Ein anderes Beispiel von vielen: Die Corona-Zeit hat viele Wunden gerissen und die Demokratie an ihre Grenzen geführt. Darüber muss offen geredet werden. Viele Bürger haben das Bedürfnis, das Geschehen aufzuarbeiten. Auch das ignoriert die Politik. Die Mehrheit im Bundestag beschließt kürzlich: Jedenfalls in dieser Legislaturperiode gibt es keine Aufarbeitung. Das sind nur zwei von vielen Beispielen. Die Folge: Die Bürger fühlen sich nicht ernst genommen, sie fühlen sich abgekanzelt, ignoriert, hilflos und ohnmächtig. Auf die Dauer führt das zu Verbitterung und Aggression, zu Verrohung.
Der repressive Weg
Man
sollte meinen, dass die Regierung Ursachenforschung betreibt: Was sind
die Ursachen für die zunehmende Verrohung? Und daraus folgend: Welche
Maßnahmen sind nötig und erfolgversprechend? Diesen rationalen Weg
schlägt die Regierung nicht ein. Sie geht den repressiven Weg. Die
Ampelregierung verschärft das politische Strafrecht. Der vorgelegte
Gesetzesentwurf enthält zahlreiche Regelungen und Strafen für Übergriffe
auf Personen, die dem Gemeinwohl dienen. Ausdrücklich geht es nicht nur
um körperliche Gewalt, sondern auch um verbale Angriffe. Mit anderen
Worten: Das Gesetz zielt auch auf das, was die Regierung unter „Hass und Hetze“ versteht.
Denn Hass und Hetze sind in der Lesart der Regierung
gemeinwohlschädliche und demokratiefeindliche Straftaten, die vom
Staatsanwalt verfolgt werden müssen.
Unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten ist das hochproblematisch. Nicht selten sind Hass und Hetze aber zulässige, von der Verfassung geschützte Kritik an der Politik der Regierung. Weil die Demokratie vom kritischen Diskurs lebt, ist heftige, polemische, überzogene Kritik das Lebenselixier der Demokratie. Was Regierung und Staatsanwalt als Hass und Hetze bezeichnen, ist in vielen Fällen nicht demokratiefeindlich, sondern Machtkritik, ohne die es keine Demokratie geben kann. Nach dem geplanten Gemeinwohl-Schutz-Gesetz wäre dann die in der Demokratie übliche und notwendige Kritik an der Macht strafbar. Wie sich das mit dem Grundgesetz verträgt, ist das Geheimnis der Ampel-Regierung.
Strafrecht als Grenze der Meinungsfreiheit
Der Schutzbereich der Meinungsfreiheit reicht sehr weit, viel weiter, als viele denken. Das Bundesverfassungsgericht hat das in seinem grundlegenden Wunsiedel-Urteil 2009 präzise auf den Punkt gebracht. Es kommt nicht darauf an, ob eine Meinungsäußerung „begründet oder grundlos, emotional oder rational ist, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt wird“. Sie genießt in jedem Fall den Schutz des Grundrechts.
Wie alle anderen Grundrechte auch, ist die
Meinungsfreiheit nicht unbegrenzt. Auch andere Grundrechte und
Grundwerte der Verfassung sind genauso wichtig wie die Meinungsfreiheit.
Die entscheidende Grenze für die Meinungsfreiheit ist das Strafrecht.
Was strafbar ist, wird nicht vom Grundrecht der Meinungsfreiheit
geschützt. Meinungsäußerungen etwa, die Beleidigungen, Bedrohungen oder
Volksverhetzung sind, schützt die Verfassung nicht.
So wichtig das Strafrecht als Grenze der Meinungsfreiheit ist, so gefährlich ist es für die Meinungsfreiheit. Je restriktiver und repressiver strafrechtliche Normen werden, desto kleiner wird der Schutzbereich der Meinungsfreiheit. Das ist problematisch. Der Gesetzgeber hätte es in der Hand, durch immer repressivere Strafrechtsnormen den Schutzbereich der Meinungsfreiheit zu minimieren. Diese Gefahr hat das Bundesverfassungsgericht früh gesehen. Seine Wechselwirkungs-Rechtsprechung begrenzt deshalb die Möglichkeiten des Gesetzgebers, die Meinungsfreiheit einzuschränken. Weil die Meinungsfreiheit für die Demokratie essenziell wichtig ist, dürfen Gesetze sie nur sehr begrenzt einschränken. Das gilt in besonderem Maße für das Strafrecht, das eine harte Grenze zieht. Dass das Gemeinwohl-Schutz-Gesetz diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt, ist höchst zweifelhaft.
Gefahr für die Freiheit – unscharfe Begriffe
Der Schlüsselbegriff des Gesetzentwurfs ist „Gemeinwohl“. Das Gesetzesvorhaben stellt verbale und gewalttätige Übergriffe unter Strafe, die das Gemeinwohl beeinträchtigen können. Was ist eigentlich das Gemeinwohl? Der Begriff ist extrem unscharf und lässt große Spielräume für subjektive Auslegungen. Das öffnet der Willkür von Behörden und Gerichten Tür und Tor. Gleichzeitig hängen von diesen subjektiven Auslegungen aber strafrechtliche Konsequenzen ab. Willkür und Strafrecht – das ist eine Kombination, die der Rechtsstaat des Grundgesetzes überhaupt nicht akzeptiert. Die Verfassung stellt deshalb sehr strenge Anforderungen an die Bestimmtheit von strafrechtlichen Normen und Begriffen. Nulla poena sine lege heißt das im Verfassungslatein. Sie müssen klar und eindeutig sein. Der Bürger muss immer ganz genau wissen können, was konkret verboten ist und wie er sich verhalten soll. Das schützt seine Freiheit.
Der Gesetzentwurf ist ein typisches Beispiel dafür, wie man Grundrechte ganz versteckt durch kleine Änderungen im Strafrecht einschränken kann. Er enthält kleine, aber böse Verschärfungen des Strafrechts, die sich negativ auf die Meinungsfreiheit auswirken. Das Strafrecht ist das schärfste Schwert des Staates. Ein freiheitlicher Staat sollte dieses Instrument deshalb sehr zurückhaltend einsetzen. Die Ampel-Regierung tut hier das Gegenteil. Sie schärft das Strafrecht und beschränkt dadurch die Freiheit. Die Koalition behauptet, dass das Gesetz die Demokratie schützen soll. In Wirklichkeit ist das Gesetz demokratiefeindlich. Es vergiftet den demokratischen Diskurs, denn ohne Meinungsfreiheit gibt es keine Demokratie.
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