24 März 2023

Religiöses Erbe Die Klima-Buße – Warum die Deutschen wollen, dass Klimaschutz wehtut (WELT+)

Religiöses Erbe
Die Klima-Buße – Warum die Deutschen wollen, dass Klimaschutz wehtut (WELT+)
Keine Autos mehr, keine Flüge, rationierter und zugeteilter Wohnraum, Wirtschaftsleistung und Konsum halbiert – das Leben, das die taz-Redakteurin Ulrike Herrmann in ihrem aktuellen Bestseller „Das Ende des Kapitalismus“ beschreibt und das uns allen angeblich unweigerlich bevorsteht, ist karg.

Denn, so Herrmann, Wind und Sonne werden uns niemals so viel Energie bescheren, dass wir unseren heutigen Wohlstand halten können. Für diese Ehrlichkeit schätze ich sie, viele Klimaaktivisten wollen uns ja weismachen, mit ein paar Effizienzsteigerungen, einem Tempolimit und dem Verbot von Privatjets könne eine Industrienation wie Deutschland allein mit erneuerbaren Energien über die Runden kommen.

Herrmann ist da deutlich realistischer und beschreibt lakonisch, welche Branchen es in Deutschland nicht mehr geben wird, wenn wir nur noch auf Wind und Sonne angewiesen sind, etwa Automobilindustrie, Luftfahrt und Banken.

Klimaschutz in Deutschland tut weh. Kaum eine Woche vergeht, in der den Bürger nicht neue Pflichten, Verbote und Einschränkungen ereilen: Sanierungszwang für Öl- und Gasheizungen, Einbaupflicht für Wärmepumpen, Dämmpflicht für Häuser, Verbrennerverbot, Reduzierung des Individualverkehrs, Degrowth unserer Industrie.

Der langjährige Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Hans Joachim Schellnhuber, hat kürzlich sogar ein CO₂-Budget für jeden Bürger vorgeschlagen. Drei Tonnen pro Jahr – derzeit liegt der durchschnittliche Ausstoß pro Person bei elf Tonnen – soll jeder Bundesbürger noch zur Verfügung haben.

Verlust an Freiheit

Alle diese Maßnahmen und Vorschläge haben eines gemeinsam: Sie bedeuten massive Verluste an Freiheit und Wohlstand. Aber darüber wird seltsam achtlos hinweggegangen. Ähnlich wie in der Pandemie ist es fast schon verpönt, diese unabweisbaren Kosten der Maßnahmen zum Schutz vor dem Virus oder dem Klimawandel überhaupt zu benennen, geschweige denn eine Abwägung zu verlangen.

Dabei geht es hier ja um fundamentale Werte. Bürgerliche Freiheitsrechte wurden über Jahrhunderte mühsam errungen, bis sie in Artikel 2 unseres Grundgesetzes kodifiziert wurden. Und Wohlstand ist eng verknüpft mit Lebenserwartung, Bildung, Gleichberechtigung, wahrscheinlich auch Demokratie.

Angesichts dessen, was auf dem Spiel steht, müsste doch eigentlich die entscheidende Frage sein: Muss wirksamer Klimaschutz wirklich derartige Verluste an Freiheit und Wohlstand bedeuten? Muss er so wehtun?

Ich behaupte: Es ginge auch anders. Aber dafür müssten wir unsere tief sitzende Skepsis gegenüber Marktmechanismen und Technologien überwinden. Und den Satz „Es ist dem Klima egal, wo eine Tonne CO₂ eingespart wird“ endlich auch in unserem realen politischen Handeln berücksichtigen.

Der europäische Emissionshandel, dem rund 40 Prozent der Treibhausgasemissionen Europas unterliegen, setzt diese Erkenntnis in ein marktwirtschaftliches System um: Die staatliche Zielvorgabe (Wie viele Emissionen an Treibhausgasen sind noch erlaubt?) wird mit größtmöglicher Kosteneffizienz erreicht, indem die nächste Tonne CO₂ immer da eingespart wird, wo dies am günstigsten ist.

Auf diese Weise wurden für die Branchen, die dem Emissionshandel unterliegen, bisherige Einsparziele sogar früher erreicht als ursprünglich angestrebt – und dies zu geringeren Preisen als gedacht.

National dominiert dennoch ein sektorenspezifischer Ansatz, der 2021 im Klimaschutzgesetz nochmals festgeschrieben wurde und der Einsparziele für jeden Sektor festschreibt. Vergangene Woche wurde für das Jahr 2022 Bilanz gezogen: Die Sektoren Landwirtschaft, Abfall und Industrie haben ihre Ziele deutlich eingehalten, der Energiesektor wegen der Reaktivierung der Kohle nur knapp, im Bereich Gebäude und Verkehr wurden die Ziele verfehlt.

Erklärte man einer Vierjährigen die Idee sektorenspezifischer Einsparziele, fände sie das mit Sicherheit „total gerecht“. Alle sollen gleichermaßen ihren Beitrag leisten. Das Problem ist aber, dass diese Kindergartenlogik eben nicht effizient ist.

Denn die Kosten, eine Tonne CO₂ einzusparen, unterscheiden sich in den einzelnen Sektoren massiv. Im Verkehrssektor beispielsweise sind sie besonders hoch. Der Steuerzahler hat bis Ende 2022 jedes Elektroauto mit rund 20.000 Euro subventioniert (jetzt ist es etwas weniger). Dies bedeutete Kosten pro Tonne CO₂-Minderung von 2000 bis 4000 Euro, wie der Magdeburger Ökonom Joachim Weimann vorrechnete. Der Preis pro Tonne CO₂ im europäischen Emissionshandel liegt derzeit bei 80 Euro.

Es ist dem Klima eben egal, ob wir die Tonne für 80 Euro oder für 4000 Euro einsparen. Tonne bleibt Tonne. Nur: Uns kann das nicht egal sein, denn weiter darauf zu beharren, dass auch der Verkehrssektor (für den Gebäudesektor gilt ähnliches) gleichermaßen seinen Beitrag zur Einsparung erbringt, ermöglicht zwar, den Verkehrsminister, den praktischerweise die FDP stellt, medienwirksam als Klimasünder an den Pranger zu stellen. Es bedeutet aber auch, für jeden eingesetzten Euro deutlich weniger Klimaschutz zu erhalten, als möglich wäre. Oder andersherum: Größere Verluste an Wohlstand und Freiheit hinzunehmen, als nötig wäre.

Auch unser nationaler Fokus sorgt dafür, dass Klimaschutz mehr weh tut, als er müsste. Die Umsetzung der Einsparziele, zu denen sich Deutschland und Europa international verpflichtet haben, muss Deutschland finanzieren, das ist klar. Aber das heißt nicht, dass die Einsparung auch in Deutschland erfolgen muss. Denn hier sind die Kosten für die Vermeidung einer Tonne CO₂ besonders hoch – etwa, weil viele Einsparpotenziale bereits genutzt wurden, oder auch, weil sich Solaranlagen bei uns nie so wirtschaftlich betreiben lassen wie in sonnenreicheren Regionen.

Internationale Lösungen

Artikel 6 des Pariser Klimaschutzabkommens sieht ausdrücklich vor, Projekte in anderen Staaten zu finanzieren und die Reduktionen auf die eigenen Ziele anzurechnen. Bisher ist es lediglich die freisinnige Schweiz, die diese Möglichkeit internationaler Kooperation nutzt und Abkommen unter anderem mit dem Senegal, Ghana und Georgien getroffen hat. In Deutschland wird über diese Möglichkeit kaum gesprochen. Deutscher Klimaschutz muss in Deutschland stattfinden – koste es, was es wolle.

Hinzu kommt, dass wir fast jede Technologie, die uns bei Prävention oder Bewältigung des Klimawandels helfen könnte, ablehnen. CCS, die dauerhafte unterirdische Speicherung von CO₂, ist uns irgendwie unheimlich. Grüne Gentechnik, die helfen könnte, Pflanzen beständiger gegen Hitze zu machen, haben wir erfolgreich aus dem Land vertrieben, und zur annähernd CO₂-freien Atomkraft sagen wir Mitte April endgültig „Nein, Danke“.

Nach meinem Empfinden trägt dieser deutsche Umgang mit dem Klimawandel religiöse Züge. Die Apokalypse naht angeblich – von „Verwüstungen“ sprach die grüne Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckhardt diese Woche bei „Hart aber Fair“, von einem Land, wo die Leute „nicht mehr leben können“, Kinder, die heute in den Kindergarten gingen, hätten „dann keine belebbare Erde mehr!“

Keine „belebbare Erde mehr“ – wer traut sich da noch, mit Kosteneffizienz anzukommen. Also verlegen wir uns lieber auf Einkehr, Buße und innerweltliche Askese, wie wir es im freudlosen Calvinismus gelernt haben.

Der Rest der Welt, der macht dabei allerdings nicht mit, sondern blickt eher erstaunt auf die immer zahlreicher werdenden deutschen Sonderwege. Am deutschen Wesen wird die Welt auch hier nicht genesen.

Kristina Schröder war von 2002 bis 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages und von 2009 bis 2013 Bundesministerin für Familien, Senioren, Frauen und Jugend. Heute ist sie unter anderem als Unternehmensberaterin tätig und als stellvertretende Vorsitzende von REPUBLIK21, Denkfabrik für neue bürgerliche Politik. Sie gehört der CDU an und ist Mutter von drei Töchtern.

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