27 Oktober 2024

Deutschland betreibt eine Asylpolitik gegen die Interessen der eigenen Bevölkerung (NZZ)

Deutschland betreibt eine Asylpolitik gegen die Interessen der eigenen Bevölkerung (NZZ)
Zwei linke Politiker fordern die deutsche Asylpolitik heraus: Der eine erzählt, wie seine Tochter von Migranten belästigt wird. Der andere berichtet von seinen Erfahrungen als Homosexueller. Die Debatte hat sich verändert, nur die Politik hinkt noch hinterher.
Von Benedikt Neff, 17.10.2024, 6 Min.
In Europa beschleicht immer mehr Menschen das Gefühl, dass die Migration und insbesondere die Asylmigration ihren Interessen zuwiderläuft. Geld spielt eine untergeordnete Rolle, viel schwerer wiegen die sicherheitspolitischen Bedenken. Terroranschläge, Messerattacken und Vergewaltigungen haben laut Polizeistatistiken zugenommen, und in allen drei Bereichen sind Ausländer als Täter stark überrepräsentiert. Wobei es die Herkunft zu präzisieren gilt. Bei Fällen von Gruppenvergewaltigungen etwa zeigt sich, dass überproportional viele Täter aus arabischen oder islamisch geprägten Ländern stammen. Sie sind bei Sexualdelikten generell stark übervertreten.
Lange wurden diese Vorkommnisse der Bevölkerung als Kollateralschäden der Asylpolitik verkauft. Die Erzählung ging so: Nur eine verschwindend kleine Minderheit von Asylsuchenden begehe solche Straftaten, während sich die Mehrheit vorbildlich integriere. Politiker verurteilen die Taten aufs Schärfste, aber sie signalisieren auch, dass die angebliche Humanität Europas letztlich alternativlos sei. So tragisch eine Messerattacke durch einen abgewiesenen und vorbestraften Asylsuchenden an einem Stadtfest ist, sie soll an der prinzipiellen Aufnahmebereitschaft nichts ändern. Dies entspreche den Werten der liberalen Gesellschaft.
Dieses humanitäre Dogma ist fragwürdig geworden, und zu Recht wird es zunehmend angefochten. Nicht weil die Aufnahmegesellschaften Asylsuchende generell als Bedrohung sähen, sondern weil sie die kumulierten Einzelfälle nicht mehr tragen wollen. Weil die Folgen des asylpolitischen Versagens in ihrem eigenen Leben spürbar werden. Und weil das Vertrauen in die Problembewältigung durch die Politik – nach vielen Sonntagsreden und erfolglosen Abschiebeplänen – klein geworden ist.

Özdemir wird persönlich

In Deutschland hat der Grünen-Politiker Cem Özdemir die Asyldebatte mit einem Gastbeitrag in der «FAZ» neu entfacht. Im Kern schrieb er: Überwiegend junge Männer ersuchen um Asyl. Sie sind überproportional häufig kriminell und höhlen mit ihren Taten die Akzeptanz für das Grundrecht auf Asyl aus. Während es die, die den Schutz am nötigsten hätten, meistens gar nicht nach Europa schaffen. So weit, so bekannt und zigfach geschrieben.

Özdemir hat jedoch etwas gemacht, was ihm viele übel nehmen. Er ist persönlich geworden und hat aus seinem eigenen Leben beziehungsweise aus dem seiner Tochter erzählt. «Wenn sie in der Stadt unterwegs ist, kommt es häufiger vor, dass sie oder ihre Freundinnen von Männern mit Migrationshintergrund unangenehm begafft oder sexualisiert werden.»

Bei der Benennung des Problems, das dahintersteckt, wird Özdemir ebenso deutlich: «Die patriarchalen Strukturen und die Rolle der Frau in vielen islamisch geprägten Ländern.» Zwei starke Wortmeldungen gaben Özdemir Support. Ninve Ermagan erzählte in der «FAZ», wie ihr Männer mit Migrationshintergrund regelmässig nachstellen – und von einer körperbetonten Kleidung offenbar ein Zugriffsrecht auf die Frau ableiten. Michael Kyrath wiederum betonte in einem offenen Brief auf der Website «Die Achse des Guten» die Notwendigkeit zu handeln. Seine siebzehnjährige Tochter und ihr Freund sind im vergangenen Jahr in einem deutschen Regionalzug von einem mehrfach vorbestraften Palästinenser mit 38 Messerstichen ermordet worden.

Empörung ohne Maß

Die Empörung auf Özdemirs Artikel folgte ebenfalls sogleich, und sie dürfte umso grösser gewesen sein, als sich hier ein Linker zu Wort gemeldet hatte, der auch noch einen – türkischen – Migrationshintergrund hat. Die Journalistin Annika Brockschmidt teilte auf Twitter mit: «Sorge um die Tochter wegen illegaler Migranten ist nun wirklich das sexistischste, rassistischste Klischee schlechthin.» Der Historiker Jürgen Zimmerer rief den Grünen-Politiker Özdemir als «ein Gesicht der völkischen Wende in der Bundesrepublik» aus.

Natürlich durften auch die Stimmen nicht fehlen, die an dieser Stelle auf die häusliche Gewalt und die kriminelle Energie der deutschen Männer hinwiesen. Der «Freitag» fragte rhetorisch: «Lieber Cem Özdemir, ist Deutschland kein Land mit patriarchalen Strukturen?» Am bizarrsten war jedoch die Wortmeldung des innenpolitischen Sprechers der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Alexander Throm. Er fand die Instrumentalisierung der Tochter für politische Zwecke «geradezu abstossend». Was soll daran abstossend sein, der Tochter – mit ihrer ausdrücklichen Einwilligung – eine Stimme im politischen Diskurs zu geben und ihre Sorgen, die auch die Sorgen des Vaters sind, zu äussern? Das scheint für einen Unions-Politiker zu realitätsnah zu sein. Man fühlte sich sogleich an die Masslosigkeit der deutschen Debatten während der Flüchtlingskrise erinnert.

Aber der Schein trügt. Die Debatte ist an einem ganz anderen Ort als 2015. Dies verdeutlicht eine weitere Wortmeldung, ebenfalls von links. Kurz bevor Kevin Kühnert seinen Rücktritt als SPD-Generalsekretär bekanntgab, sprach er öffentlich die Anfeindungen durch muslimische Männer an, denen er als Schwuler in Berlin ausgesetzt ist: «Natürlich ist der Grossteil der Muslime in meinem Wahlkreis nicht homophob. Aber die, die es sind, schränken meine Freiheit ein und haben kein Recht darauf. Und darüber werde ich nicht aus taktischen Gründen schweigen.»

Immer schön eine Armlänge Abstand halten

Noch immer gibt es Politiker und Intellektuelle, die solche Wortmeldungen tabuisieren wollen, aber diese bahnen sich nun zunehmend ihren Weg in die Öffentlichkeit. Und sie machen es auch den linken Parteien schwer, sich den unangenehmen Realitäten zu verweigern. Man erinnere sich: An der Kölner Silvesternacht von 2015/16 kam es zu massenhaften sexuellen Übergriffen. Danach riet Henriette Reker, die Oberbürgermeisterin, den Frauen noch, zu Fremden «eine Armlänge» Abstand zu halten. Nicht die übergriffigen Migranten sollten ihr Verhalten anpassen, sondern die Frauen.

Wenig später wurde eine Politikerin der Linkspartei von arabischen Migranten auf einem Spielplatz in Mannheim vergewaltigt. Als die Frau zur Polizei ging, meldete sie lediglich einen Diebstahl und sprach auch von deutschen Tätern. Später gab sie zu: «Ich habe gelogen, weil ich Angst hatte, dass die Vergewaltigung von rechts missbraucht wird, um die Hetze gegen Flüchtlinge weiter anzuheizen, die gerade nach den Vorfällen in Köln in der Silvesternacht dramatisch angestiegen ist.»

Das Beispiel ist krass, aber es steht stellvertretend für die deutsche Realitätsverweigerung in der Asylpolitik. Und für Politiker, die ihren Schutzinstinkt für Migranten bis aufs Äusserste treiben. Nur können sie nicht erwarten, dass ihre asylpolitischen Ideale von der Bevölkerung bis zur Selbstgefährdung mitgetragen werden. Zu diesem Punkt ist die Asyldebatte in Deutschland vorgestossen.

Ohne Abschiebungen ist das Asylsystem eine Farce

Gleichzeitig hinkt das Land realpolitisch den meisten europäischen Staaten hinterher. Dies liegt auch daran, dass die deutschen Politiker, wenn es um Migration geht, immer noch in einem Links-rechts-Schema gefangen sind. Dabei gilt es, Probleme pragmatisch zu lösen.

Italien lagert Asylaufnahmezentren nach Albanien aus und versucht da die Verfahren zu beschleunigen. Polen will das Recht auf Asyl zeitweise aussetzen lassen, um die Kontrolle darüber zurückzugewinnen, wer in das Land einreist – federführend ist der liberale Ministerpräsident Donald Tusk. Dänemark verzeichnete 2023 lediglich 2355 Asylanträge – in Deutschland waren es über 350 000. Die dänischen Sozialdemokraten haben die Asylpolitik zu einem Schwerpunktthema gemacht mit einem Bündel von Massnahmen: Beschränkung des Familiennachzugs, erschwerte Erlangung der Staatsbürgerschaft, mehr Abschiebungen.

Vor allem die Abschiebungen sind entscheidend. Solange Europa – unabhängig vom Verlauf eines Asylverfahrens – nicht in der Lage ist, Menschen zurückzuführen, ist die europäische Asylpolitik eine Farce. Die dänischen Rückführungszentren werden vom Europarat stark kritisiert, sie seien schlimmer als russische Gefängnisse. Daran darf man zweifeln. Es muss möglich sein, Menschen zu inhaftieren, die nicht ausreisen wollen. Im Zweifel braucht es hier rechtliche Anpassungen.

Den asylpolitischen Eskapismus offenbarte die deutsche Regierung, als sie nach dem Terroranschlag von Solingen ein neues Verbot einführte – keine Messer im Nahverkehr und auf Volksfesten. Für sie scheint das Messer die Wurzel des Problems zu sein, nicht die jungen arabischen Männer, die es in der Hand führen. Dennoch zeigen die Einführung von Grenzkontrollen, die Tendenz zu mehr Sachleistungen und Abschiebungen auch in Länder wie Afghanistan, dass sich in Deutschland allmählich etwas bewegt.

Das System kollabiert, es braucht ein neues

Eine geordnete Asylpolitik funktioniert nur durch ein Bündel verschiedener Massnahmen. Dazu gehören auch Grenzkontrollen und Zäune. Die Europäische Union hat darin versagt, die Asylpolitik zu gestalten. Deshalb ist es nur legitim, wenn die einzelnen Mitgliedstaaten nun selbst Tatsachen schaffen. Dieses nationalstaatliche Handeln wird die Flüchtlingsströme verlagern und zu neuen Problemen führen – denn die Asylmigration wird sich immer da konzentrieren, wo die Asylsuchenden die attraktivsten Bedingungen vorfinden. Wenn sich niemand mehr an das Asylsystem hält, erhöht dies den Druck, dieses System auf europäischer Ebene endlich ernsthaft neu zu entwerfen.

Zwei Gedanken sollten dabei zentral sein. Das heutige Asylsystem ist nicht erhaltenswert, es ist auch nicht human. Für die Asylsuchenden ist es ein Survival-of-the-fittest-Programm – die Stärksten kämpfen sich durch nach Europa, Zehntausende sterben auf dem Weg. Der Migrationsexperte Ruud Koopmans fasst das so zusammen: «Es gibt kein Migrationssystem, das so tödlich ist wie das europäische.»

Für die Europäer wiederum ist diese Asylpolitik eine Gefahr. Denn immer wieder zeigt sich, dass Behörden selbst die Interessen von Wiederholungstätern stärker gewichten als die der restlichen Bevölkerung. Und das führt zum zweiten Punkt: Die Interessen der Bürger müssen auch in der Asylpolitik zentral sein. Eine Asylpolitik jedoch, die den Verdacht erweckt, das Leben der Einheimischen zu verschlechtern und zu gefährden, wird bald keine Akzeptanz mehr finden.

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