Doch statt für eine funktionierende Infrastruktur zu sorgen, sieht der ehrgeizige Netzagenturchef Klaus Müller, ein alter Parteifreund und Schützling von Habeck, seinen Job darin, digitale Debatten inhaltlich zu regulieren – und damit einen hochsensiblen Kernbereich der demokratischen Öffentlichkeit anzutasten, für den seine Infrastrukturbehörde gemäß Artikel 5 des Grundgesetzes, der die Meinungs- und Pressefreiheit vor staatlichem Zugriff schützt, nicht den Hauch einer Zuständigkeit reklamieren dürfte.
Das hielt Klaus Müller nicht davon ab, schon im März 2024 in einem beeindruckend unkritisch geführten „Spiegel“-Interview
seine Pläne offen zu Protokoll zu geben: „Aber Märkte benötigen
Spielregeln und Schiedsrichter – und für den Onlinebereich gilt das
besonders.“ Für die Rolle dieses Diskursschiedsrichters, der folglich
auch die Gelben und Roten Karten verteilen darf, brachte sich Müller auf
verfassungsjuristisch hemdsärmelige Weise selbst ins Gespräch: „Da
braucht es jemanden, der die neuen Spielregeln durchsetzt, der sie
erklärt und die Bürger und Unternehmen auch berät.“
Wie bitte? Der Staat soll der öffentlichen Auseinandersetzung die Regeln vorgeben? Es sagt viel über die schwere Krise des liberalen Rechtsstaats seit der Corona-Zeit, dass diese anmaßende Ankündigung weder in der Politik noch in den Medien große Wellen schlug (WELT kommentierte damals kritisch). Insofern verwundert es kaum, dass Müller seiner Ansage nun Taten folgen lässt – und die Bundesnetzagentur in ihrer jüngsten Pressestelle die Einrichtung einer „Meldestelle“ verkündet, deren Aufgabenbereich sie im Sound eines Entsorgungs-Dienstleisters bewirbt: „Illegale Inhalte, Hass und Fake News können sehr schnell und ohne bürokratische Hürde entfernt werden.“
Über „illegale Inhalte“ aber entscheiden in Deutschland
aus guten Gründen die Gerichte und nicht nassforsche
Regulierungsbehörden – so sieht es jedenfalls die Gewaltenteilung
zwischen Judikative und Exekutive vor. Und was „Hass“ ist und was
berechtigte Kritik, was „Fake News“ sind und was nur abweichende
Perspektiven, das kann in einer demokratischen Gesellschaft zwar
fortlaufend diskutiert, aber niemals von offizieller Seite festgelegt
werden.
Die Bundesnetzagentur allerdings strebt genau diese Festlegung nun an: Ihre erste „Meldestelle“ wird im postmodernen Polit-PR-Neusprech als „Trusted Flagger“ (sinngemäß: „vertrauenswürdiger Hinweisgeber“) vorgestellt. Es handelt sich dabei – und jetzt kommt es ganz hart – um „die Meldestelle REspect! der Stiftung zur Förderung der Jugend in Baden-Württemberg mit Sitz in Sersheim“.
Gefährliche Definitionsmacht
Ganz oben auf der Internetseite dieser Organisation, deren Name „REspect!“ unheilvoll an einen sprachlich-typographischen Auffahrunfall erinnert, prangt kämpferisch ein fünfzackiger Stern, der allerdings aktivistisch pink und nicht sozialistisch rot eingefärbt ist. Darunter öffnet sich unter dem barschen Befehl „HETZE MELDEN!“ eine Eingabemaske für Link, Screenshot und Fallbeschreibung. Ganz unten schließlich findet sich der entlarvende Hinweis, die Organisation wolle nicht nur „Volksverhetzung“ und „politisch motivierte Drohungen“ bekämpfen – die ja ohnehin vom Strafgesetzbuch abgedeckt werden –, sondern auch „Hetze, Verschwörungserzählungen und Fake News“.
Das
aber sind gefährlich schwammige Formeln an der Grenze zur Beliebigkeit –
und sie sind bestens dazu geeignet, legitime Meinungsäußerungen je nach
politischer Perspektive willkürlich zu disqualifizieren. Wer die
Definitionsmacht über diese Begriffe besitzt, der kontrolliert auch den
Diskurs: Das machen nicht nur autoritäre Systeme von Russland über die
Türkei bis China vor, die sich bei der Bekämpfung von Kritik genau
dieser Vokabeln bedienen. Das zeigt sich immer öfter auch in
Deutschland, seit der Bundesverfassungsschutz unter dem Label
„Delegitimierung des Staates“ auch fundamental-regierungskritische
Positionen erfasst, gegen die juristisch gar nichts einzuwenden ist und
die gerade eine wehrhafte Demokratie unbedingt zulassen und ertragen
muss.
Nun darf also eine aktivistische NGO aus der schwäbischen Provinz im Auftrag eines grünen Cheftechnokraten über „Hetze, Verschwörungserzählungen und Fake News“ entscheiden. Und „REspect!“ soll keineswegs bloß Empfehlungen abgeben, der „Trusted Flagger“ ist mit weitreichenden Vollzugsgewalten ausgestattet: „Plattformen sind gesetzlich verpflichtet“, vermeldet die Bundesnetzagentur stolz, „Meldungen von Trusted Flaggern prioritär zu behandeln und unverzüglich Maßnahmen wie beispielsweise die Löschung der Inhalte zu ergreifen.“
Dass eine solche Regelung dazu führt, dass „Meldungen“ ohne große Überprüfungen von den Plattformen umgesetzt werden, versteht sich von selbst – welcher Konzern riskiert schon Millionenstrafen, um im Zweifel auch die Meinungsfreiheit einzelner Nutzer zu verteidigen? Tatsächlich tut Müllers Bundesnetzagentur ganz unschuldig so, als würde sie lediglich EU-Recht umsetzen, und behauptet, die „Trusted Flaggers“ spielten „eine zentrale Rolle bei der Umsetzung des Digtal Services Act, um illegale Inhalte im Netz wirksam zu bekämpfen“.
Ganz abgesehen davon, dass dieser großflächige Übergriff der EU auf die freie Meinungsbildung in den einzelnen Mitgliedstaaten verfassungsrechtlich hochbedenklich ist, entlarvt schon die Pressemitteilung der Bundesnetzagentur die Verlogenheit des Arguments, es gehe um „illegale Inhalte“. Denn „Hass und Fake News“ mögen kritikwürdig sein, illegal sind sie keineswegs, wie vermutlich sogar Klaus Müller weiß. Die offene Missachtung dieses für einen Rechtsstaat wesentlichen Unterschieds durch eine Regierungsbehörde muss man als Fahrlässigkeit, wenn nicht gar als bewusste Irreführung bezeichnen.
So entsteht, mit europäischer Rückendeckung, eine Art pinkfarbene Paralleljustiz, die unter Umgehung der zuständigen rechtsstaatlichen Institutionen die Debattenlandschaft aufräumt und säubert – „sehr schnell und ohne bürokratische Hürde“, wie ausgerechnet die Bürokraten von der Bundesnetzagentur texten. Für eine so nette, serviceorientierte und hilfsbereite Zensurmaschine fehlte selbst George Orwell die Phantasie.
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