„Letzte Generation“ vor Gericht: So fing es bei der RAF auch an (Focus)
Im Januar 1971 stand der Kommunarde Fritz Teufel in München vor Gericht.
Verglichen mit dem, was noch kommen sollte, ging es um vergleichsweise
harmlose Delikte. Die Staatsanwaltschaft legte Teufel, der sich bei den
Achtundsechzigern einen Namen als Politclown gemacht hatte, die
Mittäterschaft beim Bau eines Brandkörpers zur Last. Der Brandsatz war
in einem Hydranten des Münchner Amtsgerichts entdeckt worden. Allein
technische Fehler hätten eine Zündung verhindert, stellte die
Strafkammer fest.
„Macht kaputt, was euch kaputt macht“
Obwohl
Teufel eine Tatbeteiligung nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden
konnte, verurteilte ihn das Gericht zu zwei Jahren Haft. Die
Urteilsverkündung endete im Tumult. „Feuer unterm Richterarsch verkürzt
den langen Marsch“ und „Macht kaputt, was euch kaputt macht“,
skandierten die im Gerichtssaal befindlichen Sympathisanten, worauf der
Zuschauerraum von einer Hundertschaft Polizei geräumt wurde.
„Erich,
ich will deinen Seich heute nicht mehr hören und möchte jetzt gehen“,
erklärte im Anschluss auch der Angeklagte an die Adresse des Richters
gewandt. Der Bitte wurde entsprochen, der Rest der Urteilsbegründung
fand dann ohne Publikum und Beschuldigten statt.
Fester Bestandteil linker Rhetorik
So
begann das Kapitel „die Achtundsechziger und die Justiz“. Was eher
heiter startete ("Angeklagter, erheben Sie sich", „Wenn es der
Wahrheitsfindung dient“), schlug schon bald in offene Verhöhnung und
Ablehnung um. Dass der Rechtsstaat der verlängerte Arm des
Repressionssystems sei, das es zu beseitigen gelte, war fortan fester
Bestandteil linker Rhetorik.
Schon vier Jahre nach Teufels
Verurteilung, bei dem Stammheim-Prozess gegen die RAF-Mitglieder Andreas
Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof und Jan-Carl Raspe, waren nur
noch Hass und Verachtung sichtbar. Wer sich einen Eindruck von der
Atmosphäre im Gerichtssaal verschaffen will, dem sei der Film empfohlen,
den der Regisseur Reinhard Hauff nach den Gerichtsprotokollen (und
einem Skript von Stefan Aust) gedreht hat.
Das Vergangene ist so
fern, aber auf gespenstische Weise auch wiederum nah. In Frankfurt
mussten sich im Februar fünf Aktivisten der „Letzten Generation“ wegen
Nötigung verantworten. Sie hatten sich von einer Autobahnbrücke
abgeseilt und so die Vollsperrung eines Autobahnabschnitts
herbeigeführt.
„Ich verachte euren Scheißverein“
Statt sich
zur Sache einzulassen, zogen die Angeklagten den Prozess mit Anträgen zu
gendergerechter Sprache sowie Vorträgen über Klimaschutz und
Polizeigewalt in die Länge. Unterstützer unterbrachen immer wieder mit
Beifall und Gelächter die Sitzung, die Pausen nutzten sie für
Yoga-Übungen.
Seinen Höhepunkt erreichte das Verfahren mit einer
Erklärung des Angeklagten Hauke L.: „Gerichte sind widerliche,
ekelhafte, menschenverachtende Scheißmaschinen, die täglich
Menschenleben zerstören. Ich verachte euren Scheißverein und dieses
Scheißsystem zutiefst. Ich würde jetzt einfach gehen, wenn da nix
dagegenspricht.“ Das hätten die Angeklagten in Stammheim nicht schöner
sagen können.
Die meisten politischen Beobachter sind sich einig,
dass es Unsinn sei, die Klimaaktivisten in die Nähe der RAF zu rücken.
Ich war bislang der gleichen Meinung. Es gibt einen grundsätzlichen
Unterschied zwischen Kleber und Sprengstoff. Aber inzwischen bin ich mir
nicht mehr so sicher, ob wir nicht Zeugen einer Entwicklung werden, die
wir kennen. Auch die RAF hat nicht mit Erschießungen und
Sprengstoffattentaten begonnen, sondern mit Flugblättern und Aufrufen
zum zivilen Ungehorsam.
Idealismus kippt in Verzweiflung und dann in Schießwut um
Am
Anfang der radikalen Linken stehen empfindsame junge Menschen, deren
Idealismus erst in Verzweiflung und dann in Schießwut umkippt. Andreas
Baader war immer ein Tunichtgut, der nur auf Krawall aus war. Aber die
Pfarrerstochter Gudrun Ensslin oder die Journalistin Meinhof trieb die
Überzeugung an, für eine gerechte Sache zu streiten. Meinhof war
übrigens ebenfalls eine eher leise, zurückhaltend auftretende Person.
Dass
man für höhere Ziele streitet, die einen normalen Bewertungsmaßstäben
entheben, diese Überzeugung findet sich auch bei der „Letzten
Generation“. Weniger rüde als sein Kamerad Hauke L., aber ebenso
entschlossen äußerte sich ein Mitstreiter in Heilbronn über die irdische
Gerichtsbarkeit. „Für mich zählt nicht das Urteil von heute, für mich
zählt das Urteil der Geschichte“, verkündete er, nachdem ihn das Gericht
Anfang März zu einer Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt hatte.
Das
ist ein bemerkenswerter Satz, über den es sich nachzudenken lohnt. Wer
davon überzeugt ist, dass er nur seinem Schöpfer beziehungsweise der
Geschichte gegenüber verantwortlich ist, hat jedenfalls gedanklich schon
mal ein paar Bremsen gelöst, die normalerweise vor kriminellen
Handlungen schützen.
Mit der Klimakrise könne man nicht
verhandeln, lautet ein beliebter Satz. In der „Süddeutschen“ las ich den
Satz einer Aktivistin: „Die Klimakrise lässt keinen Kompromiss zu.“ Es
liegt in der Logik der Sache, dass man zu immer entschiedeneren
Maßnahmen greifen muss, wenn die Gegenseite kein Einsehen zeigt. Jedes
Zurückweichen wäre ein Zeichen der Schwäche, jedes Entgegenkommen
Verrat.
Klimakrise kennt keine Kompromisse
Es heißt,
Geschichte wiederhole sich nicht. Manches kommt einem allerdings
wahnsinnig bekannt vor. Da sind die Anwälte, die sich nicht nur als
Rechtsbeistand, sondern als Mitstreiter verstehen. Die Sprecherin und
Mitbegründerin der „Letzten Generation“, Carla Hinrichs, lässt sich von
einem Juraprofessor vertreten, der wie die Anwälte der 70er Jahre keine
Scheu vor gewagten Analogien hat.
„Meine Generation hat ihre
Eltern gefragt: ,Habt ihr den NS-Staat geduldet oder gar unterstützt,
oder habt ihr Spielräume genutzt, um ihn zu bekämpfen‘“, schmetterte der
Jurist dem Richter entgegen. „Diese Frage stellt sich mit der noch
größeren Katastrophe, die auf uns zukommt, neu, und sie wird auch Ihnen,
Herr Präsident, gestellt werden.“ Wie gesagt, die Klimakrise kennt
keine Kompromisse, auch nicht bei der Wahl von Nazi-Vergleichen.
Es
gibt auch wieder eine ausgeprägte Sympathisantenszene. In der Politik
ist die Zuneigung zu den Aktivisten etwas erkaltet. Dafür drückt man
ihnen in den Medien und der Kultur weiter die Daumen. Die Methoden der
Extremisten seien abzulehnen, sicher, erklärten die Unterstützer vor 50
Jahren. Aber die Anliegen, die seien doch ehrenwert! Und war es nicht
der Staat, der die jungen Menschen durch seine Unnachgiebigkeit in die
Isolation und damit die Radikalisierung trieb? Dass die Terroristen im
Grunde Opfer der Verhältnisse gewesen seien, ist eine These, die der
grüne Bundestagsabgeordnete und ehemalige RAF-Anwalt Hans-Christian
Ströbele bis ins hohe Alter vertrat.
Vier bis fünf Jahre geben
die Aktivisten uns noch, danach ist es angeblich zu spät, weil eine
Spirale von Kipppunkten das Leben auf dem Planeten unerträglich macht.
Möglicherweise bleiben uns wirklich nur noch wenige Jahre, das Ruder
rumzureißen, wer weiß.
Wie bei den Zeugen Jehovas
Prognosen
über mehrere Jahre sind allerdings enorm fehleranfällig. Im Netz
kursierte die Woche ein Tweet, den Greta Thunberg im Juni 2018 abgesetzt
hatte. Sie zitierte darin die Vorhersage eines Klimaforschers, wonach
die gesamte Menschheit bis Juni 2023 ausgelöscht sei, wenn die Welt
nicht sofort aufhöre, fossile Brennstoffe zu nutzen. Angeblich hat
Thunberg angefangen, ihre alten Tweets zu löschen. Das ist wie bei den
Zeugen Jehovas, die auch mehrfach den Weltuntergang neu festlegen
mussten, weil sich das Ende der Welt immer wieder verzögerte.
Was
geschieht, wenn man der Überzeugung ist, dass die Menschheit nur noch
ein Schritt vom Abgrund trennt? Ich würde sagen, es ändert den Blick auf
alles. Man sieht die Debatten im Bundestag und möchte nur noch
schreien. Man hört die Politiker reden und denkt: Habt ihr denn gar
nicht begriffen, um was es geht?
Die Ersten haben bereits zu
drastischen Maßnahmen gegriffen. Ich rede nicht vom Kleben, wobei auch
das große Überwindung kostet. Teile der Szene sind schon weiter, indem
sie sich jeden Kinderwunsch versagen. Wenn die Alternative das
Aussterben der Menschheit ist, dann relativiert sich vieles, auch die
Wahl der Mittel.
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