In der Stellungnahme nennt die Wahlleitung Gründe, aus denen es zur Verwechslung von Stimmzetteln gekommen sein soll. Demnach habe die beauftragte Druckerei Fehler gemacht – und die Bezirke haben offenbar wenig Sorgfalt walten lassen. So heißt es: „Nach Bekanntwerden von Vermischungen und Falschbeschriftungen von Kartons während der Briefwahl wurde allen Bezirken angeboten, die erhaltenen Pakete durch Mitarbeitende der Druckerei kontrollieren zu lassen.“ Hiervon sei jedoch nur vereinzelt Gebrauch gemacht worden.
Es liegen mehr als 30 Einsprüche gegen die Wahl vor. Eine Anfechtung kommt vom Freie-Wähler-Politiker Marcel Luthe. Luthe sagte WELT: „Es geht um ein ganz zentrales Prinzip, das Demokratieprinzip, die Frage, welche Rolle der Bürger als Souverän noch spielt. Hier wurde mit einer DDR-Nonchalance mit Wahlen umgegangen.“ Es sei „unfassbar wichtig“, dass es nun zu einer vollständigen Aufklärung komme. Denn sonst könne man „Wahlen irgendwann ganz vergessen“.
Innensenator kannte „außerordentliche Herausforderung“
Ein Anhang der Stellungnahme zeigt zudem, dass dem damaligen Innensenator Andreas Geisel (SPD) bewusst war, dass auf Berlin eine „außerordentliche Herausforderung“ zukommen würde. Neben der Abgeordnetenhauswahl fand auch die Bundestagswahl, die Wahl der Bezirksverordnetenversammlungen und ein Volksentscheid statt. In einem Brief am 21. Mai fragte der damalige Innensenator die Bezirksbürgermeister deshalb nach dem Stand der Vorbeitungen. Geisel wollte wissen, wie viele Wahlhelfer im Einsatz seien und wie die Schulungen dieser Helfer vorbereitet würden.
Dass nicht die personelle Besetzung, sondern deutlich banalere Probleme die Wahl ins Chaos stürzen würden, ahnte Geisel offenbar nicht. So gaben Wahlhelfer später in verschiedenen Bezirken zu Protokoll, dass die Stimmzettel teils bereits am Mittag ausgegangen seien. In vielen Fällen hätte der angeforderte Nachschub nicht geliefert werden können, da gleichzeitig zur Wahl der Berlin-Marathon stattfand und Straßen gesperrt waren. In vielen der Fälle mussten Helfer mit Fahrrädern selbst zu den Bezirkswahlämtern fahren und die nötigen Unterlagen abholen.Die Protokolle aus den Wahllokalen liegen dem Verfassungsgerichtshof vor. Die Wahlleitung hat laut eigenen Angaben dagegen keinen Zugang. Sie habe auch keine Ermittlungsbefugnisse, schreibt Rockmann.
Für Luthe ist das unverständlich. In Bezug auf die Protokolle sagte er: „Wieso gibt es die überhaupt, wenn hier überhaupt keine Kontrolle stattfindet? Das ist ein riesiges Problem. Wenn keiner mehr hinschaut und keiner mehr kontrolliert, dann macht keiner mehr seinen Job. Wieso denn auch?“