05 August 2025

Der Fall Michael Ballweg - Wenn Politik und Justiz eine unheilige Allianz eingehen (Cicero)

Der Fall Michael Ballweg
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Wenn Politik und Justiz eine unheilige Allianz eingehen (Cicero)
Michael Ballweg ist freigesprochen worden, trotz des Furors der Staatsanwälte. Was bleibt, ist eine Verwarnung wegen 19,53 Euro in der Steuererklärung des „Querdenken“-Gründers. Und ein böser Verdacht: War das ein politischer Prozess?
VON VOLKER BOEHME-NESSLER am 2. August 2025 7 min
In Stuttgart ist ein bemerkenswertes Urteil gefallen. Das dortige Landgericht hat den Unternehmer Michael Ballweg freigesprochen. Nach 279 Tagen Untersuchungshaft und 44 Verhandlungstagen hat das Gericht keine Grundlage für eine Verurteilung gesehen. Anders, als es viele Medien aktuell berichten, ist Ballweg auch nicht wegen (versuchter) Steuerhinterziehung verurteilt worden – auch wenn das manche Medien, die an einer Hexenjagd gegen Michael Ballweg beteiligt waren, nicht wahrhaben wollen.
Das Urteil ist ein Freispruch – ohne Wenn und Aber. Das Gericht hat lediglich eine Verwarnung mit Strafvorbehalt ausgesprochen. Eine Verwarnung ist juristisch gesehen natürlich keine Strafe. Und der Grund für die Verwarnung ist denkbar banal: Ballweg hat Waren – ein Parfüm und eine Hundematte – im Wert von 19,53 € bei seiner Steuererklärung falsch verbucht. Also: glatter Freispruch nach einem langen Prozess – und noch längerer Untersuchungshaft. Das klingt nach einer herben Blamage für die Staatsanwälte. Was ist da schiefgelaufen?
Michael Ballweg und „Querdenken 711“
Die juristische Blamage hat eine Ursache: Der Prozess hat einen politischen Hintergrund. Er lässt sich nicht verstehen, ohne die Rolle, die Michael Ballweg schon sehr früh als starker und deutlicher Kritiker der staatlichen Coronamaßnahmen gespielt hat. Im Frühjahr 2020 hat er in Stuttgart die kritische Protestbewegung „Querdenken 711“ gegründet. Hier haben sich Menschen gesammelt, die aus unterschiedlichsten Perspektiven Kritik an den repressiven Coronamaßnahmen der Regierung übten. 
Zu dieser Zeit war querdenken noch ein positiv besetzter Begriff: Querdenker waren seit Jahrhunderten Menschen, die eigenständig, kritisch und unorthodox dachten. Sie stellten herrschende Meinungen, Ideologien und Dogmen infrage. Ohne sie hätte es keinen geistigen Fortschritt und keine Aufklärung gegeben. „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“ – mit diesem berühmten Diktum hat Immanuel Kant 1784 auf den Punkt gebracht, was querdenken heißt. Seitdem war sein „Sapere aude“ der Schlachtruf der Aufklärung.
Während der Coronakrise hat eine fatale Umdeutung dieses Begriffs stattgefunden. In Michael Ballwegs Querdenker-Bewegung haben sich – natürlich – auch problematische Figuren versammelt: irrationale Corona-Leugner, Verschwörungstheoretiker, Reichsbürger und Rechtsextremisten. Das war nichts Ungewöhnliches. Jede größere Bewegung, jede politische Partei versammelt auch schräge Figuren und Extremisten an ihren Rändern. 

Der Staat und die Mehrheit der Medien haben sich das zunutze gemacht, um die Kritiker mundtot zu machen. Man hat die Randfiguren benutzt, um die normalen Bürger in der Mitte der Bewegung zu diskreditieren. Seitdem gebraucht die herrschende Meinung diesen Begriff abwertend für Menschen, die irrational denken und nicht ernst zu nehmen sind. Jedenfalls in Deutschland steht er jetzt – völlig geschichtsvergessen – für Verschwörungstheoretiker und Extremisten. 

Das ist kein gutes Zeichen für Toleranz und freies Denken in Deutschland. Das passt ins Bild. Immer stärker wurden Kritiker seit dem Frühjahr 2020 abgewertet, stigmatisiert, ausgegrenzt oder völlig aus der öffentlichen Debatte entfernt. Das passierte auch mit Michael Ballweg und den Querdenkern.

Die Justiz greift ein

Im Fall der Querdenker griff der Staat aber noch zu härteren Mitteln. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelte gegen Michael Ballweg wegen Spendenbetrugs, Geldwäsche und Steuerhinterziehung. Das zuständige Oberlandesgericht Stuttgart verhängte im Juni 2022 sogar Untersuchungshaft – wegen angeblicher Fluchtgefahr. Fluchtgefahr? Ballweg war in Baden-Württemberg verwurzelt und familiär verbunden. Er war kein international vernetzter Wirtschaftskrimineller mit unbegrenzten finanziellen Ressourcen, der einfach im Ausland hätte untertauchen können. 

Dass die Untersuchungshaft im April 2023 – nach neun Monaten – aufgehoben wurde, war keine Überraschung. Die lange Dauer war allerdings ein Skandal. Normalerweise dauert eine Untersuchungshaft höchstens sechs Monate. Das hat gute verfassungsrechtliche Gründe. U-Haft ist Freiheitsentziehung bei einem Unschuldigen. Dafür gelten strenge rechtliche Voraussetzungen. Waren sie hier wirklich erfüllt? Da wird sich das Oberlandesgericht Fragen gefallen lassen müssen.

Von Anfang an politisch

Das war nicht die einzige Merkwürdigkeit in diesem Prozess. Er begann mit mehreren Anzeigen, die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft auslösten. Der Vorwurf: Ballweg habe Spenden erhalten – und diese nicht für die Querdenker-Bewegung ausgegeben, sondern privat für sich verbraucht. Es waren aber nicht etwa enttäuschte und misstrauische Spender, die bei der Staatsanwaltschaft Anzeige erstatteten. Nach bisherigem Wissensstand war der Beginn des Ermittlungsverfahrens politisch. 

Das Finanzministerium in Stuttgart hat die zuständigen Finanzbehörden aufgefordert, „dringlich“ gegen Michael Ballweg zu ermitteln. Die Ministerialbeamten haben betont, dass es sich dabei um den Gründer der Querdenker handele. Das ist kein sachlicher Hinweis. Das ist eine politische Markierung. Die Beamten im Finanzamt verstanden den Wink aus dem Ministerium und erstatteten schließlich Strafanzeige. Während des Verfahrens berichteten mehrere Zeugen über Einflussnahmen aus dem Finanzministerium. Ein Finanzministerium, das staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen einen Regierungskritiker anstößt und Einfluss nimmt – normal ist das nicht.

Die Staatsanwälte: Blinder Verfolgungseifer

Staatsanwälte müssen Straftaten aufklären und Straftäter verfolgen. Dass Staatsanwälte hartnäckig sind, gehört also zu ihrem Berufsbild. Wenn daraus aber blinder Verfolgungseifer wird, der um jeden Preis belasten will, überschreiten sie eine rechtsstaatliche Grenze. Dass das hier der Fall ist, zeigte sich im März 2025.

Das Gericht schlug vor, den Prozess einzustellen. Auf der Grundlage des bisher gesichteten Belastungsmaterials sei nicht mit einer Verurteilung zu rechnen. Im Klartext: Die Beweise, die die Staatsanwälte vorgelegt hatten, reichten bei Weitem nicht aus. Die Staatsanwaltschaft wehrte sich vehement gegen den Vorschlag der Richter. Sie erzwang eine Fortsetzung des Prozesses bis zum Ende.

Das ist merkwürdig. Konnten die Staatsanwälte damals nicht sehen, dass ihr Belastungsmaterial viel zu dürftig ist? Sind sie nicht hochqualifizierte Juristen, die so etwas abschätzen können? In Deutschland sind die Staatsanwälte nicht unabhängig, sondern weisungsgebunden gegenüber der Politik. Das hat nicht zuletzt die Europäische Kommission schon kritisiert. Das ist in vielen europäischen Staaten völlig anders. Dort haben Staatsanwälte dieselbe Unabhängigkeit gegenüber der Politik wie die Richter – mit sehr guten Gründen. 

Deshalb steht der Verdacht im Raum, dass die Staatsanwälte im Fall Ballweg auf politische Weisung handelten. Anders lässt sich ihr Verfolgungseifer kaum erklären. So vehement und rigide, wie die Regierung Kretschmann während der Pandemie gegen ihre Kritiker – und ihre Bürger – vorging, so unversöhnlich zeigt sie sich bis zum bitteren Ende. Einsicht in Fehler und eine tätige Reue – das gibt es hier nicht. Bis zu einer echten Aufarbeitung der Coronapolitik ist es noch weit. Auch diese bittere Erkenntnis bringt der Prozess.

Politische Prozesse im Rechtsstaat

Im rechtsstaatlichen Gerichtsverfahren geht es um das Recht, nicht um die Macht. Prozesse als politische Machtinstrumente zu missbrauchen, ist das Kennzeichen autoritärer Regime und Diktaturen. Im Rechtsstaat des Grundgesetzes sind politische Prozesse der Super-GAU. Sie machen das Recht zur Farce, und sie erschüttern das Vertrauen der Bürger in das Rechtssystem. Der Prozess gegen Michael Ballweg hat den Rechtsstaat stärker beschädigt, als wir wahrhaben wollen.

Immerhin hat der Rechtsstaat am Ende nicht völlig versagt. Die Strafrichter am Landgericht in Stuttgart zeigten Unabhängigkeit. Sie wendeten schlicht das Recht an, ohne Rücksicht auf die Politik. So geht Rechtsprechung. Das zeigt: Der Rechtsstaat braucht unpolitische Gerichte. Gerichte zu politisieren, wie es etwa beim Bundesverfassungsgericht zu beobachten ist, zerstört den Rechtsstaat.

Ein Problem hat Michael Ballweg noch – und einen Hoffnungsschimmer: Das Urteil ist bisher nicht rechtskräftig. Die Staatsanwaltschaft kann noch Rechtsmittel einlegen. Angesichts der dürftigen Beweislage wäre das unverantwortlich. Noch gibt es Hoffnung, dass Staatsanwälte und Politik Einsicht zeigen. Der Schaden ist schon groß genug.

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