17 März 2023

Boris Palmer - Ein Land stürzt ab

Ein Land stürzt ab
Die Deindustralisierung unseres Landes ist in vollem Gange. Gerade erreicht mich die Nachricht, dass ein Tübinger Unternehmen in Kurzarbeit gehen wird, weil es wegen des drastischen Anstiegs der Energie- und Lohnkosten nicht mehr konkurrenzfähig ist und wichtige Aufträge verliert.
Die Gelassenheit, mit der das bisher alles aufgenommen wird, habe ich bisher nicht verstanden. Günther Oettinger erklärt es aber heute in der Stuttgarter Zeitung sehr plastisch: „Es ist wie eine Krankheit ohne Schmerzen.“ Die Basis unseres Wohlstands verschwindet und keiner merkt es, weil wir so wenig junge Leute haben, dass die sich trotzdem die Jobs aussuchen können.Ich bin von Natur aus eher ein Mensch, der Probleme lieber löst, als zu lamentieren. Die Tatenlosigkeit, mit der wir dem Absturz unseres Landes zusehen oder ihn gar beschleunigen, empfinde ich aber mittlerweile als beängstigend.
Wir haben überall Fachkräftemangel. Trotzdem setzen die Gewerkschaften in Mangelberufen bis zu vier zusätzliche Urlaubstage durch (so genannte Regenerationstage im Erziehungsbereich).
Jahr für Jahr gehen 300.000 Menschen mehr in Rente als aus den Schulen und Hochschulen in den Arbeitsmarkt eintreten. Trotzdem setzt sich in der Generation Z die Auffassung durch, eine Viertagewoche sei auch genug und Unternehmen müssten Wellnessangebote für die Work-Life Balance machen.
Hatten wir im Jahr 2020 noch 2 Beitragszahler pro Rentner, sinkt der Wert in den 7 Jahren bis 2030 auf 1,5. Gleichzeitig muss ich zusehen, wie bei der Stadtverwaltung Reihenweise top fitte Beschäftigte mit 63 und ohne Abschläge in Rente gehen. In Frankreich überstimmt der Präsident das Parlament, damit das Rentenalter steigt (bei viel besserer Demografie), bei uns lässt Scholz die Wohltaten von Merkel einfach weiter laufen und die Gewerkschaften verlangen Altersteilzeit.
Die Krankenkassen und die Pflegekassen machen Milliardenverluste. Die Beiträge werden genau so wie in der Rentenkasse früher oder später drastisch steigen. Die Krankenhäuser und die Pflegeheime ächzen unter Sparzwang und gehen sogar in Insolvenz. Wir nehmen eine Millionen Menschen im Jahr in die Systeme auf, schaffen es aber nicht, sie in Arbeit zu bringen, wo sie gebraucht werden, selbst wenn sie dafür qualifiziert sind.
Der Vorteil guter Infrastruktur verkehrt sich in sein Gegenteil. Seit dieser Woche fällt mehr als die Hälfte der ICE-Verbindungen am Frankfurter Flughafen nach Süden weg. Die Strecke nach Mannheim ist runter gefahren, dass sie über Monate komplett gesperrt werden soll. In Stuttgart werden die Verbindungen das ganze Jahre rund um den Hauptbahnhof mit Komplettsperrungen gekappt. Aus Tübingen kommt man kaum noch bis Stuttgart und aus Stuttgart nicht mehr über Mannheim hinaus. Und die Informationsysteme sind aktuell auch ausgefallen, Chaos pur. Wahrscheinlich würde ich mit dem Fahrrad schneller heim kommen.
An den Schulen fällt der Unterricht aus, weil es nicht mal genug Junglehrer gibt, um die Pensionäre zu ersetzen. Das Leistungsniveau der Grundschüler stürzt seit zehn Jahren immer weiter ab. Selbst die grüne Bildungsministerin von Baden-Württemberg sagt, die Ursache dafür ist ein schnell wachsender Anteil von Kindern aus Elternhäuser, die bildungsfern sind und kaum deutsch sprechen. Das zieht mittlerweile das Leistungsniveau für alle nach unten. Die Reaktion besteht darin, dass Städte sich zu sicheren Häfen erklären und noch mehr Kinder mit maximalem Förderbedarf in das Bildungssystem aufnehmen wollen.
Die Liste lässt sich leider fast beliebig fortsetzen. Die Bürokratie im Land wuchert ständig weiter. Die Digitalisierung der Verwaltung kommt allenfalls im Schneckentempo voran. Der Datenschutz schützt Täter und verhindert gesellschaftlichen und technischen Fortschritt. Einfluss und Macht sollen zunehmend nicht mehr nach Leistung und Eignung, sondern nach Hautfarbe und sexueller Neigung vergeben werden. Der Bau von Stromleitungen dauert Jahrzehnte. Die Zukunftsindustrien für Windkraft und Solaranlagen haben wir von der Pole Position weltweit in eine toxische Abhängigkeit von China gebracht. Im Bundeshaushalt explodieren die Zinskosten, fast die Hälfte der Schulden haben wir in den letzten fünf Jahren gemacht. Vom Zustand der Bundeswehr will man gar nicht reden. Und ob das Weltfinanzsystem gerade in den nächsten Crash rauscht, weiß man auch nicht so genau.
Nur weil es noch nicht weh tut, muss es nicht harmlos sein. Im Gegenteil. Das Versagen der Weltgemeinschaft im Kampf gegen den Klimawandel zeigt, wie heiß der Frosch gekocht wird, wenn er im Wasserbad hocken bleibt, das sich langsam aber unaufhörlich erwärmt. Ich fürchte, wir haben uns zu lange daran gewöhnt, das Wohlstand und wirtschaftlicher Erfolg vorausgesetzt werden können. Das wird nun nicht nur zu Gefahr für den Wohlstand selbst, sondern auch für das, was wir daraus machen. Die Scholzsche Vision einer Phase stürmischen Wachstums durch den ökologischen Umbau könnte jäh am Mangel an Arbeitskräften und Wettbewerbsfähigkeit zerschellen. Wenn die Integrationskraft der Kommunen und der Gesellschaft bereits durch die Menschen überlastet wird, die keinen Beitrag zur Wirtschaft leisten können und vor allem Ressourcen und Arbeitskraft beanspruchen, dann ist für die notwendige Fachkrafteinwanderung keine Kraft mehr da.
Gerhard Schröder hat in einer vergleichbar schwierigen Situation die Agenda 2010 durchgesetzt. Damals hatten wir fünf Millionen Arbeitslose und starke Schmerzen. Bill Clinton wusste noch, worauf es ankommt: „It’s the economy, stupid.“ Wer übernimmt heute die Aufgabe, den Deutschen zu sagen, was die Stunde geschlagen hat?

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