04 August 2025

Die CDU nach zehn Jahren „Grenzöffnung“ - Als Angela Merkel den deutschen Rechtspopulismus mit aus der Taufe hob (Cicero)

Die CDU nach zehn Jahren „Grenzöffnung“
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Als Angela Merkel den deutschen Rechtspopulismus mit aus der Taufe hob (Cicero)
Vor zehn Jahren setzte die Bundeskanzlerin eine unkontrollierte Massenmigration in Gang. Deren Folgen belasten das Land bis heute – und haben den Aufstieg der AfD befördert. Dass die CDU jetzt in der Koalitionsfalle sitzt, hat sie vor allem ihrer einstigen Vorsitzenden zu verdanken.
VON ALEXANDER MARGUIER am 3. August 2025 7 min
Als Angela Merkel vor zehn Jahren mit ihrer sogenannten Grenzöffnung eine bis heute anhaltende und weitgehend unkontrollierte Massenmigration auslöste, begann eine in der Geschichte der Bundesrepublik nie gekannte Erosion des Vertrauens der Bevölkerung in die Handlungsfähigkeit des Staates. Daran konnten auch homöopathische Verlegenheitsmaßnahmen wie das „Türkei-Abkommen“ nichts ändern, denn nun waren „sie eben hier“, wie die Kanzlerin in ihrer lakonisch-wurstigen Art konstatierte.
Die damalige CDU-Vorsitzende hält es bis heute kaum für nötig, sich für ihre folgenschwere Entscheidung vom Spätsommer des Jahres 2015 zu rechtfertigen – es ist der Trotz einer Frau, der aus unerfindlichen Gründen der Ruf vorauseilte, die Dinge stets bis zum Ende zu durchdenken. Denn aus heutiger Sicht wäre sie damit willentlich die Architektin der AfD gewesen, weil der Aufstieg dieser Partei rechts der deutschen Christdemokratie ohne Merkels Zutun schlicht undenkbar ist – wofür allein schon deren Name spricht.
„Alternative für Deutschland“ war eine Replik auf die von der Regierungschefin behauptete Alternativlosigkeit ihrer Politik. Debatten, zumal solche über die Grundfesten deutscher Staatlichkeit, waren schon damals unerwünscht, erst recht in einer Machtpartei wie der Union, zu deren Selbstverständnis es gehört, die Kanzler zu stellen und deren Amtsführung nicht zu hinterfragen.
Demonstration des Kadavergehorsams
Der CDU-Parteitag vom Dezember 2015 mit seinen standing ovations für Angela Merkel war eine verstörende und einer lebendigen Demokratie unwürdige Demonstration des Kadavergehorsams, weil natürlich den allermeisten Delegierten bereits klar war, dass die Vorsitzende wenige Monate zuvor die Büchse der Pandora geöffnet hatte. Der Bevölkerung jedenfalls blieb nichts anderes übrig, als über dieses verlogene Schauspiel ungläubig zu staunen – beziehungsweise sich einer anderen Partei zuzuwenden, von der der einstige CDU-Generalsekretär Peter Tauber selbstherrlich sagte, er wolle kein einziges dorthin übergelaufenes Mitglied zurück.
Es hat allerdings immer weniger den Anschein, als ob eine Wiedereingliederung von Abtrünnigen überhaupt zur Debatte steht, denn wer weg ist, ist weg: Die AfD hat sich, zumal im Osten der Republik, als neue Volkspartei etabliert, deren Wählerschaft sich aus einstigem CDU-Elektorat ebenso speist wie aus früheren SPD-Anhängern. Woran übrigens zur Kunstform erhobene Störaktionen wie unlängst beim Sommerinterview mit Alice Weidel genauso wenig ändern wie das staatliche Pampern von anti-rechten NGOs oder mit Halbwahrheiten begründete Massenkundgebungen.

Angela Merkel hat vor einer Dekade den deutschen Rechtspopulismus mit aus der Taufe gehoben, und um diese Tatsache möglichst zu verschleiern, war es zuallererst ihre eigene Partei, die sich gar nicht heftig genug von der neu entstandenen politischen Kraft distanzieren und abgrenzen konnte. Die „Brandmauer“ als ein Symbol für deutsches Status-Quo-Denken ist von der CDU mindestens genauso hingebungsvoll errichtet worden wie von den Sozialdemokraten. Allerdings mit dem Unterschied, dass die Union sich damit ihr eigenes Gefängnis gebaut hat.

Größter strategischer Gewinn für die AfD

Für die SPD hingegen ist eine hinter Brandmauern verbannte AfD der größte nur denkbare strategische Gewinn, denn nicht nur sorgt die inzwischen zur Staatsräson erhobene Dämonisierung der blauen „Alternative“ für deren zuverlässige Radikalisierung, womit sich wiederum der vermeintliche antifaschistische Schutzwall quasi von selbst legitimiert. Noch dazu ist diesseits der Demarkationslinie kein politisches Leben ohne Beteiligung der Sozialdemokraten oder anderer linker Parteien mehr denkbar. Mit anderen Worten: Die Union ist kastriert, obwohl sie den Kanzler stellt. Und sie bekommt es inzwischen jeden Tag deutlicher zu spüren.
Natürlich sind Koalitionen keine Liebesheiraten, sondern Arbeitsgemeinschaften. Aber eine Arbeitsgemeinschaft kann nur dann erfolgreich sein, wenn die Beteiligten tatsächlich zusammen arbeiten wollen. Beim aktuellen Regierungsbündnis entsteht nicht nur der gegenteilige Eindruck, siehe etwa der bizarre Grundsatzstreit über die Nachbesetzungen für das Bundesverfassungsgericht. Bei Lichte besehen ist auch der von CDU/CSU und SPD selbst auferlegte Arbeitsauftrag, nämlich durch erfolgreiches Regieren der AfD den Wind aus den Segeln zu nehmen, alles andere als plausibel – zumindest aus der Sicht des kleineren Koalitionspartners. Denn wie gesagt: Nur eine einigermaßen starke AfD garantiert den drei maßgeblichen Parteien links der Mitte eine regelmäßige Teilhabe an der Macht.

Insofern ist es prima facie sogar doppelt rational für Lars Klingbeil & Co, sich als Koalitionspartner möglichst klar von der Union abzugrenzen – zum einen aus Angst vor dem eigenen praktischen Erfolg („Deutschland wieder flott machen“), der paradoxerweise zu einem Bedeutungsverlust für die SPD führen könnte. Zum anderen wegen der Befürchtung, dass Zugeständnisse gegenüber dem marktwirtschaftlich orientierten Merz-Lager nur die linke Konkurrenz bei der Opposition stärken und man am Ende zwischen dem bürgerlichen Block auf der einen und dem öko-sozialistischen Block auf der anderen Seite gänzlich zermahlen wird.

Wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt

Wenn in einer Regierung aber grundsätzlich der Schwanz mit dem Hund wedelt und er dies der eigenen Machtlogik folgend sogar zwingend tun muss, setzt sich mit Beschleunigung fort, was Angela Merkel vor zehn Jahren in Gang gesetzt hat: die Erosion des Vertrauens der Bevölkerung in die Handlungsfähigkeit des Staates. Genau darin besteht allerdings die tatsächliche Gefahr für die in jüngster Zeit beängstigend oft beschworene Demokratie, welche von interessierter Seite gern mit dem Possessivpronomen „unsere“ ausgeschmückt wird.
Der zur 16-Prozent-Partei geschrumpften SPD fehlen erkennbar der Mut, der Wille und – es lässt sich inzwischen leider nicht mehr leugnen – vor allem auch die intellektuelle Kraft, um sich an Reformen zu wagen, die unvermeidlich sind, um den weiteren Niedergang der Bundesrepublik aufzuhalten, ob in Fragen der Migration, der Energieversorgung, der Bürokratie, der Renten und überhaupt des völlig aus dem Ruder gelaufenen Sozialstaats. Es ist durchaus konsequent, dass ein Kettensägen-Milei im sozialdemokratischen Milieu inzwischen genauso verteufelt wird wie ein in atavistischer Nationalromantik schwelgender Björn Höcke aus Thüringen. Dass der argentinische Präsident mit seiner marktwirtschaftlichen Rosskur auch noch ökonomische Erfolge feiert, macht ihn aus Sicht vieler SPD-Funktionäre sogar besonders suspekt.

Natürlich ist sich Friedrich Merz der schier ausweglos erscheinenden Lage völlig bewusst – auch, wenn er sie in diesem Ausmaß zu Beginn seiner Kanzlerschaft nicht erwartet haben dürfte. Seine weitgehende Handlungsunfähigkeit gehört – wie so vieles – zum toxischen Erbe Angela Merkels, deren Fehlentscheidungen nicht nur dem Land immensen Schaden bereitet haben, sondern eben auch der eigenen Partei. „Selbst schuld!“, könnte man sagen, wenn es um die deutsche Volkswirtschaft nicht so dramatisch bestellt wäre. Ist es aber. Zeit für Plan B.

Wo ist der „Plan B“?

Die Frage ist nur, ob die Union über so etwas wie einen „Plan B“ verfügt. Als ich vor einigen Wochen während eines Hintergrundgesprächs von einem namhaften CDU-Politiker wissen wollte, wie denn die mittelfristige Strategie seiner Partei aussehe angesichts der Tatsache, dass die Sozialdemokraten erkennbar nach links rücken und man wegen der Brandmauer sowie schwindender Zustimmung für die „große Koalition“ künftig auch noch auf Grüne und Linkspartei angewiesen sein dürfte, lautete die Antwort: „Wir setzen darauf, dass die SPD schon irgendwie zur Besinnung kommt.“ Dieser Satz war ganz offensichtlich ernst gemeint – und stellt nicht mehr und nicht weniger dar als eine Bankrotterklärung für eine einstmals selbstbewusste Volkspartei.

Vor allem aber veranschaulicht dieses hilflose Statement, dass die eingeübten Gewohnheiten des alten deutschen Parteiensystems vor dem Hintergrund der vielbeschworenen Zeitenwende selbst nicht mehr zeitgemäß sind. Ebenso wenig zeitgemäß übrigens wie es eine Koalition mit dieser AfD wäre. Es braucht eine Disruption – und es dürfte besser sein, man hat diese Disruption noch selbst unter Kontrolle, als dass sie plötzlich über einen kommt.

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