09 Oktober 2024

Meinungsfreiheit im Sinne des Bundesverfassungsgerichts

Das Gewicht des für die freiheitlich-demokratische Ordnung schlechthin konstituierenden Grundrechts der Meinungsfreiheit ist besonders hoch zu veranschlagen, da es gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und darin unverändert seine Bedeutung findet. (BVerfG vom 11.April 2024)
Meinungsfreiheit im Sinne des Bundesverfassungsgerichts
Die Meinungsfreiheit gerät immer mehr unter Druck, weil sie von allen Seiten unterschiedlich verstanden wird. Zu Vielen ist Toleranz ein Fremdwort. Ihnen geht´s bei Meinungsfreiheit nur noch um die Freiheit der eigenen Meinung und sie betrachten jede abweichende Meinung als „Hassrede“.
In Sachen Meinungsfreiheit gibt es in Deutschland offensichtlich zwei Fraktionen: Die eine will alles verbieten und löschen, was ihrer Meinung nach den Staat und seine Organe delegitimieren könnte oder die sie für sich als "Hass und Hetze" auslegen. Dazu zählen leider auch Minister, Personen, zu deren Amtsinhalt der Schutz der Verfassung gehört  und nicht wenige Journalisten
Die andere Fraktion steht auf dem Boden des Grundgesetzes und betrachtet die Meinungsfreiheit so, wie sie vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in mehreren Entscheidungen dargestellt wurde. Ich zähle mich zur letzteren Fraktion und habe auf diesem Blog mehrfach Entscheidungen des BVerfG festhalten.
Zur Erinnerung hier eine Zusammenstellung:
1. Grundrechte sind Abwehrrechte der Bürger gegen Übergriffe stattlicher Organe und keine Abwehrrechte des Staates gegenüber dessen Kritikern
2. Die „Ewigkeitsgarantie“ aus Art. 79 Abs.3 verbietet es dem Staat, die Grundrechte aus Art. 1 bis 20 in ihrem Wesensgehalt zu ändern
3. Gem Art. 1 GG ist die Würde des Menschen unantastbar. (Dazu gehört auch seine Meinung frei äußern zu können). Sie zu achten ist Aufgabe aller staatlichen Gewalt.
4. Gem. Art 5 GG hat jeder das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.
5. Der Meinungsäußernde ist insbesondere nicht gehalten, die der Verfassung zugrunde liegenden Wertsetzungen zu teilen, da das Grundgesetz zwar auf die Werteloyalität baut, diese aber nicht erzwingt. (BVerfG vom 28.11.2011,- 1 BvR 917/09 -) Rand Nr. 18
6. Anders als dem einzelnen Staatsbürger kommt dem Staat kein grundrechtlich geschützter Ehrenschutz zu. Der Staat hat grundsätzlich auch scharfe und polemische Kritik auszuhalten (A.a.O. Rand Nr. 24)
In seinem Beschluss vom 28. 11. 2011 -1BvR917/09 zur Meinungsfreiheit führte das Bundesverfassungsgericht weiter aus:
  •  „Vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst sind … Meinungen, das heißt durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägte Äußerungen. Sie fallen stets in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, ohne dass es dabei darauf ankäme, ob sie sich als wahr oder unwahr erweisen, ob sie begründet oder grundlos, emotional oder rational sind, oder ob sie als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt werden.( Rand Nr. 18)
  • Der Meinungsäußernde ist insbesondere auch nicht gehalten, die der Verfassung zugrunde liegenden Wertsetzungen zu teilen, da das Grundgesetz zwar auf die Werteloyalität baut, diese aber nicht erzwingt. (…)(Rand Nr. 18)
  • Allein die Wertlosigkeit oder auch Gefährlichkeit von Meinungen als solche sind kein Grund, diese zu beschränken.
  • Anders als dem einzelnen Staatsbürger kommt dem Staat kein grundrechtlich geschützter Ehrenschutz zu. Der Staat hat grundsätzlich auch scharfe und polemische Kritik auszuhalten (vgl. BVerfGE 93, 266 <292 f.>; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 15. September 2008 - 1 BvR 1565/05 -, NJW 2009, S. 908 <909>). Rand Nr. 24
  • Bei Staatsschutznormen ist dabei besonders sorgfältig zwischen einer – wie verfehlt auch immer erscheinenden – Polemik auf der einen Seite und einer Beschimpfung oder böswilligen Verächtlichmachung auf der anderen Seite zu unterscheiden, weil Art. 5 Abs. 1 GG gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und darin unverändert seine Bedeutung findet.“
7.  BVerfG Beschluss vom 12. Mai 2009 - 1 BvR 2272/04)
„Eine Aussage, die polemisch oder verletzend formuliert ist, fällt auch dann unter das Recht der freien Meinungsäußerung, solange diese nicht für private Auseinandersetzungen missbraucht, sondern in erster Linie sachbezogen zu öffentlich berührenden Fragen geäußert wird. In der öffentlichen Auseinandersetzung, insbesondere im politischen Meinungskampf, müsse daher auch Kritik hingenommen werden, die in überspitzter und polemischer Form geäußert wird, weil andernfalls die Gefahr einer Lähmung oder Verengung des Meinungsbildungsprozesses drohe“.
Im jüngsten Urteil von 2024 bekräftigte das BVerfG sein Urteil von 2011:
Leitsätze:
1. Dem Staat kommt kein grundrechtlich fundierter Ehrenschutz zu. Der Staat hat grundsätzlich auch scharfe und polemische Kritik auszuhalten.
2. Es dürfen zwar auch staatliche Einrichtungen vor verbalen Angriffen geschützt werden, aber ihr Schutz darf nicht dazu führen, dass stattliche Einrichtung gegen öffentliche Kritik, die von dem Grundrecht der Meinungsfreiheit  gewährleistet werden soll, abgeschirmt werden.

Auszüge BVerfG:
"Dem Staat kommt kein grundrechtlich fundierter Ehrenschutz zu. Der Staat hat grundsätzlich auch scharfe und polemische Kritik auszuhalten.
 Zwar dürfen grundsätzlich auch staatliche Einrichtungen vor verbalen Angriffen geschützt werden, da sie ohne ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Akzeptanz ihre Funktion nicht zu erfüllen vermögen. Ihr Schutz darf indessen nicht dazu führen, staatliche Einrichtungen gegen öffentliche Kritik – unter Umständen auch in scharfer Form – abzuschirmen, die von dem Grundrecht der Meinungsfreiheit in besonderer Weise gewährleistet werden soll, und der zudem das Recht des Staates gegenübersteht, fehlerhafte Sachdarstellungen oder diskriminierende Werturteile klar und unmissverständlich zurückzuweisen. Tritt der Zweck, die öffentliche Anerkennung zu gewährleisten, die erforderlich ist, damit staatliche Einrichtungen ihre Funktion erfüllen können, in einen Konflikt mit der Meinungsfreiheit, erlangt der Einfluss von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG daher gesteigerte Bedeutung Das Gewicht des für die freiheitlich-demokratische Ordnung schlechthin konstituierenden Grundrechts der Meinungsfreiheit ist dann besonders hoch zu veranschlagen, da es gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und darin unverändert seine Bedeutung findet.“ (Rd. Nr.29)

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