Weimann:
Die Politik hat zwei Kardinalfehler begangen und begeht sie bis heute.
Erstens hat man die Kosten der Klimapolitik konsequent ignoriert. Die
Bundesregierung weiß bis heute nicht, was ihre Maßnahmen kosten.
Zweitens hat man auch die Frage ignoriert, was die Klimapolitik denn
eigentlich bringt, wie viel CO₂ tatsächlich eingespart wird. Ein
Beispiel: Mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz EEG regulieren wir in
Deutschland einen Bereich, nämlich den Energiesektor, der durch den
Emissionshandel der Europäischen Union bereits reguliert ist. Dort wird
die CO₂-Emission mengenmäßig strikt begrenzt. Über die noch erlaubte
Menge werden Berechtigungen ausgestellt und jeder der emittiert, braucht
eine solche.
WELT: Was folgt daraus?
Weimann: Deshalb
verpuffen Alleingänge: Jede Tonne CO₂, die in Deutschland vermieden
wird, wird anderswo in Europa emittiert, weil sich ja die Zahl der
Berechtigungen nicht verändert. Es zählt deshalb nur Europas
Gesamtbilanz und die sinkt weder durch Wind- und Solarenergie in
Deutschland noch durch den Kohleausstieg. Ich habe sehr oft versucht,
diesen Mechanismus Politikern zu erklären. Ich war dabei nicht
erfolgreich. Die Botschaft, dass die Energiewende teuer aber weitgehend
wirkungslos ist, wollte niemand hören.
WELT: Deutschlands Energiewende versucht noch immer, was Sie schon zu Beginn kritisierten, nämlich das CO₂ dort einzusparen, wo viel emittiert wird.
Weimann: Auch so ein Kardinalfehler, der trotz Warnung einfach durchgezogen wird. Man müsste eigentlich dort CO₂ sparen, wo es kostengünstig ist. Es ist doch so: Wenn man viel CO₂ einsparen will, und weiß, dass das etwas kostet und wenn man berücksichtigt, dass wir nur begrenzte Mittel zur Verfügung haben, dann muss man zwingend dort einsparen, wo es am wenigsten kostet. Aber in Deutschland wird beispielsweise vorgeschrieben, wie Häuser zu isolieren sind und wie wir heizen sollen. Einfach deshalb, weil beim Heizen viel CO₂ erzeugt wird. Eine Anfrage der Opposition hat allerdings ergeben, dass die Regierung nicht weiß, wie viel CO₂ durch diese Regulierung eingespart wird. Die Frage, was es kostet, hat auch die Opposition nicht gestellt.
WELT: Verbote im Namen der Energiewende sind einer Ihrer Hauptkritikpunkte. Nun hat eine norwegische Studie bestätigt: Das Verbot von Atomkraft hat Deutschland 600 Milliarden Euro gekostet, weil der Verlust an Strom ausgeglichen werden musste mit Erneuerbaren.
Weimann: Das deutsche Energiesystem war mal das beste der Welt: verlässlich, geringe Schwankungen, guter Strompreis. Die Energiewende hat all diese Eigenschaften verschlechtert – ohne dass es eine positive Seite gäbe. Es wurden 600 Milliarden Euro ausgegeben, um genauso viel Strom zu haben wie vorher mit Kernkraft, nur mit weniger verlässlichem, schwankendem und teurerem Strom. Die 600 Milliarden haben also keinen Wohlstand geschaffen, keine neuen Güter oder Dienstleistungen. Dem Klima hat das Geld auch nicht gedient, denn einerseits sind Kernkraftwerke klimaneutral und zweitens werden CO₂-Einsparungen in Deutschland über den Emissionshandel von anderen europäischen Staaten kompensiert.
WELT: Und die Verbote?
Weimann: Die Verbote im Namen der Energiewende übersehen die sogenannten Opportunitätskosten, also die Kosten, die dadurch entstehen, dass man Geld nun mal nicht zweimal ausgeben kann. Die Energiewende schafft weder Wachstum noch Wohlstand und sie reduziert die europäischen Emissionen kaum. Aber das Geld, das wir dafür ausgeben, fehlt bei anderen Dingen wie Bildung, Gesundheit oder Infrastruktur.
WELT: Wie erklären Sie sich, dass Deutschland diesen nationalen Sonderweg Energiewende trotz aller Bedenken durchgezogen hat?
Weimann: Weil es Vergleichbares wie die Energiewende in keinem anderen Land gibt, bedarf es einer speziell deutschen Erklärung. Nirgends war die Anti-Atomkraft-Bewegung so mächtig wie hierzulande. Das Verbot von Kohle, Gas und Kernkraft unisono gibt es nirgends, wo es nicht wenigstens großes Potenzial für Wasserkraft gibt, was wir auch nicht haben. Deutschland ist das einzige Industrieland, dass komplett auf Wind und Sonne setzt. Zusammen mit der in der Gesellschaft verankerten Anti-AKW-Bewegung entwickelte das Narrativ der Klimarettung mit Erneuerbaren immense Durchschlagskraft, es war milieubildend. Medien übernahmen das Narrativ und verteidigen es mit aller Macht. Nach dem Tsunami 2011 in Japan und der Havarie des AKW in Fukushima offenbarte sich das besonders: In anderen Ländern wurde korrekt berichtet, dass der Tsunami die 20.000 Toten gekostet hat, die freigewordene Strahlung dagegen keinen Toten. In Deutschland wurde der entsprechende Bericht der Weltgesundheitsorganisation, immerhin eine Einrichtung der Vereinten Nationen, weitestgehend ignoriert. Der passte nicht ins Bild, denn das Ziel war ja der Atomausstieg.
WELT: Deutsche Journalisten kommen beim Thema Kernkraft meist spontan mit der Endlager-Frage – ohne Atomendlager keine Kernkraft, sagen sie. Wie ist diese ewige Kritik zu erklären, wo Endlager in vielen anderen Ländern doch längst auf den Weg gebracht worden sind und bald in Betrieb genommen werden?
Weimann: Die Endlager-Frage war ein politischer Trick der grünen Bewegung in Deutschland, um die Kernkraft zu verhindern. Sie durfte nicht gelöst werden, weil man das Argument brauchte. Deshalb wurde die Endlagersuche in die Länge gezogen und mit unerfüllbaren Auflagen unmöglich gemacht. Jetzt liegen die Atom-Brennstäbe in Deutschland in oberirdischen Zwischenlagern, aber das scheint kein Problem zu sein, niemand regt sich auf. Daran erkennt man die Verlogenheit der Debatte. Auch hier spielten Medien mit, anstatt kritisch zu hinterfragen, warum die Endlager-Frage nur in Deutschland unlösbar zu sein scheint.
WELT: Wer profitiert von der deutschen Energiewende?
Weimann: Die grüne Bewegung und ihre vielen Verbündeten in den Medien, die Erneuerbare-Energie-Industrie, Pächter der benötigten Flächen, eine große NGO-Lobby. Das Narrativ der Energiewende als Rettung vor Klimatod und Atomtod ist so schön eingängig und in Deutschland so mächtig, dass jeder Widerspruch auf entrüstetes Unverständnis stößt. Das erleichtert den Durchmarsch der Lobby ungemein, denn man braucht eigentlich nichts über das Thema zu wissen, um damit durchzukommen – Kritik lässt sich erfolgreich diffamieren.
WELT: Ich war neulich auf einer Tagung von Energieforschern, die kritisch über die Energiewende diskutierten. Zwei Journalistinnen waren zugegen, die dann in ihren Artikeln für zwei überregionale Medien ein „rechtes Netzwerk“ und „Klimaleugner“ beschworen. Dabei forschten die auf diese Weise diffamierten Energieexperten daran, wie eine Transformation zu CO₂-armer Technologie besser gelingen könnte. Haben Sie als Kritiker der Energiewende ähnliche Erfahrungen gemacht?
Weimann: Ja,
klar, immer wieder. Ich bekam beispielsweise mal eine Anfrage von einem
Kohleenergieunternehmen für eine Anzeigenkampagne. Die wollten von
Energieexperten Statements zur Klimapolitik. Ich sagte das, was ich
immer sage: Der Emissionshandel ist das beste Instrument, und was mit
Braunkohle passiert, wird man dann sehen. Für die Kohlevertreter war ich
daraufhin Persona non grata, denn die mögen den Emissionshandel nicht,
weil er Kohleverstromung unbezahlbar macht. Aber Klimaaktivisten
schrieben in meinem Wikipedia-Eintrag, ich wäre Kohle-Lobbyist.
Wikipedia ist bei Energie- und Klimathemen in der Hand von Aktivisten,
sodass die Falschbehauptung stehen blieb. Auf Konferenzen wurde ich
daraufhin als „Kohle-Lobbyist“ vorgestellt. Völlig absurd, aber ich
musste lernen, damit umzugehen.
WELT: Warum werden Wissenschaftler diffamiert, die an Lösungen des Klimaproblems forschen?
Weimann: Weil die angebotenen Lösungen das grüne Energiewende-Narrativ bedrohen, das längst zu kulturellem Kapital wurde. Die Energiewende ist ein Kulturphänomen, unterstützt von angeblich so kritischen Geistern der Kulturschaffenden und Kabarettisten. Sie folgen dem beifallssicheren Narrativ. Experten, die Kritik üben, geraten unter Beschuss, weshalb sich kaum noch jemand öffentlich äußert.
WELT: Als Journalist habe ich oft die Erfahrung gemacht, dass sich Wissenschaftler und Unternehmer unter vier Augen ganz anders über die Energiewende äußern als öffentlich. Wie sind Ihre Erfahrungen?
Weimann: Ja, das ist ein typisches Verhalten bei dem Thema. Einen Kollegen, der in vielen Gremien saß, habe ich mal gefragt: Warum machst du das, warum redest du den Politikern nach dem Mund? Du weißt doch, dass es Unsinn ist. Seine Antwort: Wenn ich etwas anderes sagen würde, wäre ich raus. Es geht eben letztlich immer auch um Karrieren. Eine Sonderrolle ist nicht durchzuhalten, wenn man da mitmischen will. Ich hatte deshalb früh beschlossen, dass ich nicht in solche Gremien will, da hätte ich mich verbiegen müssen.
WELT: Das größte Rätsel der Energiewende-Debatte könnte sein, dass die Industrie kaum widersprochen hat, aber nun leidet. Was ist geschehen?
Weimann: Der Opportunismus der Industrie war und ist das größte Problem. Nie gab es entschieden Widerspruch. Der BDI hat gerade Kosten von 1,4 Billionen Euro für die Energiewende berechnet und statt den Aufwand zu hinterfragen, die Ausgaben als „notwendig“ bezeichnet. Unter vier Augen reden die Unternehmer ganz anders, aber die Klimaziele öffentlich infrage zu stellen – das traut sich niemand aus Angst ums eigene Image. Das Ergebnis sieht man jetzt: Die deutsche Autoindustrie muss Milliarden-Strafzahlungen an die EU leisten, weil sie Vorgaben für CO₂-Emissionen ihrer Flotten nicht eingehalten hat, die technologisch aber gar nicht einzuhalten waren. Die Industrie wird Opfer ihrer eigenen Feigheit.
WELT: Der damalige Staatssekretär des Bundesinnenministeriums, Günter Hartkopf, hatte 1986 den Durchmarsch der Klimapolitik vorausgesehen, weil es keinen Widerstand der Wirtschaft gegen Umweltlobbys geben werde. Gerade weil Umweltschutz im Prinzip eine gute Sache sei, würden Umweltverbände mit Medien als Verbündete Umweltrestriktionen durchsetzen, aber die resultierenden gesellschaftlichen Nachteile gingen unter. Warum haben es Wirtschaft und Gewerkschaften nie geschafft, die Zielkonflikte zu betonen?
Weimann:
Wohlstand wurde einfach hingenommen. Dass die Klimapolitik irgendwann
einmal die Basis dieses Wohlstandes bedroht, erleben wir erst jetzt
hautnah. Deshalb waren lange Zeit die Klimaschützer die Guten und die
Industrie der Bösewicht, der CO₂ emittiert. Einfache Narrative haben es eben sehr leicht sich durchzusetzen, mögen sie auch noch so falsch sein.
Zur Person:
Joachim Weimann, bis 2024 Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Magdeburg, hat mehrere Lehrbücher und zahlreichen wissenschaftliche Publikationen verfasst in den Bereichen Umweltökonomik, Verhaltensökonomik, Arbeits- und Rentenpolitik.
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