Deutschland in der dreifaltigen Krise
Jahrzehntelang wurde gegen den seit mehr als einem halben Jahrhundert stattfindenden demografischen Niedergang, beziehungsweise dessen berechenbare Folgen für die Volkswirtschaft und die sozialen Sicherungssysteme, von allen etablierten Parteien Zuwanderung propagiert und praktiziert – mit graduellen Begeisterungsunterschieden. In der Frühphase brachte das durchaus Linderung (Stichwort „Gastarbeiter“), war also so etwas wie Krisenverhinderungspolitik. Mit der zunehmenden Moralisierung der Migrationspolitik seit den 1980er Jahren und der Offenheit für immer zahlreichere, meist so gut wie gar nicht qualifizierte Armutszuwanderer als Asylbewerber änderte sich das. Schon vor dem mit zeitlichem Abstand nur noch als bizarr zu bezeichnenden Höhepunkt von 2015 hätte eigentlich klar sein müssen, dass die ökonomischen Hoffnungen, die eine gesamtgesellschaftliche Koalition inklusive Topmanager sich einredete, enttäuscht würden.
Statt Wachstumsrettern und Systemstabilisatoren sind die „Geflüchteten“, da sie in ihrer Mehrheit zunächst in die Nehmerseite der Sozialversicherungen kommen und in weit überproportionaler Zahl dort bleiben, Beschleuniger der Überlastung dieser Systeme, deren Kollaps nun erst recht absehbar wird. Auch die Krise des Gesundheitssystems wird eher verschärft dadurch, dass Hunderttausende, die noch nie ins System einzahlten und das womöglich auch nie tun werden, sofort medizinisch versorgt werden. Von den gesellschaftlichen Verwerfungen (Stichworte Clan-Kriminalität, Messer-Morde, „Schwimmbad“) ganz zu schweigen, die zu dem Empfinden „Deutschland funktioniert nicht mehr“ beitragen.
Die zweite Ebene: Parteien
Dass
dieses Seehofer-Wort von der Migration als Mutter der Probleme aber
erstens nur in einer Klausurtagung fiel – also eigentlich nicht für eine
breite Öffentlichkeit gedacht war – und zweitens nach Bekanntwerden
öffentliche Empörung nach sich zog, ist nur eines von unzähligen
Indizien für die in der politischen Klasse und dem gesamten Juste Milieu
des Landes zum Dogma gewordene Leugnung der Migrationswirklichkeit
zugunsten fortgesetzten Wunschdenkens. Damit sind wir bei der zweiten
von drei Ebenen der deutschen Krise: dem problemlösungsunfähig sich
selbst blockierenden Parteiensystem.
Dass in einer pluralen Demokratie zwar die grundsätzliche Funktionsweise des Politikbetriebes, also die Verfassung des Staates, beständig sein muss, aber nicht die dominierenden Parteien, ist in anderen westlichen Ländern selbstverständlich. In Italien oder Frankreich etwa finden sich kaum noch Parteien des 20. Jahrhunderts in den Parlamenten, die nicht wenigstens ihren Namen und ihre sachpolitischen Positionen fundamental reformiert haben. Regiert werden beide von Politikern, deren Parteien es vor einem Jahrzehnt noch nicht einmal gab.
In Deutschland aber haben die Parteien der alten Bundesrepublik mit dem letzten Neuzugang der Grünen an der Spitze eine Art Selbstidentifikation mit dem Grundgesetz und diesem Staat vollzogen, der in der häufigen Verwendung der Wortkombination „unsere Demokratie“ zum Ausdruck kommt. Ihr praktischer Ausdruck ist die „Brandmauer“ gegen die AfD als Paria-Partei. Mittlerweile hat sich aber nicht nur die AfD radikalisiert, sondern auch die etablierten Parteien in ihrer Haltung ihr gegenüber: von der symbolisch-medial-moralischen Verdammung hin zur Nichtzulassung eines AfD-Kandidaten zur Bürgermeisterwahl in Ludwigshafen und dem Ruf nach einem kompletten Verbot der AfD. Diese Aktionen, die im SPD-regierten Rheinland-Pfalz einen neuen Vorreiter haben, kann man durchaus als wachsende Panik vor Machtverlust bei anhaltendem Unwillen oder Unfähigkeit zu sachpolitischen Korrekturen interpretieren.
Auch diese Beharrungskrise des deutschen
Parteienbetriebs ist ein Kind der „Mutter aller Probleme“. Ihr Kern ist
das uneingestandene Scheitern der moralisierten Migrationspolitik der
etablierten Parteien. Dieses machte den Aufstieg der AfD überhaupt erst
möglich und die Brandmauer nötig – wenn man nicht bereit ist, sich
selbst zu korrigieren.
Der Leidensdruck und der Zorn der Wähler überwiegt ganz offenkundig zunehmend die Wirkung der moralischen Appelle gegen die AfD. Letztere sind teilweise vielleicht durchaus begründbar, werden aber inflationär durch Überreaktionen wie offenkundige Gefälligkeitsgutachten des Inlandsgeheimdienstes und zweifelhafte Berichterstattung wie die über die „Wannseekonferenz“ entwertet. „Erst kommt das Fressen, dann die Moral“ – Die Weisheit des kommunistischen Dichters Bertolt Brecht gilt eben auch für die materiellen und andere allzu spürbare Folgen einer moralisch begründeten Einwanderungspolitik.
In der CDU mag die Einsicht in die Notwendigkeit ganz fundamentaler Korrekturen, ja, des radikalen Umsteuerns in vielen Politikbereichen sehr viel verbreiteter sein als in der zunehmend von ihrer früheren Nüchternheit und allen guten Geistern verlassenen SPD. Aber sie steckt in der Klemme des Beharrungswillens ihrer grünen und sozialdemokratischen Koalitionspartner in den Ländern und im Bund, die bei der kleinsten Annäherung an die Brandmauer über sie herfallen – etwa dem Besuch der CDU-Bundestagspräsidentin Julia Klöckner in den Räumen eines Unternehmers, der die „umstrittene“ Internetseite Nius finanziert.
Um den Weg der Lösung der sachpolitischen Krise nicht nur im Bundestagswahlkampf zu versprechen, sondern danach auch wirklich zu beschreiten, müsste also erst die Beharrungskrise des Parteienbetriebs aufgesprengt werden. Das zeigen die ersten Monate der schwarz-roten Bundesregierung, die dies nicht vermochte und stattdessen schon in der Frühphase vor allem Enttäuschung bei ihren Wählern erzeugte, die sich das erhofften.
Die dritte Ebene: Politiker
Damit sind wir bei der dritten Ebene der Krisen-Trias, der Krise des politischen Personals. Denn um die die Beharrungskrise des bundesrepublikanischen Parteibetriebs aufzulösen, wären nicht nur die analytischen und konzeptionellen Fähigkeiten notwendig, die sachpolitische Krise lösungsorientiert anzugehen. Diese haben Friedrich Merz und seine Mitstreiter durchaus.
Was Merz und der gesamten Führung der Unionsparteien, aber auch der anderen, jedoch erwiesenermaßen fehlt, sind Mut, Standhaftigkeit und Überzeugungskraft. Diese Eigenschaften sind jedoch unbedingt notwendig, um in Krisen gegen Widerstände das als richtig und unverzichtbar erkannte durchzusetzen. Um erst gar nicht von dem zu sprechen, was Max Weber „die Autorität der außeralltäglichen persönlichen Gnadengabe (Charisma)“ nannte und zur Voraussetzung für einen großen „politischen Parteiführer“ erklärte.
Die Bundesregierung und die anderen etablierten Parteien, in deren Reihen Politiker mit solch einer „persönlichen Gnadengabe“ fehlen, können vor allem froh sein, dass diese auch in den Reihen der AfD nicht vorhanden ist.
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