26 März 2023

Neben der Spur - Ein Wahlrecht, von dem Autokraten träumen (WELT+)

Neben der Spur
Ein Wahlrecht, von dem Autokraten träumen (WELT+)
, Freier Kolumnist und Autor
In vielen Ländern gibt es so etwas wie politische Opposition längst nicht mehr. Mit dem neuen Bundestagswahlrecht schickt sich auch die Ampel an, Deutschland in diese Richtung zu lenken. Doch es gibt auch noch weitere Scheibchen, die sie unauffällig von der Demokratie absäbeln könnte.
Die manchmal gestellte Frage, warum ein neues Wahlrecht in Deutschland unbedingt sein muss, ist leicht zu beantworten.
Erstens, weil das Bundesverfassungsgericht es verlangt, seit 2012 schon.
Zweitens, weil Deutschland mit dem vielköpfigsten Parlament nach dem chinesischen Volkskongress, mit seinem in hohem Tempo wachsenden Staatsapparat und seinem gigantophilen Kanzleramt, angeblich größte Regierungszentrale des Planeten, in der restlichen Welt allmählich zu Zweifeln an seiner geistigen Gesundheit einlädt. Größenwahn? Messie-Syndrom?

Das neue Wahlrecht wird von der Regierungskoalition offenbar als Chance begriffen, Deutschland zu modernisieren. Im Bundestag sitzen nämlich immer noch vier Oppositionsparteien. In vielen Ländern gibt es so etwas Altmodisches wie Opposition längst nicht mehr. Diesem Missstand kann das neue Wahlrecht teilweise abhelfen.

Die AfD ist der einfachste Fall, eine Geisterpartei, die real quasi nicht existiert. Gewohnheitsrechte aller anderen, etwa das auf den Posten eines Vizepräsidenten im Bundestag, werden ihr nicht zugestanden. Wenn mit ihren Stimmen eine Regierung zustande kommt, wie in Thüringen, dann ist dies ungültig.

Die Oppositionspartei Die Linke würde durch das neue Wahlrecht, Stand heute, wohl aus dem Parlament fliegen. Der Oppositionspartei CSU droht das Gleiche. Es könnte passieren, dass die CSU in Bayern mit Abstand stärkste Partei bleibt, aber im Bund nur auf 4,9 Prozent kommt, dann sind nach neuem Recht womöglich 40 Direktmandate ungültig. Theoretisches Beispiel: Im Wahlkreis Kleinampfing Nord wird der Huber Alois mit 52 Prozent gewählt, aber in den Bundestag kommt nicht er, sondern über die Landesliste die Grabner Hannah-Sophia von den Grünen mit 6,5 Prozent.

Nach dem neuen Wahlrecht bliebe also womöglich nur eine einzige Oppositionspartei übrig, die CDU (die AfD zählt ja nicht), die aber durch den Wegfall der CSU-Schwester stark geschwächt ist. Falls die CSU sich aber bundesweit ausdehnt, um zu überleben, nimmt sie der CDU Stimmen weg, womöglich entscheidende. Wenn die CDU nicht mehr so leicht stärkste Partei werden kann, ist schon viel gewonnen, oder?

Türkei und Polen bieten sich als Vorbilder an

Das Ganze sieht für mich aus wie der wahr gewordene Traum eines autoritären Regimes, das sich mithilfe von Tricks ein Parlament ohne allzu viel Opposition herbeizaubern will. Das Wort „Putsch“ wäre gewiss übertrieben. Aber nur wenig. Wenn man in Ungarn die Spielregeln ändert, damit die Opposition es nicht mehr so leicht hat, ist das natürlich ein Skandal.

Falls es in Zukunft hauptsächlich über Landeslisten sichere Mandate gibt, wächst zudem die Macht der Parteiführungen, alle unsicheren Kantonisten, Grantler und Selbstdenker aus dem Bundestag fernzuhalten. Nur noch durch Demut und im Mainstream des Parteiapparats sind Karrieren möglich.

Gibt es noch ein Scheibchen, das man von der Demokratie unauffällig absäbeln könnte? Na klar. Die Wahllisten sollen quotiert werden, jede Partei müsste gleich viele Männer und Frauen ins Parlament schicken. Diese Gleichstellungsidee wird keineswegs von allen geteilt, aber alle müssten sich daran halten. Der Bundestag würde also nicht mehr vom Volk völlig frei bestimmt, das war mal die Idee, sondern vorsortiert nach den Regeln einer Ideologie, die Teilen der Bevölkerung nicht gefällt. Nebenbei bemerkt: Bei der neuen Quote fallen alle Menschen untern Tisch, die sich weder als Mann noch als Frau definieren.

Alle Macht geht angeblich vom Volk aus, man erinnert sich. Aber bestimmte Parteien könnte es nicht mehr geben, etwa eine Frauenpartei oder eine männerlastige konservative Islampartei. Klingt vielleicht beides doof, aber in einem freien Land muss das möglich sein.

In zwei Bundesländern, Brandenburg und Thüringen, wurden ähnliche Gesetze von den Verfassungsgerichten denn auch abgelehnt. Dass man diesen Verfassungsbruch jetzt auf Bundesebene probiert, ist ein starkes Stück. Aber vielleicht keimt, etwa in Bärbel Bas, ja schon eine Idee, wie sich an der Zusammensetzung der Gerichte etwas drehen lässt. Auch da gibt es Vorbilder, ich denke an Polen und die Türkei.

Das Wahlalter soll von 18 auf 16 Jahre gesenkt werden. In Deutschland kannst du mit 20 Jahren noch unters Jugendstrafrecht fallen und kriegst milde Strafen, weil du mit 20 angeblich nicht immer die nötige Reife hast, richtig von falsch zu unterscheiden. Für die Politik hast du angeblich immer schon mit 16 die nötige Reife.

Ob die Regierung, die so zustande kommt, dann eine milde oder eine harte Strafe ist, müsste man am Einzelfall diskutieren.

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