26 August 2025

Skandalöse Klimastudie - Entlarvte Katastrophenprognose offenbart mächtiges Netzwerk zum Schaden der Wirtschaft (WELT+)

Skandalöse Klimastudie
Entlarvte Katastrophenprognose offenbart mächtiges Netzwerk zum Schaden der Wirtschaft (WELT+)
Von Axel BojanowskiChefreporter Wissenschaft, 25.08.2025, Lesedauer: 7 Minuten
„Wissenschaftlich völlig ungültig“ – eine dramatische Klimavorhersage des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung erntet massive Kritik. Interessenkonflikte wurden verschwiegen – sie offenbaren zweifelhafte Verwicklungen bis in politische Zirkel.
Die Studie erntete im April 2024 donnernde Schlagzeilen: „Der Klimawandel bedroht die Weltwirtschaft“, titelte die „Tagesschau“, „Klimakrise kostet 38 Billionen Dollar pro Jahr“, meldete der „Spiegel“. Sie avancierte zur am zweithäufigsten zitierten Studie aus der Klimaforschung 2024.
Die Medienberichte angefacht hatte eine Pressemitteilung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), die für die Arbeit seiner Forscher warb: „Selbst wenn der CO₂-Ausstoß ab heute drastisch gesenkt werden sollte, ist die Weltwirtschaft aufgrund des Klimawandels bereits zu einem Einkommensverlust von 19 Prozent bis 2050 verurteilt, so eine neue Studie, die in ,Nature‘ veröffentlicht wurde“, hieß es darin. Jene Studie erweist sich aber nun als einer der größten Wissenschaftsskandale der vergangenen Jahre.
Es häufen sich fachliche Verrisse. Jetzt haben die Autoren zur Schadensbegrenzung einen neuen Aufsatz publiziert, der alles nur noch schlimmer macht. Der Fall sät grundlegende Zweifel an „Nature“, dem PIK, unkritischen Medien, Polit-Organisationen und Finanzinstituten; Kritiker sprechen von Filz.
Der Einfluss von Extremszenarien auf die Politik
Die Studie war nicht nur ein Medienerfolg, sondern beeinflusste höchste politische Gremien. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), Weltbank und die Regierung der USA etwa nahmen sie als Leitlinie. Das Network for Greening the Financial System (NGFS), ein Zusammenschluss von Zentralbanken und Regierungsbehörden für den Klimaschutz, übernahm die Ergebnisse der Studie für ihre Berechnungen künftiger Kosten des Klimawandels, die Regierungen und Unternehmen als Vorbild dienen.
Auch die Europäische Zentralbank (EZB) verwendet NGFS-Szenarien, beispielsweise um das europäische Finanzsystem Stresstests zu unterziehen. Extremszenarien wie jenes aus der PIK-Studie können Politikwandel bewirken, indem sie zum Beispiel sicherstellen, dass Banken aufgrund vermeintlich hoher Klimarisiken höheres Eigenkapital bilden müssen, was Wirtschaftswachstum bremsen kann.

Dabei treffen sich die Interessen des PIK und des NGFS, die beide der wissenschaftlich wenig robusten Theorie der „Planetaren Grenzen“ folgen, die Einhegung wirtschaftlicher Aktivität verlangt. Die Politikforscherin Jessica Weinkle von der University of North Carolina-Wilmington führt das Schwächeln der deutschen Wirtschaft auch auf „NGFS-gesteuerte Manöver“ zurück. Wirtschaftsabschwung stehe „im Einklang mit dem NGFS-Ethos der Deindustrialisierung und des Degrowth“.

Weinkle sieht „schwerwiegende Interessenkonflikte“, denn das PIK ist wirtschaftlich mit dem NGFS verflochten – über die einflussreiche Klimaschutz-Stiftung „Climate Works“, ein wichtiger Sponsor des NGFS, die auch das PIK für die Berechnung von NGFS-Szenarien bezahlt. Interessenkonflikte schließen die Studienautoren des PIK um den Klimaforscher Anders Levermann in ihrer Studie allerdings ausdrücklich aus; Levermann macht auch sonst gern mit pompösen Theorien zu Gesellschaftsveränderung und dramatischen Katastrophenvisionen von sich reden.

„Nature“ – „In einen Fußabtreter verwandelt“

Dass die Arbeit im gewichtigen Wissenschaftsmagazin „Nature“ veröffentlicht wurde, verschaffte ihr Kredit. Das renommierte Magazin hätte die Arbeit nicht veröffentlichen dürfen, denn seine Redaktion war gewarnt worden: Alle vier begutachtenden Wissenschaftler hatten gravierende Mängel an der Studie festgestellt. „Ich habe große Bedenken hinsichtlich der Unsicherheit und Gültigkeit des empirischen Modells, das sie erstellt und für die Prognosen verwendet haben“, schrieb einer der drei Gutachter. „Es könnte für diese Studie hilfreich sein, nicht den oft übertriebenen Darstellungen in der Literatur zu folgen“.

„Leider muss ich Sie darauf aufmerksam machen, dass die statistische Methodik, auf die sich die Forschungsarbeit mit dem Titel stützt, keinerlei wissenschaftliche Grundlage hat“, monierte ein anderer Gutachter in erstaunlicher Deutlichkeit. Ein weiterer schrieb: „Es fällt mir schwer, die Ergebnisse zu glauben, die … unintuitiv groß erscheinen.“ Vorausschauend ergänzte er: „Die Veröffentlichung von Zahlen in einflussreichen Zeitschriften, die anschließend im Wesentlichen diskreditiert werden, kann viel Verwirrung stiften.“

„Nature“ habe sich „in einen Fußabtreter verwandelt“, lästert Weinkle. Dass „Nature“ die Studie trotz solcher fundamentalen Einwände seiner Gutachter veröffentlichte, sei „ein Skandal“, meint Roger Pielke Jr., leitender Klimapolitik-Experte am American Enterprise Institute. „Der Skandal besteht darin, dass die Fehler des Papiers seit über einem Jahr bekannt sind und man sich dennoch weiterhin auf das fehlerhafte Papier als Grundlage für wichtige politische Leitlinien verlässt“, erklärt er.

Auf Proteste folgen Korrekturen

Tatsächlich häuften sich bereits kurz nach Veröffentlichung Proteste. Anfang Mai 2024 reichte Christof Schötz von der Technischen Universität München eine Kritik bei „Nature“ ein, die gravierende Fehler anprangerte. Würden die korrigiert, wären „die Ergebnisse statistisch unbedeutend“ – die Studie liefere „nicht die robusten empirischen Beweise, die für eine Klimapolitik erforderlich sind“. Doch „Nature“ hielt die Kritik zurück, veröffentlichte sie erst jetzt, 15 Monate später, zusammen mit einer Korrektur der PIK-Forscher.

Ähnlich erging es einer Gruppe um Tom Bearpark von der Princeton University, die im September 2024 „Nature“ eine Kritik zustellten, die aber ebenfalls erst jetzt publiziert wurde. Auch Gregory Hopper vom Bank Policy Institute schickte eine Kritik an die „Nature“-Redakteure: „Ich bot sogar an, einen Kommentar abzugeben oder was auch immer sie wollten, aber sie antworteten nie“, berichtet er. Als „wissenschaftlich völlig ungültig“ bewertete der Ökomom Richard Rosen vom Tellus Insitute im September 2024 die PIK-Studie.

Am 8. November 2024 kündigte das NGFS seine neue „Schadensfunktion“ zur Berechnung von Klimawandelschäden an, die auch an der PIK-Studie orientiert werden sollte. Bemerkenswerterweise hatte „Nature“ just zwei Tage vorher erstmals vor der Arbeit gewarnt, mit einem Hinweis auf der Online-Seite der Studie: „Anmerkung der Redaktion: Die Leser werden darauf hingewiesen, dass die Zuverlässigkeit der in diesem Manuskript präsentierten Daten und Methoden derzeit in Frage gestellt wird.“

Ein zweifelhaftes Vorgehen, meint Hopper: „Hätten die Zentralbankmitglieder des NGFS nicht ‚Nature‘ oder die Studienautoren fragen sollen, was das Problem sei? Hätte das NGFS das Modell nicht zurückziehen müssen, wenn es von dem Datenfehler erfahren hätte?“

Es scheine, als hätte „Nature“ die Veröffentlichung der Kritiken hinausgezögert, bis die Autoren die Chance hatten, einen neuen Artikel vorzubereiten und ihn als Vorabdruck zu veröffentlichen, meint Roger Pielke. Seit mehr als einem Jahr hätte das Magazin genügend Beweise gehabt, die Arbeit zurückzuziehen – „was ein großer Dominostein gewesen wäre, der gefallen wäre, mit erheblichen Folgen für die Klimapolitik“, sagt Pielke. Stattdessen hat „Nature“ die Studie erst jetzt mit Korrekturhinweis und Kritik-Verweisen versehen.

In ihrem neuen Aufsatz – ein „Pre-Print“ ohne Begutachtung – behaupten die PIK-Autoren, dass ihre Ergebnisse nach einigen Korrekturen im Wesentlichen Bestand hätten; die Klimaschäden fallen demnach nur etwas geringer aus. Doch die Forscher um Levermann mussten neue Methoden einführen, um zu ähnlichen Ergebnissen zu gelangen. „Ein stillschweigendes Eingeständnis der Autoren, dass sie akzeptiert haben, dass die ursprüngliche Analyse keinen Wert mehr hat“, erklärt Pielke.

Verwicklung von Klimaforschern mit Politik und Finanzinstituten

Auch Gregory Hopper ist skeptisch: „Das überarbeitete Klimaschadensmodell ist sogar noch fehlerhafter als das Original, weil die statistischen Probleme bestehen bleiben und es nun den Anschein hat, dass die Modellaktualisierung herausgepickt wurde, um zu einer vorher festgelegten Schlussfolgerung zu gelangen“, kommentiert er.

Die Frage nach den Verwicklungen von Klimaforschern mit Politik und Finanzinstituten bleibt. Er habe „zu viele Geschichten gehört“ von Fällen, in denen Finanzinstitute versucht hätten, die akademische Freiheit zu untergraben, schrieb unlängst Ben Caldecott, Direktor der Oxford Sustainable Finance Group, in der „Financial Times“. „Sie haben dies getan, indem sie versucht haben, die Forschungsergebnisse vor der Veröffentlichung zu ändern, oder sie haben versucht, die Veröffentlichung überhaupt zu verhindern, um ihre Produkte und Dienstleistungen zu schützen.“

Der Fall der PIK-Studie zeigt, dass Interessenkonflikte in der Klimaforschung selbst dann nicht artikuliert werden, wenn sie eskalieren. In ihrer Stellungnahme bedanken sich die PIK-Forscher bei ihren Kritikern: „Die Autoren und das PIK begrüßen und schätzen das Feedback aus der breiteren wissenschaftlichen Gemeinschaft und übernehmen die Verantwortung für die Versäumnisse, die zu dieser Kritik geführt haben“.

Axel Bojanowski, Chefreporter Wissenschaft bei WELT, erzählt in seinem Buch „Was Sie schon immer übers Klima wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten“ in 53 Geschichten vom Klimawandel zwischen Lobbygruppen und Wissenschaft.


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