Besonders im Jahre 2022 wurde eine Missachtung der Richtlinie offenbar zur Regel. 102-Mal machte das Familienministerium von einer Ausnahmeregelung Gebrauch, die es ihr erlaubte, auch bei Abweichung von der Richtlinie einer Förderung zuzustimmen.
Als Erklärung heißt es aus dem Ministerium: „Um Projekte aufgrund minimaler Abweichungen von der Richtlinie nicht von einer Förderung auszuschließen, hat das (seinerzeitige) BMFSFJ (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) in der Förderrichtlinie eine Ausnahmeregelung bei geringen Verstößen aufgenommen.“ Dabei sei zu beachten: Ein Richtlinienverstoß habe bereits dann vorgelegen, wenn die Maximalfördersummen um wenige Euro überschritten oder die Mindest-Kofinanzierungssummen um weniger als ein Prozent unterschritten wurden.
Das Familienministerium
verweist zudem auf die besondere Lage im Jahr 2022: Wegen der
Verbreitung von „Verschwörungsmythen“ – insbesondere im Kontext der
Pandemie – und dem Krieg in der Ukraine seien vom Bund zusätzliche
Mittel zur Verfügung gestellt worden. Das habe einen Rückgriff auf die
Ausnahmeregelung notwendig gemacht.
In der aktuellen Förderperiode will das Ministerium offenbar ein stärkeres Augenmerk auf die Einhaltung der Richtlinie legen. „Die Verwaltung ist seitens des BMBFSFJ ausdrücklich angehalten worden, das Tatbestandsmerkmal des begründeten Einzelfalles restriktiv auszulegen und damit dem Verhältnis von Regel und Ausnahme in der Praxis hinreichend Ausdruck zu verleihen“, erklärt ein Sprecher.
Das hatte auch der Bundesrechnungshof in einem Bericht im Jahre 2022 empfohlen. Dort notierten die Prüfer: „Die vom BMFSFJ angeführte Ausnahmeklausel der Förderrichtlinie kann die Abweichungen bei der Finanzierungshöhe in dem festgestellten Ausmaß nicht mehr rechtfertigen. Der Bundesrechnungshof hat verdeutlicht, dass das BMFSFJ von der Ausnahmeklausel nur in besonders gelagerten Fällen Gebrauch machen darf.“ Bei einem Ausmaß von 18 Prozent der untersuchten Projektförderungen könne hier von Ausnahmefällen keine Rede mehr sein.
Auch sonst kam der Rechnungshof zu alarmierenden Befunden. So wies die Evaluation des Programms damals erhebliche Schwächen auf. Das Ministerium habe versäumt, „hinreichend konkrete Förderziele zu bestimmen, sodass eine sachgerechte Zielerreichungskontrolle nicht möglich ist“, hieß es in dem Bericht.
Das Familienministerium versprach unlängst Besserung. „Für die in 2025 beginnende Förderperiode haben wir eine umfassende Wirtschaftlichkeitsuntersuchung vorgenommen und Ziele als Bewertungsgrundlage für die anschließende Erfolgskontrolle identifiziert“, erklärte ein Sprecher im Mai 2024 gegenüber WELT.
Union forderte radikale Überprüfung
Die Evaluation der 2024 abgelaufenen zweiten Förderperiode, die von externen Prüfern erstellt wurde, hatte erneut eine positive Wirkung des „Demokratie leben“-Programms gezeigt. Allerdings beruhten die Evaluationsberichte stark auf der Selbsteinschätzung von Projektbeteiligten und dem Projektumfeld. Kausale Programmeffekte, etwa einen nachweisbaren Rückgang von extremistischen Einstellungen in der Gesamtgesellschaft, ließen sich dagegen nicht messen. Das Deutsche Jugendinstitut, das an den Evaluationen mitarbeitete, kam zu dem Schluss, dass dies methodisch nicht möglich sei.
Positiv bewerteten die Prüfer vor allem den Aufbau und die Vernetzung von Strukturen in der Zivilgesellschaft. Zudem seien innerhalb der Adressatengruppen Wirkungen messbar gewesen – etwa der Aufbau „eine Resilienz gegenüber demokratiegefährdenden und menschenfeindlichen Positionen“.
Berichte über Extremismus-Vorfälle haben das
Vertrauen in „Demokratie leben“ zuletzt stark beschädigt. Der
innenpolitische Sprecher der Union, Alexander Throm, forderte im Juni
eine Überprüfung aller Organisationen, die weiterhin gefördert werden:
„Weitere Finanzierung darf es nur bei absoluter Treue zu unseren
Staatszielen geben, im Zweifel werden viele der NGOs künftig keine
Gelder der Steuerzahler bekommen.“
WELT AM SONNTAG hatte unter anderem berichtet, dass der Initiator eines Projektträgers auf der Plattform X kritisiert hatte, dass Deutschland zu einem „Judenstaat“ verkomme. Zionisten bezeichnete er als „Krankheit“. Nach Bekanntwerden der Aussagen trat der Verfasser der Tweets von seinen Funktionen zurück.
Zuletzt wurde Kritik am ebenfalls über „Demokratie leben“ kritisierten Bundesverband Trans* laut. Eine bis Februar 2025 für den Verband tätige ehemalige Mitarbeiterin hatte im Internet den Mord an „unverantwortlich reichen Menschen“ gefordert. Der Verband distanzierte sich vehement von den Aussagen.
Im Jahr 2026 sollen die Ausgaben im Rahmen von „Demokratie leben“ abermals steigen – auf 191 Millionen Euro. Priens Ministerium erklärte auf Nachfrage von „Bild“: „Der Betrag dient dazu, das Programm nach der im Koalitionsvertrag vereinbarten Evaluation und Wirksamkeitsüberprüfung inhaltlich und strukturell neu auszurichten.“

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