Gabor Steingart, 11.08.2025 (Überarbeitete Fassung aus Focus Online 18.08.2025)
Das bedeutet: Der Staat kann Wachstum
auf Pump kaufen – und tut genau das in erhöhtem Umfang. Er präsentiert
uns den besten Aufschwung, den man für Geld kaufen kann.
Der Schuldenstand, der im Jahr 2000 erst bei 59,2 Prozent des Sozialprodukts lag, wird mit den neuen Schulden der Merz/Klingbeil-Regierung nach Berechnungen von Prof. Lars Feld auf 90 Prozent des Bruttoinlandsprodukts anschwellen. Das BIP wird gesteigert – und die Belastung künftiger Generationen auch.
Täuschung #4: Der Staat betrachtet sich selbst als Wachstumsmotor
Die vierte Täuschung liegt in der Art, wie staatliche Dienstleistungen bewertet werden. Während ein privates Unternehmen sein Produkt am Markt verkauft und dessen Preis durch Angebot, Nachfrage und Wettbewerb entsteht, produziert der Staat Leistungen, die keinen Marktpreis besitzen.
Die Staatsbediensteten tauchen in den staatlichen Budgets nur als Ausgaben auf; ihre Lohn-, Papier-, Heizungs- und Computerkosten sind dort erfasst. Worin also liegt der Wert ihrer Arbeit, wenn er doch keinen Preis hat?
Die Statistiker haben sich der Einfachheit halber entschlossen, die Kosten, also den Lohn, das Papier, die Heizungsausgaben und den Computer, als Marktpreis zu betrachten. Dank dieser Verrechnungspreise, wie sie die DDR nicht besser hätte erfinden können, sind die Staatsbediensteten zu echten Schätzen in der Wachstumsbilanz geworden. Da ihre Leistungen nicht über Verkäufe bewertet werden können, kommt die „Kostenäquivalenzformel“ zum Einsatz, die nicht den Output, sondern den Input misst.
Jeder zusätzliche Bürokrat ein Gewinn, jede neue Staatsaktivität ein Aktivposten. Das in Quadratmeterzahl und Mitarbeiterstellen verdoppelte Kanzleramt, die zusätzlichen Stellen in den Ämtern der Kommunen und Länder, der neue Fuhrpark inklusive Benzin- oder Stromrechnung und jede neue bürokratische Genehmigungsstufe treiben das Wachstum:
„Nichtmarktproduktion des Staates wird über die Summe der Produktionskosten bewertet“, heißt es im Handbuch des Statistischen Bundesamtes zur Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung.
In den Siebziger Jahren betrug der Staatsanteil
am Bruttoinlandsprodukt noch zwischen 14 und 16 Prozent. Im Jahr 2024
machte der Staatsanteil am BIP über 20 Prozent aus. So wird das
Papiergeraschel der Bürokraten vom Ärgernis zum Wohlstandsgewinn
veredelt.
Die wahre Wachstumszahl liegt deutlich niedriger
Fazit: Die Statistiker in Wiesbaden
wissen, dass ihre Zahl politisch missbraucht wird und keine wirkliche
Aussage zur Steigerung des Wohlstands trifft. Deswegen haben sie unter
Ausschluss der Öffentlichkeit einen neuen Produktionsindex berechnet,
der die staatlichen Aktivitäten (öffentliche Verwaltung, Erziehung und
Unterricht, Gesundheits- und Sozialwesen) nicht enthält und sich auf
echte ökonomische Aktivitäten echter Firmen konzentriert.
Und siehe da: Dieser Index – der in der Hauszeitung des
Statistischen Bundesamtes jetzt vorgestellt wurde – liegt deutlich
unter den offiziellen Wachstumszahlen, die Minister und Kanzler
verkünden. Die gute Nachricht: Die Statistiker betrügen nur uns, aber
nicht sich selbst.
Eine Erwiderung
Für Datenexpertin Katharina Schüller ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) politisch – seine Berechung allerdings nicht. Die folge international einheitlichen, politisch unabhängigen Standards. Ihre Antwort auf den Gastkommentar von Gabor Steingart.
Sehr geehrter Herr Steingart,
beim Lesen Ihres Beitrags zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) dachte ich an den Spruch von Michail Genin: „Nicht alles ist so schlimm, wie es scheint. Vieles ist noch viel schlimmer.“ Ja, das BIP ist nach den letzten Überarbeitungen in einigen Quartalen noch viel schlimmer, als die Stagnation es vorher erscheinen ließ. Es ist durchaus wünschenswert, eine Debatte über die Hintergründe anzustoßen. Denn das BIP ist, wie es der Wirtschafts- und Politikwissenschaftler Prof. Dr. Philipp Lepenies nahelegt, die wohl mächtigste Zahl der Welt.
https://www.focus.de/finanzen/news/deutsche-wohlstandsillusion-so-zeigt-das-bip-unsere-wirtschaftskraft-auf_64dcfbea-6de7-4d5e-a506-8bc95f7172a6.html
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen