Andreas Herteux
Ein Fehler, denn das enttäuschende Wahlergebnis 2021 von 14,8 Prozent ist nicht nur, aber eben auch untrennbar mit der Person Baerbock verbunden.
Rückblickend wirkt dieser Moment wie der Anfang vom Ende. An diesem Montag hat der frühere Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck mitgeteilt, endgültig den Bundestag zu verlassen. „Ich habe an diesem Montag dem Bundestagspräsidium mitgeteilt, dass ich zum 1. September mein Bundestagsmandat zurückgeben werde“, sagte er im Interview mit der "taz".Über den Experten Andreas Herteux
Andreas Herteux ist ein deutscher Wirtschafts- und Sozialforscher, Publizist und der Leiter der Erich von Werner Gesellschaft. Herteux ist zugleich Herausgeber und Co-Autor des Standardwerks über die Geschichte der Freien Wähler (FW). Seine Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt.
Das Heizungsgesetz wurde zum Symbol dieses Scheiterns
Habeck war nie ein klassischer Parteipolitiker. Er kam aus der Literatur, sprach in Bildern, konnte erzählen. Als Minister in Schleswig-Holstein zeigte er, dass er gestalten konnte. Dort war Habeck beliebt, verbindlich, moderierend. Da war die Welt noch in Ordnung und der spätere Vizekanzler ein echter Hoffnungsträger über die Parteigrenzen hinaus.
Doch was auf Länderebene funktionierte, stieß im Bund schnell an seine Grenzen. Spätestens mit dem Wechsel ins Bundeswirtschaftsministerium begann der Lack zu bröckeln. Seine anfängliche Präsenz während der Energiekrise wirkte zwar noch, doch im weiteren Verlauf zeigte sich: Habeck war überfordert und setzte völlig falsche Prioritäten.
Das
Heizungsgesetz wurde zum Symbol dieses Scheiterns. Es war der Moment,
in dem der Minister seine Autorität einbüßte und sich von der
gesellschaftlichen Mitte entfremdete, die 2021 noch so viel von ihm
gehalten hatte.
Wähler sorgten sich nicht mehr um Habeck-Themen
Dass Habeck bis zuletzt ein relativ hohes Maß an Sympathie genoss, ist in erster Linie einem jahrelang gepflegten Image geschuldet. Der grüne Denker, der zweifelt, der kämpft, der reflektiert – ein Prototyp des modernen Politikers, der nicht mehr repräsentatives Vorbild sein will, sondern progressiver Kommunikator.
Manche
Medien haben auch mitgespielt, denn er entsprach vom Grundtypus dem
neuen Ideal, und dieses wurde vielleicht einmal zu oft von den
tatsächlichen Leistungen entkoppelt. Die schonende Haltung mag das
richtige Gefühl gestützt haben, sie nahm dem Vizekanzler aber auch die
Möglichkeit zur rechtzeitigen Selbstreflexion, zu der er wohl
grundsätzlich fähig gewesen wäre.
Vielleicht sind die Bürger hier dann doch die besseren Seismographen. Zweifellos passte er jedoch perfekt zum Zeitgeist. Doch dieser wandelte sich, und die postmaterielle Vorherrschaft, die 2021 noch auf dem Höhepunkt war, endete. Erst langsam, dann immer schneller. In anderen Ländern geschah dies früher. In Deutschland langsamer.
Die
Wähler sorgten sich aber irgendwann nicht oder nicht mehr um
Weltgerechtigkeit, Demokratiefördergesetze, Gendersprache, den globalen
Süden, die Aufnahme notleidender Menschen aus aller Welt, feministische
Außenpolitik, sozial-ökologische Transformation oder den Klimawandel in
ferner Zukunft – sie fürchten um ihren Wohlstand, ihre Arbeitsplätze,
ihre Versorgung und ihre Sicherheit.
Habecks Sprache verlor an Kraft, seine Analysen an Relevanz
Manche behaupten heute, das wäre schon immer so gewesen, aber hier genügt ein Blick auf die genannten Umfragewerte oder aber die 20,5 Prozent bei den Europawahlen 2019, die auch Skeptiker davon überzeugen sollte, dass die Grünen einst, auch jenseits ihres Kernklientels, sehr populär waren.
In dieser neuen Welt jedoch, die stärker auf materielle Grundsicherung und kollektive Stabilität fokussiert ist, wirkte Habeck wie ein Relikt. Seine Sprache verlor an Kraft, seine Analysen an Relevanz.
Manche Affäre wie die um Patrick Graichen kostete ebenfalls Ansehen. Das „Küchentisch-Narrativ“ erreichte nur noch die eigene Blase, auch wenn der einstige Vizekanzler sich bemühte. Die Mitte hatte sich abgewandt.
Teile der Grünen Jugend rebellierten gegen Habecks Migrationslinie
Hinzu kommt: In der eigenen Partei war Habeck längst nicht mehr unumstritten. Die Flügelkämpfe zwischen Realos und dem postmateriellen Milieu, die sich unter der Oberfläche längst zu einem ideologischen Richtungsstreit entwickelt hatten, schwelten weiter.
Habeck,
der ursprünglich als Integrator auftrat, wurde zu einer polarisierenden
Figur. Viele empfanden seinen Kurs als zu bürgerlich, zu angepasst, zu
technokratisch. Regierungsbeteiligung um jeden Preis. Teile der Grünen
Jugend rebellierten offen gegen seine Migrationslinie. Seine Machtbasis
schrumpfte.
nd
ehrlicherweise war es auch nie die Partei, die ihn zu höchsten Höhen
getragen hatte, sondern sein mediales Standing. Nur dieses ließ die
Grünen den mittigen Kurs für die Kampagnen zur Bundestagswahl 2025 –
zähneknirschend – akzeptieren.
Robert Habecks Strategie, den Mainstream und nicht die ideologisch Nahestehenden anzusprechen, galt irgendwann als gescheitert – obwohl das Wahlergebnis mit 11,6 Prozent, wohlgemerkt zu einem Tiefpunkt erzielt, nicht so weit weg ist, von dem von Baerbock 2021.
Es ging aber um die Grundausrichtung. Ein vorerst letzter Versuch, die Mitte zu erobern – am Ende sollte es nicht sein. Und in solchen Momenten kommen wohl immer wieder die Erinnerungen an Zeiten hoch, in denen dies möglich erschien.
Das verlorene Kanzleramt
Die Frage, was gewesen wäre, wenn Habeck 2021 als Kanzlerkandidat angetreten wäre, bleibt spekulativ – und doch drängt sie sich auf. Vieles spricht dafür, dass die Grünen mit ihm an der Spitze deutlich stärker abgeschnitten hätten.
Olaf Scholz gewann die Wahl mit 25,7 Prozent, während Baerbock nach zahlreichen eigenen Fehlern von noch besseren Umfragewerten unter die 15 Prozent-Marke zurückfiel. Habeck war damals populär, parteiintern respektiert, in der Öffentlichkeit präsent. Es wäre ein anderes Rennen geworden.
Habeck verlor drastisch an Strahlkraft
Dass
ausgerechnet die eigene Co-Vorsitzende ihm diesen Weg verbaute, ist
eine bittere Ironie. Der Moment, in dem Baerbock nominiert wurde,
markierte nicht nur das Ende eines möglichen grünen Kanzlerprojekts –
sondern auch den Anfang von Habecks politischer Erschöpfung.
r
musste zusehen, wie das Schiff, das er mit aufgebaut hatte, auf offener
See zu sinken begann – und durfte oder musste dennoch den Maschinenraum
übernehmen, obwohl er eigentlich am Deck den Kurs vorgeben wollte. Nur
interessierte ihn die Technik bestenfalls teilweise.
Es ist nicht ungewöhnlich, dass Politiker im Verlauf einer Regierungszeit an Strahlkraft verlieren. Doch bei Habeck ist der Fall besonders drastisch. Dass er nun sein Bundestagsmandat zurückgibt, ist folgerichtig – und auch ein symbolischer Akt. Es ist das Eingeständnis, dass ein politischer Weg zu Ende ist. Nicht abrupt, nicht dramatisch, sondern leise, beinahe melancholisch.
Habecks politisches Fallen ist exemplarisch für eine Generation von Politik
Vielleicht schreibt er bald wieder Bücher. Vielleicht kehrt er zurück zu den Dingen, die er besser beherrscht als das Ringen um Gaspreise, Industrieansiedlungen, die Kalkulation von Bäckereien oder geopolitische Lieferketten.
Robert
Habeck war zur falschen Zeit der richtige Mann – oder vielleicht der
richtige Mann zur falschen Zeit. Er stand für eine Politik des
Zweifelns, der Vermittlung, der großen Ideen – und wurde letztlich an
den für ihn kleinen Realitäten des Alltags zerrieben, die für einen
immer größer werdenden Teil der Bevölkerung allerdings weitaus
grundlegender waren. In Schleswig-Holstein durchaus ebenso erfolgreich
wie bei der Modernisierung der Partei, aber am Ende dann doch nicht auf
der größten Bühne.
Der Rücktritt vom Bundestagsmandat ist nicht überraschend, sondern konsequent
Sein politisches Fallen ist exemplarisch für eine ganze Generation von Politik, die glaubte, mit bloßem Anspruch könne man Mehrheiten gewinnen und auch dauerhaft behalten. Es ist ein charmantes Scheitern, medial durchaus bedauert.
Doch Politik braucht nicht nur Haltung, sondern auch Handwerk. Nicht nur Ideale, sondern auch Umsetzungskraft. Nicht nur Bilder, sondern belastbare Strukturen. Nicht Beliebtheit oder Sympathie, sondern vor allem Erfolg.
Robert Habeck hatte als Teil der Regierung jeweils viel von Ersterem, weniger vom Zweiten – und am Ende ist der Rücktritt vom Bundestagsmandat nicht überraschend, sondern konsequent. Der große Aufbruch endet im leisen Abgang.
Dieser Beitrag stammt aus dem EXPERTS Circle – einem Netzwerk ausgewählter Fachleute mit fundiertem Wissen und langjähriger Erfahrung. Die Inhalte basieren auf individuellen Einschätzungen und orientieren sich am aktuellen Stand von Wissenschaft und Praxis.
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