14 August 2025

The Pioneer - Europa: Falsche Bescheidenheit

The Pioneer
Europa: Falsche Bescheidenheit
Gabor Steingart, Nico Giese 12.08.2025
Chinese müsste man sein. Dann wird man von Donald Trump weniger ruppig behandelt als wenn man das Pech hat, Europäer zu sein.
The Chinese people are strong, they are smart, they are great negotiators“, sagt Trump über die Außenhandelspolitik der Chinesen.
„They ripped us off.“ Das sagt Trump über die Handelspolitik der Europäer.
Der chinesische Staatspräsident war schon in Trumps erster Amtszeit nach Mar-a-Lago zum Abendessen eingeladen. Ursula von der Leyen, Angela Merkel und Friedrich Merz kennen die Residenz mit den goldenen Wasserhähnen nur aus dem Fernsehen.
Die Zölle für chinesische Importe wurden mehrfach angedroht und gestern wieder aufgeschoben. Die Zölle für europäische Importe hat man der EU-Kommissionspräsidentin ohne Verhandlungen mitgeteilt. Smile or die.
Dabei ist Europa zwar politisch ein Zwerg, aber ökonomisch ein Kämpfer der Mittelgewichtsklasse. Es gibt keinen Grund für Unterwürfigkeit.
#1 Der amerikanische Energiemarkt lebt von europäischen Abnehmern
Trump betont immer wieder, dass die USA mehr Öl und Gas besitzen als die anderen Länder der Welt – „it’s liquid gold“, sagt er. Aber das flüssige Gold braucht Abnehmer – und die findet man vor allem in Europa. Bei Rohöl liegt die EU-Abnahme bei rund zwei Millionen Barrel pro Tag – 50 Prozent der gesamten Exportmenge. Beim LNG-Flüssiggas ist Europa ebenfalls mit der Hälfte aller US-Exporte der größte Abnehmer. Darin liegt ein enormes Erpressungspotenzial: the liquid bullet.

#2 Der kreditfinanzierte American Dream wäre bald Geschichte

Die US-Staatsschuld (36 Billionen Dollar) wird zu 25 Prozent von Ausländern (neun Billionen) finanziert. Davon befinden sich rund drei Billionen in europäischer Hand. Damit hat Europa den USA über 50 Prozent mehr Geld geliehen als Chinesen und Japaner zusammen. Bedeutet: Ziehen sich Europas Notenbanken und Versicherungen aus den US-Schuldtiteln zurück, geht in Washington das Licht aus.
3 Europa ist der wichtigste Absatzmarkt für amerikanisches Tech-Design

Amerikas Vorzeigeunternehmen Apple ist auf Europa angewiesen wie der Frosch auf den Teich. Allein im ersten Quartal 2025 (29. September 2024-28. Dezember 2024) wurden fast 30 Prozent der Erlöse in Europa erzielt und damit fünf Milliarden mehr als in China und Japan zusammen.
#4 Die US-Konsumgütermultis würden ohne Europa den Zusammenbruch von Absatz, Gewinn und Börsenkursen erleben

Bei Philip Morris (Marlboro, L&M, IQOS) steht Europa mit 15,4 Milliarden Dollar für 41 Prozent des Gesamtumsatzes; bei McDonald’s liefern über 8.700 Restaurants in Europa, darunter 1.367 in Deutschland, stabile Erträge. Auch das größte Konsumgüterunternehmen der Welt, Procter & GambleOral-B, Braun, Gillette, Head & Shoulders –, macht den größten Teil seines ausländischen Umsatzes (mehr als 20 Prozent) in Europa.

#5 Amerika braucht Tabletten und Botox aus Europa

Aua: Die USA sind das wichtigste Empfängerland von europäischen medizinisch-pharmazeutischen Produkten. 2024 gingen mehr als 38 Prozent aller EU-Exporte dieser Warengruppen – knapp 120 Milliarden Euro – in die USA. Bei Botox (gehört zum Segment der ästhetischen Injektionsmittel, den Injectables) stammen sogar 90 Prozent aus Europa, vor allem aus Irland. Bedeutet: Ohne frische Botox-Importe aus Europa herrscht in Hollywood Drehpause – oder die US-Stars würden ziemlich alt aussehen.
Fazit: Ökonomische Kraft ist eine strategische Machtressource, „the indispensable pillar of statecraft“, wie Henry Kissinger zu sagen pflegte, „die unverzichtbare Säule der Staatskunst“. Nur: Die Ressource allein nutzt noch nicht viel. Man muss sie auch einsetzen.

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