12 August 2025

339 Wissenschaftler - Der Persilschein für Frauke Brosius-Gersdorf (WELT+)

339 Wissenschaftler
Der Persilschein für Frauke Brosius-Gersdorf (WELT+)
Von Volker Rieble, 11.08.2025Lesedauer: 5 Minuten
Mit einem Persilschein versuchten 339 Wissenschaftler, jeden Zweifel an Frauke Brosius-Gersdorf zu unterbinden. Angesichts der erheblichen Plagiatsvorwürfe müssen sich die Unterzeichner nun unangenehme Fragen stellen lassen – erklärt der Jurist Volker Rieble.
In ihrer (t)rotzigen Verzichtserklärung hat Frauke Brosius-Gersdorf, Ex-SPD-Kandidatin fürs Bundesverfassungsgericht, neben einem solipsistischen Weltbild offenbart, dass sie Misogynie durch „einzelne Journalisten (nicht: Journalistinnen)“ am Werk sieht. Dass also die Kritik an fragwürdigen Grundrechtspositionen und ein erheblicher und gut begründeter Plagiatsverdacht auf sie als Frau zielten. Dass obskure Männer von Kritik verschont würden, weist sie nicht nach.
Brosius-Gersdorf versteigt sich sogar dahin, dass die Nichtwahl ihren Gebrauch eigener Wissenschaftsfreiheit sanktioniere. So schreibt sie über ihre Aussage zur „Menschenwürdegarantie erst ab Geburt“, dass „dieser Satz Ausdruck wissenschaftlicher Freiheit ist, die durch meine Nichtwahl sanktioniert wird“. Als ob das Parlament jeden kritiklos zu wählen habe, nur um nicht gegen die Wissenschaftsfreiheit zu verstoßen. Mit dieser Erklärung hat die Kandidatin ihre Nichteignung besser unter Beweis gestellt, als das jeder Kritiker vermochte.
Bestärkt wurde sie durch eine Stellungnahme der eigenen Fakultät und Universität in Potsdam, vor allem aber durch ein auf dem „Verfassungsblog“ veröffentlichtes Solidaritätsschreiben. Brosius-Gersdorf wird dort als „hoch angesehene und renommierte Staatsrechtslehrerin“ notiert – hat sich damit jede Kritik erledigt? Kritische Stimmen werden als „mit Unwahrheiten und Diffamierungen gespickte[n] Kampagnen“ abgetan. Einen konkreten und einlassungsfähigen Beleg für unwahre Tatsachenbehauptungen, ehrabschneidende Diffamierungen oder gar die Steuerung eines Meinungsfeldzuges durch einen Kampagnenführer liefert jener vorauseilende Freispruch nicht. Alles nur heiße Luft. Die Solidaritätsadresse spricht Nicht-Staatsrechtlern das Recht ab, das Menschenwürdeverständnis der Kandidatin zu beleuchten.
Doch geht es nicht um ein akademisches Seminar. Das Bundesverfassungsgericht hat die Macht, Würdeschutz und Lebensrecht neu zu konturieren – nicht nur beim Schwangerschaftsabbruch, auch gegenüber Dementen, Komatösen und Sterbenden. Und das Bundesverfassungsgericht hat das letzte Wort zu Impfpflichten. Wird der Staat totalitär, wenn er den Zugriff des Staates oder Privater auf Leib und Leben legitimiert? Diese Frage wollen eingebildete Professoren lieber unter sich ausmachen.
Als Arbeitsrechtler komme ich erdnah mit Konflikten in Berührung. Wollte ich einen gestandenen Arbeitnehmervertreter dahin belehren, er habe zu einer komplexeren Rechtsfrage zu schweigen, weil das nur Gelehrte diskutieren dürften, könnte ich den Sanitäter rufen. Umgekehrt gilt: Gerichte und Richter, aber auch Professoren müssen dem Volk, dessen Recht sie verhandeln und in dessen Namen sie Recht sprechen, ohne Anmaßung erklären, worum es geht.

Das ist Frauke Brosius-Gersdorf nicht ansatzweise gelungen, weil sie im politischen Diskurs und in der Talkshow von ihrem Ross nicht absteigen konnte („als Wissenschaftlerin“). Karl Popper mahnt: „Das Schlimmste […] ist, wenn die Intellektuellen es versuchen, sich ihren Mitmenschen gegenüber als große Propheten aufzuspielen und sie mit orakelnden Philosophien zu beeindrucken.“ Der Persilschein-Text plustert sich auf, drischt Phrasen und sagt zur Sache: nichts. Es geht nur darum, die Kandidatin aus dem Feuer zu holen.

Schlimmer ist der Umgang mit dem Plagiatsverdacht. Am 10. Juli 2025 hat Stefan Weber auf erhebliche Werkähnlichkeiten zwischen der Dissertation von Brosius-Gersdorf und der Habilitationsschrift ihres Mannes Hubertus Gersdorf hingewiesen. Am 14. Juli veröffentlichte der „Verfassungsblog“ daraufhin seine Stützstellungnahme von drei Initiatoren und 339 Zeichnern. Dort werden diese „ausgesprochen unglaubhafte[n] Plagiatsvorwürfe“ zurückgewiesen. In der Mailversion vom 12. Juli hieß es noch „ausgesprochen unglaubwürdige und mit sexistischen Untertönen versehene Plagiatsvorwürfe“.

Nun hat Stefan Weber zunächst explizite Werkähnlichkeiten aufgezeigt und lediglich gefragt, ob die identifizierten Textstellen gegen juristische Zitiernormen verstoßen. Schon diese schlichte Frage enthält einen unglaubhaften Plagiatvorwurf? Am 4. August hat Stefan Weber dann – für jeden, der seine Arbeit verfolgt, erwartbar – umfassend nachgelegt. Weitreichende Textübereinstimmung und eine obskure Schreibstilähnlichkeit haben ihn bewogen, „Ghostwriting“ als Ursache für möglich zu halten. Für die wissenschaftliche Redlichkeit der Kandidatin macht es keinen Unterschied, ob sie selbst abgeschrieben hat oder einen familiären Ghostwriter nutzte. Je stärker sich der Plagiatvorwurf erhärtet, desto weniger ist Frauke Brosius-Gersdorf eine „hoch angesehene und renommierte Staatsrechtslehrerin“. Ihr wissenschaftliches Renommee ist angekratzt und sie persönlich hat keine Erklärung dafür gegeben, wie die frappanten Textübereinstimmungen zu erklären seien.

Der Persilschein im „Verfassungsblog“ hielt die Vorwürfe für „unglaubhaft“. Was soll dieses Adjektiv sagen? „Glaubhaft“ ist ein juristischer Fachausdruck und bezieht sich auf den Beweis für eine Tatsache. „Glaubwürdig“ bezieht sich auf eine Person. Der Zeuge kann glaubwürdig sein; seine Aussage glaubhaft. Was soll hier nicht ausreichend bewiesen sein? Die Textübereinstimmungen fußen auf einem Scan der Textstellen und sind farblich markiert. Theoretisch besteht die Möglichkeit, dass die Texte anders aussehen und das Textbild verfälscht worden ist. Das behauptet aber niemand. Um welche andere beweisbare Tatsache soll es gehen? Soll der Text von Frauke Brosius-Gersdorf zuerst verfasst worden sein? Auch das wird nicht (mehr) behauptet. Oder meint der Persilschein, der Umfang der Textähnlichkeiten reiche für den Plagiatvorwurf nicht aus? Das ist keine beweisbare Tatsache, sondern eine rechtliche Wertung.

Der Persilschein schwurbelt um das mögliche Plagiat herum. Mit der Verantwortung der (formalen) Autorin, evidente Textähnlichkeiten aufzuklären (was unter redlichen Wissenschaftlern in der Arbeit durch ausreichendes Zitat geschieht), hält sich der Persilschein nicht auf. Dabei werden einige Zeichner als Mitglieder der Staatsrechtslehrervereinigung prüfen müssen, ob ihre Kollegin die Regeln zur guten wissenschaftlichen Praxis verletzt hat, die Plagiate und „Ghostwriting“ explizit verbieten. Brosius-Gersdorf ließ den Vorwurf über ihre Anwaltskanzlei zurückweisen, anstatt sich selbst dazu zu erklären.

Wir dürfen gespannt sein, ob die Vereinigung der Staatsrechtslehrer reagieren und mit welchen Verrenkungen dies verbunden sein wird. Nicht ominöse Kampagnen beschädigen die Staatsrechtswissenschaft, sondern wissenschaftliche Unredlichkeit – und die Verdeckungsmühen. Verehrte Staatsrechtslehrer, Nr. 21 Ihrer Leitsätze zur guten wissenschaftlichen Praxis betont die Notwendigkeit, „im wissenschaftlichen Diskurs auf Text- und Ideendiebstahl aufmerksam zu machen, statt ihn zu beschweigen“. Ist der im Persilschein liegende Unterdrückungsversuch selbst wissenschaftliches Fehlverhalten? Müsste die Staatsrechtslehrervereinigung Stefan Weber nicht Dank sagen?

Der Persilschein sollte Kritik an Sachaussagen und Zweifel an der Redlichkeit der Kandidatin unterbinden. Sachargumente finden sich dort nicht. Der Statusanspruch für „angesehene“ Lehrstuhlinhaber ist eine Ad-personam-Verteidigung, die so wenig intellektuell ist, wie ein Angriff ad personam. Die Unterzeichner merken nicht, dass sie konkrete Handlungsvorwürfe durch Charakterzuschreibungen zu überwinden suchen. Insofern gleicht jene Stellungnahme verlogenen Persilscheinen der Nachkriegszeit. Die Erklärung im „Verfassungsblog“ ist wissenschaftsfremd. Nicht nur Frauke Brosius-Gersdorf ist „über jeden Selbstzweifel erhaben“ – jene Unterzeichner sind es auch. Ihr Programm lautet: „Haben. Sein. Und gelten.“ (Kurt Tucholsky, 1927). Der Text ist töricht; ihn zu zeichnen und im „Verfassungsblog“ zu publizieren nicht minder.

Volker Rieble lehrt Arbeitsrecht und Bürgerliches Recht an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

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