09 Oktober 2024

«Trusted Flagger» durchsuchen das Internet im Auftrag der Bundesregierung nach unliebsamen Meinungen (NZZ)

«Trusted Flagger» durchsuchen das Internet im Auftrag der Bundesregierung nach unliebsamen Meinungen
Eigentlich sollen sie nur illegale Inhalte melden, doch die Bundesnetzagentur spricht auch von «Hass und Fake News», die leichter entfernt werden könnten. Juristen sehen die Meinungsfreiheit in Gefahr.
Fatina Keilani, Berlin

Was bedeutet die Bezeichnung «Trusted Flagger»? Wörtlich bedeutet der Begriff «vertrauenswürdiger Hinweisgeber». Gemeint sind Organisationen, die das Internet nach problematischen Inhalten wie Hassrede oder terroristischer Propaganda durchsuchen und «illegale und schädliche Inhalte» bei den Plattformen melden. Die «Flagger» sind vom Staat als solche zugelassen und haben bei den Online-Plattformen Anspruch auf bevorzugte Behandlung. Plattformbetreiber wie Youtube, Instagram, Tiktok oder X müssen Meldungen von ihnen besonders schnell abarbeiten. Damit sollen die gefundenen «problematischen Inhalte» schnell entfernt werden können – schneller, als wenn normale Nutzer sie melden.
Als erster anerkannter Trusted Flagger in Deutschland wurde am 1. Oktober die Meldestelle Respect! der Stiftung zur Förderung der Jugend in Baden-Württemberg zugelassen. Diese «private» Meldestelle in Form einer Stiftung wird finanziert durch das von der Grünen Lisa Paus geführte Bundesfamilienministerium und andere staatliche Stellen, ist also nicht wirklich privat. Ihr Leiter Ahmed Gaafar ist Islamwissenschafter. Respect! hatte sich als Erste um die Zulassung beworben. Erteilt wird diese vom Digital Services Coordinator in der Bundesnetzagentur, dessen Rolle kommissarisch vom Chef der Bundesnetzagentur Klaus Müller ausgefüllt wird.
Ist die Bundesnetzagentur nicht für anderes zuständig?
Die Bundesnetzagentur und ihr grüner Chef Müller sind zuletzt vor allem im Zusammenhang mit der Energiewende präsent gewesen. Die Behörde ist nämlich für sehr unterschiedliche Netze zuständig, etwa für die deutschen Stromnetze, das Telefonnetz, den Zugang zum Schienennetz und die Marktregulierung der Postanbieter. In dem riesigen Gebilde sitzt auch der Digital Services Coordinator, der die Zulassungen an die Trusted Flagger erteilt – zurzeit demnach Müller.Die Bundesregierung argumentiert, dass sie nach der europäischen Digital Services Act zu dieser Regelung verpflichtet sei. Allerdings richtet sich die Digital Services Act nur gegen illegale Inhalte. Der Bundesnetzagentur-Chef Müller hat den Anwendungsbereich weiter gefasst. «Illegale Inhalte, Hass und Fake News können sehr schnell und ohne bürokratische Hürde entfernt werden. Das hilft, das Internet sicherer zu machen», sagt Müller in einer Erklärung – und stösst damit auf Widerstand bei Juristen.
«Die Aussage von Müller ist verfassungswidrig», sagt etwa der Staatsrechtler Volker Boehme-Nessler. «Hass und Hetze sind grossteils erlaubt, soweit sie von der Meinungsfreiheit gedeckt sind, ebenso Fake News.» Sogar verfassungswidrige Meinungen seien von der Meinungsfreiheit gedeckt, wie das Bundesverfassungsgericht klargestellt habe. Das Vorgehen passe in die Einschüchterungspolitik der Bundesregierung im Bereich der Meinungsfreiheit. «Das ist eine Aufforderung zur Denunziation», so Boehme-Nessler.
Die Digital Services Act ist eine EU-Verordnung und Teil eines Gesetzespakets über digitale Dienste in der Europäischen Union. Sie trat im November 2022 in Kraft und gilt in Deutschland unmittelbar. Bürgern wird ein «besserer Schutz ihrer Grundrechte» versprochen, Anbietern Rechtssicherheit und EU-weit einheitliche Regeln. Auch «der Gesellschaft insgesamt» wird etwas versprochen: strengere «demokratische Kontrolle» und Aufsicht über Plattformen, Minderung von Risiken wie Manipulation oder Desinformation.
Ist es denn nicht gut, das Internet sauber zu halten
Das Internet ist kein rechtsfreier Raum, und was in der wirklichen Welt strafbar ist, ist es auch dort. Doch schon die Formulierung «Hass und Fake News» lässt die aufkommenden Probleme erahnen: Wer bestimmt, was Hass ist? Auch Unangenehmes und Verstörendes ist durch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit in weitem Umfang erlaubt. Respect! fiel neulich durch eine Strafanzeige auf, die erstattet wurde, weil jemand die Grünen-Politikerin Ricarda Lang dick genannt hatte.
«Es geht hier um Säuberung des Internets, und das ist ein Problem», sagt Boehme-Nessler. Und ein Problem sei auch, «dass Privatpersonen für eine Aufgabe eingespannt sind, der sie eigentlich nicht gewachsen sind».
Die Neuerung fügt sich stimmig ein in ein Gesamtbild. Nicht nur wurde in den vergangenen Jahren die Meinungsfreiheit zunehmend beschränkt, etwa durch Erhöhung der Strafbarkeit. Sondern es wurde auch ein ganzes Netz von Meldestellen geschaffen, die «Meinungsäusserungen unterhalb der Strafbarkeitsgrenze» erfassen – also zulässige Meinungsäusserungen – und gegebenenfalls Strafanzeige erstatten.
Wer erhält die Zulassung?
Der Antrag kann online gestellt werden. Nachzuweisen sind «besondere Sachkenntnis und Kompetenz in der Erkennung rechtswidriger Inhalte» und die Unabhängigkeit von den Plattformen. Zudem muss der Flagger zusichern, seine Meldungen sorgfältig, genau und objektiv zu übermitteln.
«Respect! konzentriert seine Arbeit als Trusted Flagger vor allem auf soziale Netzwerke und Videoplattformen wie Facebook, X, Instagram, Tiktok, Youtube und Telegram», führt Müller in der Erklärung aus. Der Fokus liege auf der Identifizierung von «Hassrede, terroristischer Propaganda und anderen gewalttätigen Inhalten, die in deutscher, englischer und arabischer Sprache verbreitet werden».

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