto zweier arabischstämmiger junger Erwachsener ging, stellte sich das „Drama von Sebnitz“ als Medien-Gau heraus: Die Mutter hatte die Mordtat frei erfunden. Geblieben aber von den damaligen Empörungen und der öffentlichen Besorgnis ist ein strukturelles Wirrwarr, das Staat und zivilgesellschaftliche Organisationen immer enger aneinandergebunden hat. 2014 schließlich ist daraus das Förderprogramm „Demokratie leben!“ erwachsen, Nachfolger eines Zuwendungsprogramms mit Namen „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“. Und seither ist der staatliche Geldhahn in Richtung NGOs immer weiter geöffnet worden.
Nullpunkt „Deutschland schafft sich ab“
200 Millionen Euro jährlich gibt die Bundesregierung mittlerweile für „Demokratie leben!“ aus. „Fulda stellt sich quer“ wird mit diesem Geld ebenso gefördert wie Hunderte andere Initiativen und Kommunen in Deutschland. Von Anklam im Nordosten bis nach Garmisch-Partenkirchen zieht sich die lange Teilnehmerliste der „Partnerschaft für Demokratie“. Bei „Demokratie leben!“ gibt es 330 lokale Partnerschaften mit bis zu 5000 Einzelmaßnahmen.
Cicero liegt eine Liste vom Februar
2023 vor, auf der 609 Förderempfänger genannt werden. Dazu gehören
neben den öffentlichen Nutznießern ganz unterschiedliche Verbände,
Vereine und Einrichtungen, die sich auf wiederum völlig uneinheitliche
Weise dem unbestimmten Ziel der Demokratieförderung und
„Vielfaltsgestaltung“ zuwenden. Neben der systematischen Kritik, wonach
sich der Bund mit dieser Förderung von Nichtregierungsorganisationen
fälschlicherweise eine Zuständigkeit anmaßt, gibt es einen
vielgestaltigen Unmut bei der inhaltlichen Ausgestaltung und der Frage
der Wirksamkeit.
Besonders umstritten war in den zurückliegenden Jahren etwa die öffentliche Unterstützung der Amadeu Antonio Stiftung, die in besagter Liste mit einer Fördersumme von 600.000 Euro verzeichnet ist, insgesamt aber aus unterschiedlichen, auch privaten Quellen, Geld in Millionenhöhe zur Verfügung hat. Sie betreibt für „Demokratie leben!“ ein „Kompetenznetzwerk Rechtsextremismus“. In ihrem im Internet veröffentlichten „Demokratieatlas“ beginnt der „Zeitstrahl Rechtsextremismus“ im Jahr 2010. Am Anfang steht unter anderem das Buch „Deutschland schafft sich ab“ des damaligen SPD-Mitglieds Thilo Sarrazin. Die Begründung der Amadeu Antonio Stiftung: Das Buch sei ein „Türöffner für rechtsextreme und rechtspopulistische Positionen in der Mitte der Gesellschaft“ gewesen.
Das mag man so sehen. Zugleich stellt sich jedoch die Frage, wie weit die mit Steuermitteln alimentierte Demokratieförderung eigentlich gehen darf. Wo endet Meinungsvielfalt, wo beginnt staatliche Einmischung? Sarrazin beispielsweise ist zwar umstritten – aber darf die Bundesregierung deshalb vor ihm warnen lassen? Auf Anfrage von Cicero sagt Sarrazin: „Der absurd falsche Text der Amadeu Antonio Stiftung ist der Refrain, der mir aus linker und linksradikaler Ecke immer wieder entgegenschallt.“
Mehr Transparenz gleich „Kampagne von rechts“
Die
ehemalige FDP-Bundestagsabgeordnete Linda Teuteberg hat in der
zurückliegenden Legislaturperiode gegen diese sehr einseitige Form der
angeblichen Demokratieförderung gekämpft. Einer ihrer Hauptkritikpunkte am regierungsamtlich verordneten politischen Bildungsprogramm: die fehlende Neutralität.
Für die Potsdamer Juristin ein Unding, schließlich sei der Staat im
Wettstreit der politischen Parteien zur Neutralität verpflichtet. „Die Neutralitätspflicht
darf nicht umgangen werden, indem der Staat nicht selbst handelt,
sondern entsprechende Aktivitäten Dritter fördert“, sagt Teuteberg. Dies
sei der Fall, wenn bei den Projekten eine starke Dominanz bestimmter
Themen und Fragestellungen im Vordergrund stehe.
Und diese Dominanz ist offensichtlich. Wer die Projekte, Publikationen, Initiativen und Aktionen von „Demokratie leben!“ durchforstet, gewinnt schnell den Eindruck, dass fast alles der gleichen politischen Stoßrichtung folgt. Unüberhörbar ist ein bestimmter politischer Jargon. Man ist sich weitestgehend einig, und das auch noch bei sehr komplexen Themen: Migration, Gender, Klima, „Rechts“. Entspricht das der gesellschaftlichen Realität oder gar der demokratischen Vielfalt? Wird da nicht vielmehr ein linksalternativer Einheitsbrei angerührt? Linda Teuteberg jedenfalls ist sich sicher: „Im Zuge der Ausweitung entsprechender Förderprogramme haben Aktivisten immer mehr Einfluss gewonnen – und dies jenseits von Qualitätsstandards politischer Bildung und rechtlichen Bindungen der öffentlichen Hand.“ Sie weiß sich in ihrer Kritik vom Berliner Verfassungsjuristen Christian Waldhoff bestätigt. Auch er plädiert gegenüber Cicero für mehr echten Pluralismus, wenn der Staat schon Geld in der Gesellschaft verteilt. „Der Staat darf sich nicht durch Programme und Alimentierung seine eigene Zivilgesellschaft schaffen“, so der Juraprofessor von der Humboldt-Universität zu Berlin.
Zumal die staatliche Förderung bis ins Absurde, ja ins Extreme geht. Die Spitze des Eisbergs sind dann Zuwendungen etwa zugunsten islamistischer und linksextremer Inhalte und Akteure. Für Fassungslosigkeit sorgten unlängst etwa geförderte Projekte, deren Personal wegen antisemitischer Äußerungen von sich reden machte. Im Juni berichtete die Welt am Sonntag über mehrere Organisationen, die mit bis zu 800.000 Euro vom federführenden Bundesfamilienministerium ausgestattet worden waren. Der Initiator eines in Heidelberg ansässigen Vereins – Schwerpunkt „diversitätssensible Jugendbildung Islam und muslimisches Leben in Deutschland“ – hatte jüdische Zionisten als eine „Krankheit“ und den Beitrag des Bundeskanzlers am Holocaust-Gedenktag als „einfach nur eklig“ und anbiedernd bezeichnet. Eine andere aus Mitteln von „Demokratie leben!“ in Millionenhöhe finanzierte Bildungseinrichtung pflegte auf Vorstandsebene Kontakte zur islamistischen Szene.
Vorgänge wie diese riefen schließlich sogar den Präsidenten des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, auf den Plan, der die Politik dazu aufrief, künftig genauer hinzuschauen, wer da so alles mit Steuergeld ausgestattet wird. SPD und CDU/CSU als neue Koalitionspartner im Bund haben denn auch Besserung gelobt und wollen eine Evaluation von „Demokratie leben!“ durchführen. Eine Abgeordnete der Linkspartei wies Kritik an auffälligen NGOs daraufhin reflexhaft als „Kampagne von rechts“ zurück.
Brüssel auf Schmusekurs
Der NGO-Komplex sorgt allerdings nicht nur in Deutschland für wachsenden Unmut, auch in der EU machen sich längst parastaatliche Strukturen breit. Im Frühsommer dieses Jahres etwa wurden mehrere Fälle publik, bei denen es um ein geradezu groteskes Zusammenspiel zwischen EU-Institutionen und auf europäischer Ebene aktiven NGOs ging. Demnach hat die Kommission unter der Präsidentschaft Ursula von der Leyens mehrere Umweltschutzorganisationen massiv mit Haushaltsmitteln ausgestattet, damit diese in den EU-Gesetzgebungsprozess eingreifen und sogar die Politik der Kommission selbst unterminieren.
Was nach einem Schildbürgerstreich klingt, hat in Brüssel offenbar System. Laut Recherchen von Politico erhielten
einzelne NGOs bis zu 700.000 Euro aus den Fördertöpfen der EU, um unter
anderem Kohlekraft, bestimmte Pestizide und sogar das von der
EU-Regierung angestrebte Mercosur-Freihandelsabkommen mit Südamerika zu
torpedieren. So heißt es etwa in einer vor der Öffentlichkeit
ferngehaltenen Vereinbarung zwischen Brüsseler EU-Funktionären und der
als besonders aggressiv bekannten Umweltorganisation Client Earth in
Sachen Kohleausstieg: „Das Enddatum 2038 für Kohle ist nicht mit dem
1,5-Grad-Ziel des Pariser Abkommens vereinbar und daher zu spät.“ Man
plane, im kommenden Jahr „unsere Arbeit zur Bekämpfung der Kohle in
Deutschland fortzusetzen, um den Kohleausstieg des Landes vorzuziehen“.
Der CDU-Europaabgeordneten Christine Schneider ist der völlig intransparente Schmusekurs von Brüsseler Behörden mit etlichen Nichtregierungsorganisationen schon länger ein Dorn im Auge. „Als ich anfing, bei den NGOs genauer hinzuschauen, habe ich schnell gemerkt, dass ich mich nicht nur mit den meisten linken Abgeordneten im Europaparlament anlege, sondern auch mit der EU-Kommission“, sagt Schneider. Durch Informationen von Dritten sei sie auf die Plattform Business and Biodiversity aufmerksam gemacht worden, ein von der EU-Kommission mitinitiiertes und finanziertes Forum, bei dem eigentlich die Diskussion zwischen Naturschützern und Wirtschaftsunternehmen gefördert werden soll. „Und da ist mir rasch aufgefallen, dass das Sekretariat von Business and Biodiversity direkt von der für Umweltfragen zuständigen Generaldirektion der Kommission verwaltet wird.“ Von der Plattform aus würden allerdings regelrechte Aktionspakete an NGOs verschickt, bei denen es unter anderem darum ging, wie man einzelne Abgeordnete umstimmen kann, die in Sachen Wiederherstellungsgesetz der Natur nicht auf Linie der Kommission sind. „Ich habe wirklich nichts gegen Lobbying im Allgemeinen“, so Schneider, „aber es kann nicht sein, dass die Kommission selbst als Lobbyistin auftritt.“
Ähnlich sieht das ihre Fraktionskollegin Monika Hohlmeier von der CSU. Vor dem Hintergrund eigener Recherchen hält sie es sogar für wahrscheinlich, dass in den Auswahlkommissionen, die darüber entscheiden, welche NGOs wie viel Geld aus öffentlichen EU-Töpfen bekommen, selbst etliche NGO-Vertreter sitzen – unter Umständen sogar aus den betroffenen Organisationen. „Auf entsprechende Nachfragen meinerseits bei der EU-Kommission habe ich jedenfalls keine Antwort bekommen beziehungsweise wurde mir mündlich mitgeteilt, dass von der Brüsseler Generaldirektion Umwelt mögliche Interessenkonflikte dieser Art bisher nicht überprüft worden seien“, so Hohlmeier: „Das ganze System ist völlig intransparent.“ Immerhin hat ihre Fraktion unlängst durchgesetzt, dass eine Arbeitsgruppe von Parlamentariern die Mittelvergabe an NGOs künftig besser kontrollieren und auch Verträge aus der Vergangenheit weitergehend überprüfen kann.
Steuerzahlerbunde schlagen Alarm
Dass die offenbar grassierenden Verflechtungen zwischen NGOs und EU-Institutionen
kein harmloses Steckenpferd zweier deutscher Europaabgeordneter sind,
zeigt der Blick in den aktuellen Sonderbericht des Europäischen
Rechnungshofs zum Thema „Transparenz der EU-Finanzierung für
nichtstaatliche Organisationen“. Die Rechnungsprüfer ermittelten für den
Zeitraum zwischen 2021 und 2023 eine Summe von 4,8 Milliarden Euro,
welche die Kommission direkt für Nichtregierungsorganisationen spendiert
habe; weitere 2,6 Milliarden Euro seien NGOs von den einzelnen
EU-Mitgliedstaaten aus dem Europäischen Sozialfonds Plus sowie dem
Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds zur Verfügung gestellt worden.
Insgesamt zeigte die Prüfung des Rechnungshofs, dass „die im Rahmen der
internen Politikbereiche an Nichtregierungsorganisationen vergebenen
EU-Mittel nicht ausreichend transparent offengelegt wurden“; es gebe
„keine zuverlässige Übersicht über die NGOs gewährten EU-Mittel“.
Der Europäische Steuerzahlerbund (TAE), ein gemeinnütziger Verein, hat deswegen sogar Strafanzeige gegen die beiden früheren EU-Kommissare Frans Timmermans (Niederlande) und Virginijus Sinkevicius (Litauen) gestellt, unter deren Amtsführung der Wildwuchs wohl besonders krass blühte. „Es ist ein demokratisch zutiefst befremdliches Handeln, sollten Teile der Exekutive (Kommission) versucht haben, andere Teile zu beeinflussen, insbesondere das Europäische Parlament (Legislative) – die einzige direkt gewählte EU-Institution“, heißt es in einer Verlautbarung des TAE. Angesichts der Tatsache, dass Kommissionspräsidentin von der Leyen immer wieder EU-Werte wie „Transparenz“ und „Demokratie“ öffentlich hochhält, treffen solche Vorwürfe ins Mark.
Auch in Deutschland sind es vor allem
Rechnungshof und Steuerzahlerbund, die immer lauter Stopp rufen. So
kritisiert etwa der Bund der Steuerzahler die Kleinteiligkeit des
Bundesprogramms „Demokratie leben!“. Viele Projekte seien in kleinen
Städten angesiedelt und würden individuell durchgezogen. Demgegenüber
stehe die Verpflichtung, dass Bundesprojekte einen überregionalen
Charakter haben müssten – und somit eine übergreifende Wirkung. Im
Ergebnis bleibe ein „riesiger Verwaltungsaufwand“, erklärt Reiner
Holznagel, Präsident des Steuerzahlerbunds, auf Cicero-Anfrage.
„Demokratie leben!“ produziere eine „XXL-Bürokratie, weil Hunderte
Empfänger mit verschiedensten Strukturen und Schwerpunkten ein
jährliches Fördergeld erhalten“.
Der Europäische Steuerzahlerbund (TAE), ein gemeinnütziger Verein, hat deswegen sogar Strafanzeige gegen die beiden früheren EU-Kommissare Frans Timmermans (Niederlande) und Virginijus Sinkevicius (Litauen) gestellt, unter deren Amtsführung der Wildwuchs wohl besonders krass blühte. „Es ist ein demokratisch zutiefst befremdliches Handeln, sollten Teile der Exekutive (Kommission) versucht haben, andere Teile zu beeinflussen, insbesondere das Europäische Parlament (Legislative) – die einzige direkt gewählte EU-Institution“, heißt es in einer Verlautbarung des TAE. Angesichts der Tatsache, dass Kommissionspräsidentin von der Leyen immer wieder EU-Werte wie „Transparenz“ und „Demokratie“ öffentlich hochhält, treffen solche Vorwürfe ins Mark.
Auch in Deutschland sind es vor allem
Rechnungshof und Steuerzahlerbund, die immer lauter Stopp rufen. So
kritisiert etwa der Bund der Steuerzahler die Kleinteiligkeit des
Bundesprogramms „Demokratie leben!“. Viele Projekte seien in kleinen
Städten angesiedelt und würden individuell durchgezogen. Demgegenüber
stehe die Verpflichtung, dass Bundesprojekte einen überregionalen
Charakter haben müssten – und somit eine übergreifende Wirkung. Im
Ergebnis bleibe ein „riesiger Verwaltungsaufwand“, erklärt Reiner
Holznagel, Präsident des Steuerzahlerbunds, auf Cicero-Anfrage.
„Demokratie leben!“ produziere eine „XXL-Bürokratie, weil Hunderte
Empfänger mit verschiedensten Strukturen und Schwerpunkten ein
jährliches Fördergeld erhalten“.
„Demokratie leben!“ in Bedrängnis
Nach Recherchen von Cicero haben „Demokratie leben!“ und die damit verbundene Förderung von Kommunen und NGOs sogar ein noch viel grundsätzlicheres Problem. Möglicherweise geht das Bundesprogramm nämlich mit Grundsätzen der Verfassung und den Regeln der Bundeshaushaltsordnung zu leichtfertig um. Mit anderen Worten: „Demokratie leben!“ könnte verfassungswidrig sein. Erste Hinweise darauf gab es bereits im November 2022. Damals hatte der Bundesrechnungshof in einer sogenannten „abschließenden Mitteilung“ erhebliche Mängel aufgelistet. Dabei ging es auch um fehlende Wirtschaftlichkeitsprüfung und unvollständige Zieldefinition. Insbesondere aber kritisiert die Aufsichtsbehörde eine „fehlende Förderkompetenz“ des Bundes – ein Begriff, hinter dem sich ein durchaus ernst zu nehmendes Manko verbirgt. Das Grundgesetz nämlich geht von einer bundesstaatlichen Ordnung aus – was bedeutet, dass die Bundesregierung prinzipiell nicht in den Hoheitsbereich der Länder eingreifen darf. Bildung und politische Bildung aber sind aus gutem Grund Ländersache; ohne gesetzliche Grundlage ist es damit – gelinde gesagt – äußerst problematisch, dauerhaft Geld von Berlin aus an Länder und Kommunen zu verteilen.
Die
gescheiterte Ampelregierung hatte diese Schwierigkeit erkannt und
wollte sie mit einem „Demokratiefördergesetz“ umgehen, das allerdings an
der Zustimmung der FDP scheiterte. In dem damaligen Gesetzentwurf wurde
eine eigene Zuständigkeit des Bundes durch die Formel „kraft Natur der
Sache“ konstruiert, was so viel hieß wie: Für Demokratie im Großen und
Ganzen ist völlig selbstverständlich der Bund verantwortlich.
Der Bonner Staatsrechtler Christian Hillgruber hält diese Konstruktion jedoch für fragwürdig. „Allein aus dem ‚überregionalen‘ oder gesamtstaatlichen Charakter einer Aufgabe kann noch nicht zwingend auf eine Bundeskompetenz geschlossen werden“, erklärt er auf Anfrage. „Vielmehr können solche Aufgaben auch durch die Länder koordiniert oder – wie etwa im Bereich des Rundfunks – durch Kooperationsprojekte wahrgenommen werden.“ Der Oldenburger Rechtswissenschaftler Volker Boehme-Neßler wird noch deutlicher. Er beschreibt die Zahlungen vom Bund an die Kommunen als „goldenen Zügel“, mit dem Geld nehme die Bundesregierung „informellen politischen Einfluss auf die Kommune und das Bundesland“, so der Jurist. Auf diese Weise würden „Abhängigkeiten aufgebaut, die das Grundgesetz nicht will“. Aus Boehme-Neßlers Sicht ist die mit „Demokratie leben!“ verbundene Praxis damit verfassungswidrig.
Bei einem weiteren Aspekt geht es ebenfalls um den Kern des gesamten Projekts. So kommt nämlich ein Abschlussbericht des „Evaluationsverbunds ‚Demokratie leben!‘“ zu einem für alle Beteiligten eigentlich alarmierenden Ergebnis. Lapidar und trocken wird dort festgestellt: „In nahezu allen Programmbereichen des Bundesprogramms wird die Erfahrung gemacht, dass Angebote nicht immer von allen anvisierten Zielgruppen gleichermaßen gut angenommen werden.“ Und weiter, als hätte man längst aufgegeben, sich ernst zu nehmen: Das sei normal.
Auch die CDU/CSU schweigt
Abermals ist es der Bundesrechnungshof, der diese vermeintliche Normalität zu stören sucht: Das Bundesfamilienministerium habe es „versäumt, hinreichend konkrete Förderziele zu bestimmen, sodass eine sachgerechte Zielerreichungskontrolle nicht möglich ist“, moniert das unabhängige Organ der Finanzkontrolle. Das derart gescholtene Ministerium setzt dem das Argument entgegen, es sei fraglich, „ob bei demokratisch verfassten Gemeinschaften die (Wieder-)Herstellung der Grundlagen der Demokratie und des Zusammenhalts monetarisierbar sein“ müsse. Und weiter: „Die Sicherstellung einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ könne vielmehr „als Wert an sich“ angesehen werden.
Soll heißen: Der Zweck heiligt alle Finanzmittel. Ingo Behnel, Staatssekretär im zuständigen Bundesfamilienministerium, sieht zwar durchaus Handlungsbedarf in Sachen „Demokratie leben!“: Es gebe zu viel „politische Folklore“, man prüfe aktuell Prozesse im Programm, „um Controlling, Förderkriterien, Qualität und Wirksamkeit zu verbessern“. Gleichwohl plant sein von einer CDU-Ministerin geführtes Haus für nächstes Jahr bereits eine Etatsteigerung um zehn Millionen Euro. Mit dem zusätzlichen Geld wolle man die Digitalisierung vorantreiben, die Projekte effizienter machen und auf ihre Wirksamkeit überprüfen, so Behnel, der gern auch eine bessere Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz ermöglichen würde.
Vor der zurückliegenden Bundestagswahl hatte die Union übrigens noch 551 kritische Fragen wegen des NGO-Wildwuchses an die damalige Ampelregierung gestellt. Der Titel der Anfrage lautete vielsagend „Politische Neutralität staatlich geförderter Organisationen“, gemeint waren ausdrücklich vor allem linksaktivistische Gruppen wie Omas gegen Rechts, Correctiv, die Netzwerke Campact und Attac, die Amadeu Antonio Stiftung oder die Deutsche Umwelthilfe. Seit sie selbst in Regierungsverantwortung stehen, schweigen CDU und CSU das ganze Thema aber lieber tot. Aus der Unionsfraktion ist zu hören, die SPD habe sich während der Koalitionsverhandlungen schützend vor „Demokratie leben!“ gestellt und ein gemeinsames Stillhalten gegenüber den NGOs zur Voraussetzung für ein Regierungsbündnis gemacht. Die Sozialdemokraten werden gute Gründe dafür gehabt haben.

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