, Freier Autor, 03.03.2023
Den Anfang machte die Klimadebatte.
Wissenschaft wurde nicht mehr als fortlaufender Lernprozess betrachtet,
sondern zu einem irreversiblen Glaubensgebäude, wo die Alternative nur
noch in der Wahl zwischen einem vermeintlichen Weltuntergang und der
Klimaleugnung bestand. Dabei wurden die politischen Schlussfolgerungen
aus dem Klimawandel mit deren wissenschaftlichen Begründungen so lange
verschmolzen, bis sich Wissenschaft in eine politische Ideologie
verwandelt hatte. Deren Auswüchse zeigen sich heute in einem politischen
Aktivismus, der in der „Letzten Generation“ zum Ausdruck kommt.
Die politisierten Klimaforscher waren Vorboten einer Entwicklung, die in der Pandemie ab 2020 ihren bisherigen Höhepunkt erleben sollte. Im Laufe weniger Monate wurde die wissenschaftliche Debatte über ein in China erstmals festgestelltes Virus zu einem politischen Höllenschlund, der jeden wissenschaftlich begründeten Zweifel an der eigenen Sichtweise als Ketzerei verurteilte. Aus den Schlagworten „false balance“, vermeintlicher „fake news“ oder „follow the science“ wurde ein Gehäuse der Hörigkeit errichtet, das den Bürger zum unmündigen Subjekt von Ideologien degradierte. Sie hatten den Anordnungen des Staates blind zu folgen, Widerspruch oder vermeintliches Fehlverhalten wurde sanktioniert.
Nach der anfänglichen Bereitschaft ein neues Phänomen wie Covid-19 ergebnisoffen zu beurteilen, degenerierte Wissenschaft zur Pseudo-Wissenschaft. Sie sollte in erster Linie politische Maßnahmen wie Lockdowns, Schulschließungen oder die Masken- und Impfpflicht legitimieren. Das waren allerdings Themen, die gar nicht die spezifische Fachkompetenz der Wissenschaftler betrafen. In der Pandemiepolitik ging es um eine politische Güterabwägung zwischen konkurrierenden Gütern wie Grundrechte und Infektionsschutz, wo die einzelnen Wissenschaftsbereiche bestenfalls Szenarien über die möglichen Risiken solcher Entscheidungen in ihrem Fachgebiet anbieten konnten.
Zur Pseudo-Wissenschaft wurde die Legitimationswissenschaft, als sie zur Politik wurde. Einzelne Protagonisten wie der Berliner Virologe Christian Drosten bekämpften fast nur noch ihre Konkurrenten, ob sie nun Hendrik Streeck oder Alexander Kekule hießen. Kontroverse Debatten wurden unterbunden, indem man mit Hilfe willfähriger Medien einen Monopolanspruch auf wissenschaftliche Wahrheit behauptete.
Der Feind stand rechts, so die Parole, wobei jeder als „rechts“ galt,
der etwa die Modellrechnungen von Verkehrsforschern oder Apothekern mit
guten Gründen als absurd kritisierte. Diese Legitimationswissenschaft
hat gerade im Vergleich zu anderen Staaten ein peinliches Desaster
erlebt, die unsere Pandemiepolitik zu einem Sonderfall wissenschaftlichen Versagens werden ließ. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach wurde zu deren Symbol.
Wir erlebten somit im Vergleich zum Jahr 1981 eine bemerkenswerte Umkehrung der Situation: Die „Hobbychirurgen“ mit ihren evidenzlosen Leitfäden bestimmten den öffentlichen Diskurs, während die Chirurgen Briefe schreiben mussten, um diese an Fakten zu erinnern. Eines dieser zahllosen Beispiele war ein offener Brief der Aerosolforscher aus dem April 2021, in dem diese auf die geringe Corona-Ansteckungsgefahr im Freien verwiesen und Ausgangssperren und Schließungen von Parks kritisierten.
Zumeist wurden solche Interventionen allerdings ignoriert, etwa wenn Sachverständige in der Initiative Familie auf den fatalen Umgang mit Kindern und Jugendlichen in der Pandemie hinwiesen. Dieser Mechanismus zeigte sich in der Pandemie schon bei Laien mit akademischer Qualifikation. Hier ist etwa der an der Bundeswehrhochschule München lehrende Carlo Masala zu nennen. In seinem Fachgebiet der internationalen Politik konnte er auch mit journalistischen Beiträgen überzeugen, etwa wenn er sich im Januar 2019 mit dem Zwei-Prozent-Ziel der Nato beschäftigte. Als Epidemiologe war Masala aber in der Vergangenheit nicht aufgefallen. Insofern müssen seine Einlassungen zur Pandemie, als die eines interessierten und betroffenen Bürgers gewertet werden.
Hier demonstrierte er aber ein für einen Mann mit seiner beruflichen
Qualifikation erstaunliches Verständnis von Wissenschaft. In der „Berliner Zeitung“ war am 21. November 2021
ein Artikel des in Australien arbeitenden Astrophysikers Bernhard
Müller erscheinen. Es ging um die Funktionsweise der mathematischen
Epidemiologie und die methodischen Grenzen der damals unsere Politik
bestimmenden Modellierungen des Pandemiegeschehens. Müller kritisierte
die damals noch vorherrschende Meinung, „Impfen könne die Pandemie
beenden“. Ein weitergehendes Papier hatte er schon einen Monat vorher veröffentlicht:
Dort wird auch deutlich, dass Müller die fachliche Kompetenz hat, um
sich dazu zu äußern. Als die Bundestagsabgeordnete Sahra Wagenknecht den
Artikel der „Berliner Zeitung“ auf Twitter verlinkte, kommentierte das der interessierte Laie Masala mit den Worten: „Ägyptologen und Turkologen sehen das ähnlich.“
Er konnte erkennbar weder die inhaltlichen Ausführungen Müllers
nachvollziehen, noch seine fachliche Kompetenz beurteilen.
„Astrophysiker“ verwendete Masala wie ein Label aus der Fernsehwerbung.
Nun ist Twitter ein Medium, das bei impulsiven Naturen nicht ohne Risiko
ist: Kurzschlusshandlungen kommen schon einmal vor. Einen
vergleichbaren Eindruck hinterlässt diese Einlassung auf Twitter am 24. November 2021, wo Masala sogar „irgendwo in Deutschland Bergamo Bilder“ für unvermeidlich hält, „in 3 Wochen“.
Natürlich gab es das nicht. Offenbar hält Masala eine wissenschaftliche Reflexion über seine Positionierungen– als Ägyptologe oder doch eher als Turkologe? – für unnötig. Insofern erinnern sie an das vom Satiriker Bornemann der „Deutschen Gesellschaft für Chirurgie“ angebotene Operationsbesteck.
Mittlerweile ist Deutschland seit einem Jahr mit einem Krieg in der Ukraine
konfrontiert. In dieser Situation gehört Masala neben dem Hallenser
Kollegen Johannes Varwick zu den profilierten sicherheitspolitischen
Stimmen in der medialen Debatte. Varwick leiht der in der Bevölkerung
weitverbreiteten Skepsis gegen Waffenlieferungen seine Stimmen, Masala
unterstützt hingegen den offensiven Kurs der Außenministerin Annalena
Baerbock, auch als stolzer Moderator, hier hinten links im Gruppenbild
mit Damen:
Gerade in der Debatte um den Krieg wäre es wünschenswert, wenn fachliche Expertise von der politischen Bewertung der Sachlage getrennt bleiben, jedenfalls nicht vollständig verschmelzen. Das betrifft die Ursachen und die Auslöser des Krieges, die Beurteilung der militärischen Situation und den Weg zum Kriegsende.
Über keinen dieser Punkte ist Einigkeit zu erwarten, außer man verwechselt Wissenschaft mit der Verkündung ewiger Wahrheiten. Die politische Bewertung steht allerdings jedem frei, unabhängig von der Qualifikation, so wie auch Masala seine Meinung zum politischen Umgang mit der Pandemie äußern konnte.
Wenn aber das moralische Urteil die fachliche Expertise bestimmt, wird der Experte zum Hobbychirurgen, wie es schon in der Pandemie zu erleben war. Der „Experte“ wird dann in einer arbeitsteiligen Gesellschaft überflüssig, weil er dieser nichts mehr mitzuteilen hat – außer vielleicht noch Einblicke in sein Gefühlsleben zu geben. Dafür sind sie aber schlicht zu gut bezahlt.
Transparenzhinweis: Carlo Masala weist darauf hin, dass er – anders als es in einer ursprünglichen Version dieses Artikels hieß – kein Berater von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock ist, sondern lediglich als Moderator im Auswärtigen Amt auftrat. Wir haben diese Passage geändert.
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