29 Oktober 2024

The Pioneer Business Class Edition - Olaf Scholz: Ende der Volkspartei SPD

Business Class Edition
Olaf Scholz: Ende der Volkspartei SPD
Gabor Steingart, 29.10.2024
Guten Morgen,
die auf offener Bühne ausgetragenen Feindseligkeiten von Scholz, Habeck und Lindner sind einer Regierung unwürdig. Die Tatsache, dass jeder den anderen mit Leuchtmunition beschießt, taucht das Ampel-Projekt in ein unseriöses Licht.
Warum das wichtig ist? Man hat das Gefühl, da sind nicht Politiker, sondern Pyrotechniker am Werk. Das Spiel mit dem Feuer eines Koalitionsbruches tut keinem der Beteiligten gut.
Fortgesetzter Reputationsverlust: Vor allem der Kanzler leidet. Seine Kanzlerautorität wirkt schon vor Ablauf der Legislatur wie erloschen. Die Zeit für einen ersten Nachruf scheint gekommen.
Was bleibt? Zumindest das Wort „Zeitenwende“ dürfte die Jahre überdauern, denn damit hat Scholz eine Zäsur beschrieben. Allerdings hat er diese Zäsur nicht gewollt und nicht herbeigeführt. Für die doppelte Disruption zeichnen Putin und Trump verantwortlich. Putin hat einen europäischen Krieg angezettelt und Trump machte den Deutschen klar, dass die Vollkaskoversicherung der Nato zu rabattierten Prämien für sie endet. Scholz war also nicht der Vater der Zeitenwende, nur ihr Notar.

Seine größte Spur hinterlässt Scholz nicht in Staatsangelegenheiten, sondern in Parteifragen. Hier hat er gewirkt, wenn auch verhängnisvoll für die SPD. Es hilft kein Drumherumreden mehr: Deutschlands älteste Partei hat in seiner Kanzlerschaft aufgehört, eine Volkspartei zu sein.

Der Schadensfall ist eingetreten, weil der Jurist Scholz zwei historische Lektionen für sich nie angenommen hat. Die eine Lektion verdanken wir dem innerparteilichen Reformer Willy Brandt, lange bevor er Kanzler wurde, die andere dem Sozialisten-Hasser Otto von Bismarck.

#Die Willy-Brandt-Lektion: Die SPD ist Volkspartei oder gar nicht

Es war Berlins Regierender Bürgermeister Willy Brandt, der im November 1959 in einer fulminanten Rede das neue Grundsatzprogramm der Partei vorstellte. Es ging in Bad Godesberg um den Abschied vom Klassenkampf.

Nach drei verlorenen Bundestagswahlen erkannte die Partei, dass man neue Wählerschichten gewinnen muss, wenn man Mehrheitspartei werden will. Die Überwindung des Kapitalismus, der eben erst ein deutsches Wirtschaftswunder vollbracht hatte, war weder für die Industriearbeiter noch für das Bürgertum attraktiv.

Es kam zur Programmumkehrung. Nun hieß es: „So viel Markt wie möglich, so viel Planung wie nötig“. Der demokratische Sozialismus war passé.

Scholz hat die von Brandt, Schmidt und Schröder geweitete SPD wieder verengt. Die Handschrift der SPD in der aktuellen Regierung ist keine marktwirtschaftliche, sondern eine dirigistische.

Sozialstaat zuerst: Verbal wird „die arbeitende Mitte“ hochgehalten, im Alltag aber hat man sich dem „Social Engineering“ verschrieben, der Perfektionierung des Sozialstaates.

Die 50 Milliarden für das Bürgergeld knöpft man der arbeitenden Mitte ab, um es der nicht arbeitenden Unterschicht zu überweisen.

Die Migrationspolitik der SPD hat im Wesentlichen eine Zuwanderung in den Sozialstaat bewirkt und nicht in den Arbeitsmarkt. Die arbeitende Mitte spürt, dass hier erneut ihre Energiespeicher angezapft werden.

Die Überpriorisierung der Klimapolitik, die zur Verteuerung der Energie, zur Einschränkung von Unternehmerfreiheit und letztlich zur wirtschaftlichen Stagnation des Landes führte, hat der Industriearbeiterschaft Schaden zugefügt. Die Werksschließungen bei Volkswagen sind für die arbeitende Mitte keine Verheißung.

#Die Otto-von-Bismarck-Lektion: Kleine Parteien werden durch Verfolgung groß

Die Lehre des autoritären Bismarck-Reiches war: Druck erzeugt Gegendruck. Und Überdruck formt, festigt und vergrößert Parteien.

Das „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ von 1887 war Bismarck’s Schwert, mit dem er die Sozialistische Arbeiterpartei (SAP), welche wenig später zur SPD wurde, einen Kopf kürzer machen wollte. Ihre Zeitungen wurden zensiert, ihre Versammlungen behindert. Zum Schluss drohte er ihr mit einem Parteienverbot.

Aber dazu kam es nicht mehr. Eine Partei von den Reichstagswahlen auszuschließen, die sich zunehmender Beliebtheit erfreute, traute er sich dann doch nicht. So konnte die Arbeiterschaft dem Kanzler weiterhin zeigen, dass sie von seiner Ächtungspolitik nichts hielt.

In der Halblegalität entwickelte sich die SAP prächtig. Ihre Stimmenanteile haben sich von der Wahl 1884 mit 9,7 Prozent bis zur Wahl 1890 mit 19,7 Prozent mehr als verdoppelt.

Vergleichen heißt nicht gleichsetzen. Aber die Anti-AfD-Politik des Kanzlers, die eine ineffektive Migrationspolitik mit der Androhung des AfD-Parteiverbots kombiniert, brachte der SPD keine Linderung. Bismarck kämpfte seinen Kulturkampf gegen links, Scholz seinen gegen Rechts. Das Ergebnis bleibt das gleiche. Klein wird groß.

Je wütender der Kanzler auf „die Rechten“ eindrosch, je drastischer SPD-Chef Lars Klingbeil die AfD-Vorsitzende als „Nazi“ bezeichnete und je unverhohlener die Geheimdienste agierten – die jetzt nicht mehr geheim, sondern öffentlich das Etikett „gesichert rechtsextrem“ verteilten – desto größer fiel der Zuspruch für die Geächteten aus.

Wählerwanderung: Scholz hat aus der AfD-Wahl eine Mutprobe für frustrierte SPD-Wähler gemacht. Von der vergangenen Bundestagswahl (10,4 Prozent) bis heute hat sich die Partei laut jüngster Insa-Umfrage auf 19 Prozent nahezu verdoppelt. Viele, die einst zur Stammwählerschaft der SPD gehörten, sind auf der Wanderschaft.
Fazit: Scholz hat die Volkspartei SPD auf dem Gewissen. In diesem Zustand wird die Sozialdemokratie womöglich nie mehr einen Kanzler stellen können. Im Geschichtsbuch könnte es dann heißen: Brandt. Schmidt, Schröder, Scholz, Schluss.

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