Schon unter Merkel begannen die staatlichen Subventionen zu steigen, bis sie dann mit der Ampelkoalition vollends ausser Kontrolle gerieten. Laut dem Kieler Institut für Weltwirtschaft spendiert die Regierung dieses Jahr 127 Milliarden Euro: für den Bau von Computerchips im Osten und von Vergnügungsdampfern an der Küste ebenso wie für das 49-Euro-Ticket und die Pendlerpauschale.
Ebenfalls stetig gewachsen sind die Sozialausgaben. Sie betragen inzwischen 212 Milliarden Euro oder 35 Prozent des Bundeshaushalts. Das Bürgergeld gehört dazu oder der Zuschuss zur Rentenkasse.
Kaum eine EU-Regierung gibt so wenig Geld für die Infrastruktur aus wie Berlin
Das Urteil der Kieler Forscher fällt vernichtend aus und verdient es, ausführlich zitiert zu werden: «Das subventionspolitische Instrumentarium des Bundes ist sehr überladen, undurchsichtig, unkoordiniert, von den Zielen und Wirkungen her heterogen und oft widersprüchlich, so dass von einer rationalen Subventionspolitik nicht die Rede sein kann. Mit der einen Finanzhilfe bekämpft die Politik die Schäden und unerwünschten Nebenwirkungen, die sie mit der anderen Finanzhilfe hervorgerufen hat.»
Das ist die eine Entwicklung. Es ist die Geschichte von Überfluss und von Politikern, die in einem Anflug von Grössenwahn glauben, klüger zu sein als die Schwarmintelligenz des Marktes. Die andere Entwicklung besteht aus der eingestürzten Carolabrücke in Dresden, zerbröselnden Autobahnbrücken und der Bahnstrecke Köln–Berlin. Die Zugreise dauert heute gut eine Stunde länger als vor zwanzig Jahren. Denn die für Tempo 250 ausgelegten ICE zuckeln und ruckeln mit 80 Kilometern pro Stunde durch das Weserbergland.
Es ist die Geschichte von Mangel und von Politikern, die nie genügend Geld für die Infrastruktur hatten, weil es immer wichtigere Prestigeprojekte gab: die am EU-Recht gescheiterte Maut oder den Traum eines deutschen Silicon Valley.
Nach
Berechnungen der EU wird im nächsten Jahr von allen Mitgliedstaaten nur
Irland noch weniger für die Erneuerung seiner öffentlichen
Infrastruktur aufwenden als die Bundesrepublik. Das ist kein Wunder,
denn für Infrastruktur sind gegenwärtig nur 2,7 Prozent des
Budgetvolumens beziehungsweise 0,4 Prozent im Verhältnis zum
Bruttoinlandprodukt vorgesehen.
Deutschland verlottert. Wer sich einen Eindruck davon verschaffen will,
kann ein Bahnticket kaufen oder durch die Innenstadt von Köln spazieren.
Sie ist in den letzten dreissig Jahren heruntergekommen. Wenige
Gehminuten von der himmelstrebenden Gotik des Domes und dem schicken
Trendquartier des alten Rheinhafens entfernt verschlucken ungepflegte,
schmuddelige Gassen den Besucher. Es ist die Tristesse einer Stadt, die
inmitten des Überflusses verarmt. Und Berlin ist stolz darauf, die
Favela der Republik zu sein.
Der gegenwärtige Strömungsabriss hat viele Gründe, aber das ist sicher einer der wichtigsten: Die ungeheuren Summen, die in Sozialausgaben und Industriepolitik fliessen, fehlen angesichts der Zwänge der Schuldenbremse an anderer Stelle. Die Mittel eines 500-Milliarden-Haushalts werden in einer Weise ineffizient eingesetzt, die an Verschwendung grenzt. Nach mir die Sintflut, denkt die «Ampel» wie vor ihr Merkel.
Das ist noch kein Argument gegen die Schuldenbremse. Sie funktioniert in der Schweiz, wo sie erfunden wurde, tadellos. Die Politiker und die Stimmbürger sorgen bei den Ausgaben innerhalb des vorgegebenen Rahmens für eine Balance (obwohl die Neigung zu einer verantwortungslosen Sozialpolitik zunimmt und das Parlament sich schwertut, die Mehrkosten für die Verteidigung mit der Bremse in Einklang zu bringen).
Auch in Deutschland könnte die Schuldenbremse funktionieren, wenn die Regierungen ihre Mittel nicht einseitig für Prestigevorhaben und Soziales ausgäben. Dann bliebe genügend Geld für die reparaturbedürftige Infrastruktur.
Aber wie wahrscheinlich ist das? Eher verzichtet ein Junkie auf sein Heroin als die deutsche Politik auf das Füllhorn ihrer Subventionen.
Gleichzeitig ist die Schuldenbremse kein Selbstzweck. Sie soll die Zukunftsfähigkeit garantieren, indem sie verhindert, dass der Staat durch ein Übermass an Schulden handlungsunfähig wird. Wenn aber die Zukunftsfähigkeit auf andere Art gefährdet ist, kann es sinnvoll sein, die Schuldenbremse zu modifizieren.
Unter den grossen westlichen Nationen weist Deutschland die geringste Schuldenquote auf. Sie ist mit 64 Prozent des Inlandsprodukts weit entfernt von Grossbritannien (97), Frankreich (110), den USA (125) oder Italien (141). Angesichts der Notlage besteht also ein gewisser Spielraum. Ohnehin manipuliert Deutschland die Staatsrechnung längst mit Schattenhaushalten, den angeblichen Sondervermögen. Mehr Transparenz und klare Regeln sind von Vorteil.
Schlachtet endlich die heiligen Kühe
Die Sozialdemokraten würden zunächst aufjubeln. Ihnen ist die institutionalisierte Sparsamkeit ein Dorn im Auge. So besitzen sie die Frechheit, die Lizenz zum sorglosen Schuldenmachen als «Wirtschaftsprogramm» für den nächsten Bundestagswahlkampf anzupreisen. Daher erfordert die Lockerung der Schuldenbremse strikte Leitplanken.
Die Mittel dürfen nur in produktive Bereiche fliessen: etwa in die Infrastruktur oder in Forschung und Bildung. Auch in die Sicherheit muss investiert werden angesichts einer radikal veränderten äusseren Bedrohungslage und einer Migrationspolitik, die zusätzliche Risiken im Innern geschaffen hat.
Derzeit hält die Bundeswehr zwar das 2-Prozent-Ziel der Nato ein. Darunter fallen allerdings auch die Versorgungsleistungen für die Soldaten, die der Sozialpolitik zuzurechnen sind. Zieht man diese ab, gibt Deutschland nicht wesentlich mehr für Verteidigung aus als zum Höhepunkt der Friedensdividende nach dem Mauerfall.
Den nötigen Paradigmenwechsel bringen die Bruchpiloten der «Ampel» nicht mehr zustande. An ihre Stelle wird in gut einem Jahr voraussichtlich eine Regierung aus CDU/CSU und SPD treten, allenfalls erweitert um einen dritten Partner. Im besten Fall findet sie die Kraft für die überfälligen Veränderungen. Noch sind der Mangel an Kompromissfähigkeit und der Hang zum Dogmatismus die Hauptübel. Aber nur mit der Bereitschaft, Denkschablonen infrage zu stellen, bekommt Deutschland wieder Auftrieb. Das Vorbild ist Schröders Agenda 2010.
Die Union sollte über ihren Schatten springen und die Schuldenbremse für einen befristeten Zeitraum lockern. Im Gegenzug müssten die Sozialdemokraten die Hand bieten für eine Reform der Sozialausgaben, darunter des verkorksten Bürgergelds. Drittens müsste die Regierung die in den letzten Jahren sprunghaft angestiegenen Subventionen reduzieren. Das trifft alle, denn alle Parteien bedienen ihre Klientel mit Geschenken.
Erst der Dreiklang verdient das Prädikat zukunftsfähig. Dafür müssen alle Koalitionspartner etwas abgeben, und niemand darf seine heiligen Kühe unter Artenschutz stellen. Kill your darlings! In dieser Zumutung liegt die Chance des Gelingens.
Selbst wenn die nächste Koalition den nötigen Mut aufbringt, lauern auf dem Weg überall Gefahren. Die Automobilbranche wird dafür lobbyieren, den Kauf von E-Autos zu bezuschussen. Der Bundesverband der Deutschen Industrie wirbt für ein «Sondervermögen Transformation». Auch das gehört zur Verlotterung Deutschlands. Sogar die Bodentruppen der Marktwirtschaft machen am liebsten die hohle Hand beim Staat.
Welch ein Paradox: Wer die Schuldenbremse aufweicht, muss die Kunst des Nein-Sagens beherrschen. Wenn das aber alles bloss ein Wunschtraum ist? Dann bleibt Deutschland in der Abwärtsspirale gefangen. Für den Rest Europas wären das trübe Aussichten.
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