Als Angela Merkel den deutschen Rechtspopulismus mit aus der Taufe hob (Cicero)
Angela Merkel hat vor einer Dekade den deutschen Rechtspopulismus mit aus der Taufe gehoben, und um diese Tatsache möglichst zu verschleiern, war es zuallererst ihre eigene Partei, die sich gar nicht heftig genug von der neu entstandenen politischen Kraft distanzieren und abgrenzen konnte. Die „Brandmauer“ als ein Symbol für deutsches Status-Quo-Denken ist von der CDU mindestens genauso hingebungsvoll errichtet worden wie von den Sozialdemokraten. Allerdings mit dem Unterschied, dass die Union sich damit ihr eigenes Gefängnis gebaut hat.
Größter strategischer Gewinn für die AfD
Für
die SPD hingegen ist eine hinter Brandmauern verbannte AfD der größte
nur denkbare strategische Gewinn, denn nicht nur sorgt die inzwischen
zur Staatsräson erhobene Dämonisierung der blauen „Alternative“ für
deren zuverlässige Radikalisierung, womit sich wiederum der
vermeintliche antifaschistische Schutzwall quasi von selbst legitimiert.
Noch dazu ist diesseits der Demarkationslinie kein politisches Leben
ohne Beteiligung der Sozialdemokraten oder anderer linker Parteien mehr
denkbar. Mit anderen Worten: Die Union ist kastriert, obwohl sie den
Kanzler stellt. Und sie bekommt es inzwischen jeden Tag deutlicher zu
spüren.
Natürlich sind Koalitionen keine Liebesheiraten, sondern
Arbeitsgemeinschaften. Aber eine Arbeitsgemeinschaft kann nur dann
erfolgreich sein, wenn die Beteiligten tatsächlich zusammen arbeiten wollen.
Beim aktuellen Regierungsbündnis entsteht nicht nur der gegenteilige
Eindruck, siehe etwa der bizarre Grundsatzstreit über die
Nachbesetzungen für das Bundesverfassungsgericht. Bei Lichte besehen ist
auch der von CDU/CSU und SPD selbst auferlegte Arbeitsauftrag, nämlich
durch erfolgreiches Regieren der AfD den Wind aus den Segeln zu nehmen,
alles andere als plausibel – zumindest aus der Sicht des kleineren
Koalitionspartners. Denn wie gesagt: Nur eine einigermaßen starke AfD
garantiert den drei maßgeblichen Parteien links der Mitte eine
regelmäßige Teilhabe an der Macht.
Insofern ist es prima facie sogar doppelt rational für Lars Klingbeil & Co, sich als Koalitionspartner möglichst klar von der Union abzugrenzen – zum einen aus Angst vor dem eigenen praktischen Erfolg („Deutschland wieder flott machen“), der paradoxerweise zu einem Bedeutungsverlust für die SPD führen könnte. Zum anderen wegen der Befürchtung, dass Zugeständnisse gegenüber dem marktwirtschaftlich orientierten Merz-Lager nur die linke Konkurrenz bei der Opposition stärken und man am Ende zwischen dem bürgerlichen Block auf der einen und dem öko-sozialistischen Block auf der anderen Seite gänzlich zermahlen wird.
Wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt
Wenn
in einer Regierung aber grundsätzlich der Schwanz mit dem Hund wedelt
und er dies der eigenen Machtlogik folgend sogar zwingend tun muss,
setzt sich mit Beschleunigung fort, was Angela Merkel vor zehn Jahren in
Gang gesetzt hat: die Erosion des Vertrauens der Bevölkerung in die
Handlungsfähigkeit des Staates. Genau darin besteht allerdings die
tatsächliche Gefahr für die in jüngster Zeit beängstigend oft
beschworene Demokratie, welche von interessierter Seite gern mit dem
Possessivpronomen „unsere“ ausgeschmückt wird.
Der zur 16-Prozent-Partei geschrumpften SPD fehlen erkennbar der Mut,
der Wille und – es lässt sich inzwischen leider nicht mehr leugnen – vor
allem auch die intellektuelle Kraft, um sich an Reformen zu wagen, die
unvermeidlich sind, um den weiteren Niedergang der Bundesrepublik
aufzuhalten, ob in Fragen der Migration, der Energieversorgung, der
Bürokratie, der Renten und überhaupt des völlig aus dem Ruder gelaufenen
Sozialstaats. Es ist durchaus konsequent, dass ein Kettensägen-Milei im
sozialdemokratischen Milieu inzwischen genauso verteufelt wird wie ein
in atavistischer Nationalromantik schwelgender Björn Höcke aus
Thüringen. Dass der argentinische Präsident mit seiner
marktwirtschaftlichen Rosskur auch noch ökonomische Erfolge feiert,
macht ihn aus Sicht vieler SPD-Funktionäre sogar besonders suspekt.
Natürlich ist sich Friedrich Merz der schier ausweglos erscheinenden Lage völlig bewusst – auch, wenn er sie in diesem Ausmaß zu Beginn seiner Kanzlerschaft nicht erwartet haben dürfte. Seine weitgehende Handlungsunfähigkeit gehört – wie so vieles – zum toxischen Erbe Angela Merkels, deren Fehlentscheidungen nicht nur dem Land immensen Schaden bereitet haben, sondern eben auch der eigenen Partei. „Selbst schuld!“, könnte man sagen, wenn es um die deutsche Volkswirtschaft nicht so dramatisch bestellt wäre. Ist es aber. Zeit für Plan B.
Wo ist der „Plan B“?
Die Frage ist nur, ob die Union über so etwas wie einen „Plan B“ verfügt. Als ich vor einigen Wochen während eines Hintergrundgesprächs von einem namhaften CDU-Politiker wissen wollte, wie denn die mittelfristige Strategie seiner Partei aussehe angesichts der Tatsache, dass die Sozialdemokraten erkennbar nach links rücken und man wegen der Brandmauer sowie schwindender Zustimmung für die „große Koalition“ künftig auch noch auf Grüne und Linkspartei angewiesen sein dürfte, lautete die Antwort: „Wir setzen darauf, dass die SPD schon irgendwie zur Besinnung kommt.“ Dieser Satz war ganz offensichtlich ernst gemeint – und stellt nicht mehr und nicht weniger dar als eine Bankrotterklärung für eine einstmals selbstbewusste Volkspartei.
Vor allem aber veranschaulicht dieses hilflose Statement, dass die eingeübten Gewohnheiten des alten deutschen Parteiensystems vor dem Hintergrund der vielbeschworenen Zeitenwende selbst nicht mehr zeitgemäß sind. Ebenso wenig zeitgemäß übrigens wie es eine Koalition mit dieser AfD wäre. Es braucht eine Disruption – und es dürfte besser sein, man hat diese Disruption noch selbst unter Kontrolle, als dass sie plötzlich über einen kommt.
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