14 August 2025

The Pioneer - Alaska - Merz und der böse Wolf

The Pioneer
Alaska
Merz und der böse Wolf
Gabor Steingart, 14.08.2025
Bevor das Rotkäppchen sich auf den Weg machte, die kranke Großmutter mit Kuchen und Wein zu besuchen, gab ihr die Mutter den wohlgemeinten Rat:

"Geh hübsch sittsam und lauf nicht vom Weg ab, sonst fällst du und zerbrichst das Glas."

Ähnlich altklug muten die Ratschläge an, die die Europäer dem amerikanischen Präsidenten mitgeben, bevor er sich morgen auf den Weg zu Putin macht.
Auch Donald Trump soll hübsch sittsam bleiben und sich auf keinen schmutzigen Deal mit dem bösen Wolf einlassen. Er soll auf jenem Weg laufen, den die Europäer ihm vorgezeichnet haben. Und auf keinen Fall soll er wieder stolpern und das Glas zerbrechen.
Im Märchen der Gebrüder Grimm hat sich das Rotkäppchen nicht an den gut gemeinten Rat gehalten. Als sie dem Wolf begegnet und der sie auffordert, doch der Großmutter ein paar Blumen zu pflücken, verliert sie sich in der bunten Wiese.
So lässt sie dem Wolf genau die Zeit, die er braucht, um die Großmutter zu fressen. Seine List hat funktioniert. Der Wolf war schlauer als die Großmutter und das Rotkäppchen zusammen.
Ob der wohlfeile Rat der Europäer am Ende die böse Tat des Wolfes Putin verhindert, darf auch in der Gegenwart bezweifelt werden. Bisher droht Trump ihm lediglich mit „sehr schwerwiegenden Konsequenzen“, falls er sich nicht auf einen Frieden in der Ukraine einlasse. Vier Anmerkungen:
Anmerkung 1: Europäer engen Trumps Spielraum ein
Was die Europäer – allen voran ihr Musterschüler Friedrich Merz – da geboten haben, diente der Selbstvergewisserung Europas, nicht der Vorbereitung von Verhandlungen.

Der Rat, kein Territorium der Ukraine wegzugeben und auch nach einem Friedensschluss das Land nicht schutzlos zu lassen, ist aus Sicht der Ukraine verständlich, aber am Vorabend von Friedensgesprächen wohlfeil. Damit versucht man, dem US-Präsidenten jene Flexibilität zu nehmen, die er für echte Friedensverhandlungen braucht.

Anmerkung 2: Realpolitik jetzt!

Natürlich stehen Teile des besetzten Territoriums, vorneweg die Halbinsel Krim und anschließend auch der Donbass, zur Disposition. Und den Status der Ukraine als Teil des Westens mit militärischer Schutzgarantie festschreiben zu wollen, bedeutet, Trump auf den Sieg zu verpflichten und Putin als Verlierer zu stempeln. Das ist wünschenswert, aber nach Lage der Dinge nicht realistisch. Realpolitik bedeutet, die Wirklichkeit anzuerkennen und nicht, sie zu leugnen.

Putin hat sich in drei Jahren Krieg und mit dem zynischen Investment von mehr als 100.000 toten russischen Soldaten wichtige Filetstücke der Ukraine gesichert. Die wird er nicht wieder hergeben und falls doch, dann nur gegen schmerzhafte Zugeständnisse des Westens.

Anmerkung 3: Die unbequeme Wahrheit

Über eine entmilitarisierte Zone entlang der russischen Westgrenze wird zu reden sein. Auch die territoriale Neuordnung der heute besetzten Gebiete steht auf der Tagesordnung. Die Rolle der Nato im Osten Europas dürfte am Verhandlungstisch ebenfalls eine Rolle spielen.

Trump wurde durch die öffentlichen Festlegungen der Europäer in seinem Spielraum begrenzt, was erkennbar auch der Sinn der Initiative von Friedrich Merz war. Der Möglichkeitsraum für echte Friedensgespräche wurde verengt, nicht geweitet.

Anmerkung 4: Geschlossenheit des Westens, das Gebot der Stunde

Die Feststellung, man sei nicht in allen, nur in wichtigen Punkten einer Meinung, zeigte einen Dissens, der nur innenpolitische Punkte bringt. In den auswärtigen Beziehungen wäre Geschlossenheit zwischen Europa und den USA das Gebot der Stunde.

Merz’ unverhohlene Drohung an Trump, Putin nicht wieder zu unterschätzen, der bislang auf jede Friedensinitiative des Westens mit noch mehr Krieg geantwortet hat, war zwar treffend, aber nicht hilfreich. Trump stand als Großmaul da und die Europäer als die Neunmalklugen. Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr.

Fazit: Man hat den US-Präsidenten durch diese diplomatische Initiative der Europäer nicht gestärkt, sondern kleiner gemacht. Die Videoschalte diente faktisch der Vorbereitung von Putin, nicht der von Trump. Der böse Wolf wartet in Alaska schon auf das Rotkäppchen.

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