19 März 2023

Jan Fleischhauer - „Letzte Generation“ vor Gericht: So fing es bei der RAF auch an (Focus)

Jan Fleischhauer„Letzte Generation“ vor Gericht: So fing es bei der RAF auch a

Jan Fleischhauer -
„Letzte Generation“ vor Gericht: So fing es bei der RAF auch an (Focus)
18.03.2023
Das Gerede von der „Klima-RAF“ sei Unsinn, heißt es, man könne die „Letzte Generation“ nicht mit den Extremisten der 70er Jahre vergleichen. Die Verachtung des Rechtsstaats kommt einem allerdings seltsam vertraut vor.

Im Januar 1971 stand der Kommunarde Fritz Teufel in München vor Gericht. Verglichen mit dem, was noch kommen sollte, ging es um vergleichsweise harmlose Delikte. Die Staatsanwaltschaft legte Teufel, der sich bei den Achtundsechzigern einen Namen als Politclown gemacht hatte, die Mittäterschaft beim Bau eines Brandkörpers zur Last. Der Brandsatz war in einem Hydranten des Münchner Amtsgerichts entdeckt worden. Allein technische Fehler hätten eine Zündung verhindert, stellte die Strafkammer fest.
„Macht kaputt, was euch kaputt macht“

Obwohl Teufel eine Tatbeteiligung nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte, verurteilte ihn das Gericht zu zwei Jahren Haft. Die Urteilsverkündung endete im Tumult. „Feuer unterm Richterarsch verkürzt den langen Marsch“ und „Macht kaputt, was euch kaputt macht“, skandierten die im Gerichtssaal befindlichen Sympathisanten, worauf der Zuschauerraum von einer Hundertschaft Polizei geräumt wurde.
„Erich, ich will deinen Seich heute nicht mehr hören und möchte jetzt gehen“, erklärte im Anschluss auch der Angeklagte an die Adresse des Richters gewandt. Der Bitte wurde entsprochen, der Rest der Urteilsbegründung fand dann ohne Publikum und Beschuldigten statt.
Fester Bestandteil linker Rhetorik

So begann das Kapitel „die Achtundsechziger und die Justiz“. Was eher heiter startete ("Angeklagter, erheben Sie sich", „Wenn es der Wahrheitsfindung dient“), schlug schon bald in offene Verhöhnung und Ablehnung um. Dass der Rechtsstaat der verlängerte Arm des Repressionssystems sei, das es zu beseitigen gelte, war fortan fester Bestandteil linker Rhetorik.
Schon vier Jahre nach Teufels Verurteilung, bei dem Stammheim-Prozess gegen die RAF-Mitglieder Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof und Jan-Carl Raspe, waren nur noch Hass und Verachtung sichtbar. Wer sich einen Eindruck von der Atmosphäre im Gerichtssaal verschaffen will, dem sei der Film empfohlen, den der Regisseur Reinhard Hauff nach den Gerichtsprotokollen (und einem Skript von Stefan Aust) gedreht hat.

Das Vergangene ist so fern, aber auf gespenstische Weise auch wiederum nah. In Frankfurt mussten sich im Februar fünf Aktivisten der „Letzten Generation“ wegen Nötigung verantworten. Sie hatten sich von einer Autobahnbrücke abgeseilt und so die Vollsperrung eines Autobahnabschnitts herbeigeführt.
„Ich verachte euren Scheißverein“

Statt sich zur Sache einzulassen, zogen die Angeklagten den Prozess mit Anträgen zu gendergerechter Sprache sowie Vorträgen über Klimaschutz und Polizeigewalt in die Länge. Unterstützer unterbrachen immer wieder mit Beifall und Gelächter die Sitzung, die Pausen nutzten sie für Yoga-Übungen.

Seinen Höhepunkt erreichte das Verfahren mit einer Erklärung des Angeklagten Hauke L.: „Gerichte sind widerliche, ekelhafte, menschenverachtende Scheißmaschinen, die täglich Menschenleben zerstören. Ich verachte euren Scheißverein und dieses Scheißsystem zutiefst. Ich würde jetzt einfach gehen, wenn da nix dagegenspricht.“ Das hätten die Angeklagten in Stammheim nicht schöner sagen können.

Die meisten politischen Beobachter sind sich einig, dass es Unsinn sei, die Klimaaktivisten in die Nähe der RAF zu rücken. Ich war bislang der gleichen Meinung. Es gibt einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Kleber und Sprengstoff. Aber inzwischen bin ich mir nicht mehr so sicher, ob wir nicht Zeugen einer Entwicklung werden, die wir kennen. Auch die RAF hat nicht mit Erschießungen und Sprengstoffattentaten begonnen, sondern mit Flugblättern und Aufrufen zum zivilen Ungehorsam.
Idealismus kippt in Verzweiflung und dann in Schießwut um

Am Anfang der radikalen Linken stehen empfindsame junge Menschen, deren Idealismus erst in Verzweiflung und dann in Schießwut umkippt. Andreas Baader war immer ein Tunichtgut, der nur auf Krawall aus war. Aber die Pfarrerstochter Gudrun Ensslin oder die Journalistin Meinhof trieb die Überzeugung an, für eine gerechte Sache zu streiten. Meinhof war übrigens ebenfalls eine eher leise, zurückhaltend auftretende Person.

Dass man für höhere Ziele streitet, die einen normalen Bewertungsmaßstäben entheben, diese Überzeugung findet sich auch bei der „Letzten Generation“. Weniger rüde als sein Kamerad Hauke L., aber ebenso entschlossen äußerte sich ein Mitstreiter in Heilbronn über die irdische Gerichtsbarkeit. „Für mich zählt nicht das Urteil von heute, für mich zählt das Urteil der Geschichte“, verkündete er, nachdem ihn das Gericht Anfang März zu einer Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt hatte.

Das ist ein bemerkenswerter Satz, über den es sich nachzudenken lohnt. Wer davon überzeugt ist, dass er nur seinem Schöpfer beziehungsweise der Geschichte gegenüber verantwortlich ist, hat jedenfalls gedanklich schon mal ein paar Bremsen gelöst, die normalerweise vor kriminellen Handlungen schützen.

Mit der Klimakrise könne man nicht verhandeln, lautet ein beliebter Satz. In der „Süddeutschen“ las ich den Satz einer Aktivistin: „Die Klimakrise lässt keinen Kompromiss zu.“ Es liegt in der Logik der Sache, dass man zu immer entschiedeneren Maßnahmen greifen muss, wenn die Gegenseite kein Einsehen zeigt. Jedes Zurückweichen wäre ein Zeichen der Schwäche, jedes Entgegenkommen Verrat.
Klimakrise kennt keine Kompromisse

Es heißt, Geschichte wiederhole sich nicht. Manches kommt einem allerdings wahnsinnig bekannt vor. Da sind die Anwälte, die sich nicht nur als Rechtsbeistand, sondern als Mitstreiter verstehen. Die Sprecherin und Mitbegründerin der „Letzten Generation“, Carla Hinrichs, lässt sich von einem Juraprofessor vertreten, der wie die Anwälte der 70er Jahre keine Scheu vor gewagten Analogien hat.

„Meine Generation hat ihre Eltern gefragt: ,Habt ihr den NS-Staat geduldet oder gar unterstützt, oder habt ihr Spielräume genutzt, um ihn zu bekämpfen‘“, schmetterte der Jurist dem Richter entgegen. „Diese Frage stellt sich mit der noch größeren Katastrophe, die auf uns zukommt, neu, und sie wird auch Ihnen, Herr Präsident, gestellt werden.“ Wie gesagt, die Klimakrise kennt keine Kompromisse, auch nicht bei der Wahl von Nazi-Vergleichen.

Es gibt auch wieder eine ausgeprägte Sympathisantenszene. In der Politik ist die Zuneigung zu den Aktivisten etwas erkaltet. Dafür drückt man ihnen in den Medien und der Kultur weiter die Daumen. Die Methoden der Extremisten seien abzulehnen, sicher, erklärten die Unterstützer vor 50 Jahren. Aber die Anliegen, die seien doch ehrenwert! Und war es nicht der Staat, der die jungen Menschen durch seine Unnachgiebigkeit in die Isolation und damit die Radikalisierung trieb? Dass die Terroristen im Grunde Opfer der Verhältnisse gewesen seien, ist eine These, die der grüne Bundestagsabgeordnete und ehemalige RAF-Anwalt Hans-Christian Ströbele bis ins hohe Alter vertrat.

Vier bis fünf Jahre geben die Aktivisten uns noch, danach ist es angeblich zu spät, weil eine Spirale von Kipppunkten das Leben auf dem Planeten unerträglich macht. Möglicherweise bleiben uns wirklich nur noch wenige Jahre, das Ruder rumzureißen, wer weiß.
Wie bei den Zeugen Jehovas

Prognosen über mehrere Jahre sind allerdings enorm fehleranfällig. Im Netz kursierte die Woche ein Tweet, den Greta Thunberg im Juni 2018 abgesetzt hatte. Sie zitierte darin die Vorhersage eines Klimaforschers, wonach die gesamte Menschheit bis Juni 2023 ausgelöscht sei, wenn die Welt nicht sofort aufhöre, fossile Brennstoffe zu nutzen. Angeblich hat Thunberg angefangen, ihre alten Tweets zu löschen. Das ist wie bei den Zeugen Jehovas, die auch mehrfach den Weltuntergang neu festlegen mussten, weil sich das Ende der Welt immer wieder verzögerte.

Was geschieht, wenn man der Überzeugung ist, dass die Menschheit nur noch ein Schritt vom Abgrund trennt? Ich würde sagen, es ändert den Blick auf alles. Man sieht die Debatten im Bundestag und möchte nur noch schreien. Man hört die Politiker reden und denkt: Habt ihr denn gar nicht begriffen, um was es geht?

Die Ersten haben bereits zu drastischen Maßnahmen gegriffen. Ich rede nicht vom Kleben, wobei auch das große Überwindung kostet. Teile der Szene sind schon weiter, indem sie sich jeden Kinderwunsch versagen. Wenn die Alternative das Aussterben der Menschheit ist, dann relativiert sich vieles, auch die Wahl der Mittel.

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Jan Fleischhauer„Letzte Generation“ vor Gericht: So fing es bei der RAF auch an

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