Chefreporterin, 25.03.2023
Es könne nicht sein, „dass in einer Fortschrittskoalition nur ein
Koalitionspartner für den Fortschritt verantwortlich ist und die anderen
für die Verhinderung von Fortschritt“. Auf eine Bundestagswahl, die jene belohne, die am wenigsten Probleme gelöst hätten, „da haben wir alle keinen Bock drauf“, sagte Habeck.
Dabei war doch die Vorfreude auf die Klausur so groß gewesen, „Team Weltrettung am Start“ hatte die grüne Abgeordnete Nyke Slawik im Vorfeld getwittert. Bock auf Größenwahn scheint also durchaus vorhanden.
Und was die mangelnde Unterstützung innerhalb der Ampel angeht: nicht
verzagen. Es gibt da jemanden, auf den die Grünen immer zählen können.
Womit wir beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk wären.
Bei der ARD in diesem Fall, um genau zu sein, dem SWR, um ganz genau zu sein. Denn unter dem Titel „Wir können auch anders“ kann man seit Montag in der ARD-Mediathek im Rahmen einer sechsteiligen Doku begutachten, wie es in etwa aussehen muss, wenn das Wahlprogramm der Grünen verfilmt wird.
„Beim Thema Klimakrise geht es oft darum, wie schwierig und
kompliziert vieles ist – aber ist wirklich alles so hoffnungslos? Anke
Engelke, Bjarne Mädel, Annette Frier, Axel Prahl, Sebastian Vettel,
Pheline Roggan und Aurel Mertz sind auf der Suche nach guten
Nachrichten: Auf ihrer Reise besuchen sie Menschen, die nicht jammern,
sondern anpacken in den Bereichen Energie, Mobilität, Landwirtschaft,
Ernährung, Wohnen und Natur“, liest man über die Doku in einer Beschreibung des NDR.
Und man fragt sich, ob es eigentlich nicht noch viel umweltschonender wäre, würde man die monatlichen 18,36 Euro Rundfunkgebühr direkt an die Grünen überweisen. Einfach machen, wie die deutschen A-bis-Z-Promis das in dieser Serie so schön nennen.
Einfach machen, einfach anschauen, also gut. Und was soll ich sagen, man wird nicht enttäuscht. Schon der Soundtrack (Max Mutzkes „Gute Geschichten“) bringt den geneigten Spießer und/oder Lastenradfahrer in absolute Weltrettungs-Stimmung.
Lass uns wie die Denker und Dichter
Die guten Geschichten erzählen
Sind Helden auf `ner großen Mission
Ey, wir wissen das schon, wie das geht
Und jeder Schritt ist für dich und für mich
Wir lassen keinen zurück
Ein Traum. Und schon geht es ab mit den Helden, quer durch die Themen Mobilität, Energie, Natur, Ernährung, Wohnen und Wirtschaft. Insbesondere ein „Witz“ in der ersten Folge mit Anke Engelke und Bjarne Mädel hat es mir ganz besonders angetan.
Sagt ein E-Auto-Begeisterter im nordfriesischen Sprakebüll: „Das Auto ist eigentlich wie ein Rennwagen. Aber wir haben den kastriert. Wir haben den gedrosselt auf 135, schneller kann er nicht fahren. Also, wir führen das Tempolimit schon selber ein.“ Luis Klamroth gefällt das, würde ich mal vermuten. Und so geht es munter weiter.
Wir können das allein mit erneuerbarer Energie schaffen, tiny houses sind sowieso sehr super („Man könnte sich auch ein bisschen verkleinern – Minimalismus! Völlig befreit von jedem Ballast, wie 17, super hier in meinem tiny house“, schnurrt Annette Frier dem noch nicht ganz überzeugten Axel Prahl entgegen) und wie wunderbar ist die Welt eigentlich, wenn es weniger Autos gibt – das sind so in etwa die Schwingungen, die hängen bleiben.
Seite an Seite mit „Transformationsforscherin“ Maja Göpel ist man
sich einig: „Kein Geld für Klimaschutz auszugeben können wir uns nicht
mehr leisten!“ Das mag stimmen, doch wieso muss man diese Szene
ausgerechnet im Ahrtal drehen? Nicht erst einmal wurde darauf hingewiesen, dass man die Folgen desaströs-mangelhaften Katastrophenschutzes nicht einfach nur auf den Klimawandel schieben kann. Mit Information hat das jedenfalls nichts mehr zu tun.
Dabei bin ich mir noch nicht ganz sicher, was ich verstörender finde: dass die ganze Serie eher wie die Sendung mit der Maus für Erwachsene gestaltet ist oder die Tatsache, dass hier sogenannter konstruktiver Journalismus wie aus dem Lehrbuch präsentiert wird, der sich, wie ich unlängst anmerkte, vor allem in der Frage „Warum sind Sie so super?“ erschöpft.
Freilich kann man auf positive Beispiele in Sachen Klimaschutz
hinweisen, auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, keine Frage. Doch
gerade, weil das Thema im Zusammenhang mit all seinen wirtschafts- und
energiepolitischen Folgen momentan äußerst heiß diskutiert wird
(Stichwort Verbrenner- und Gasheizungsverbot), wäre es für eine Doku der
ARD vielleicht gesichtswahrender, sich kritisch mit allen Auswirkungen
der angestrebten CO₂-Neutralität Deutschlands auseinanderzusetzen, als –
wie die Grünen – zu suggerieren, das würde schon alles klappen, wenn
sich nur alle ein wenig mehr anstrengten.
Wer sich nach der Ausstrahlung solcher Sendungen ernsthaft noch wundert, warum sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk des Öfteren Vorwürfe einer gewissen Grünenkuscheligkeit gefallen lassen muss, dem ist, fürchte ich, nicht mehr zu helfen.
Und ganz abgesehen davon: Wo ist die Folge zur Atomkraft, wo die zum Emissionshandel? Ich warte gerne und gespannt auf die zweite Staffel, was auch daran liegt, dass ich das Grünen-TV-Abo ohnehin nicht kündigen kann.
Die Protagonisten der Serie jedenfalls sind offenbar mit sich selbst
im Grünen, und das freut mich für sie. Passenderweise trug nicht nur
Aurel Mertz, sondern auch Pheline Roggan bei der Vorstellung der
Mini-Serie am Samstagabend in der Ständigen Vertretung des Landes
Baden-Württemberg einen Button, der für ein „Ja“ beim
Klima-Volksentscheid am kommenden Sonntag in Berlin warb, wie der „Berliner Kurier“ berichtet.
Und so schön schließt sich der Kreis der ergrünten Realitätsferne, denn selbst wenn sich eine Mehrheit für den Volksentscheid zur Klimaneutralität findet: dessen Ziele bleiben faktisch nicht umsetzbar. Macht nichts, denkt sich dazu wohl der ein oder andere „Kulturschaffende“. Gratismut verleiht Flügel.
Mich erinnert das alles an ein wunderbares Buch, das ich eben gelesen
habe: „Wovon wir leben“ der österreichischen Schriftstellerin Birgit
Birnbacher. Sie erzählt von einer Frau, die auf dem Land aufwuchs und im
Erwachsenenalter dorthin zurückkehrt. Ein Städter tut es ihr gleich.
„Erst jetzt begreife ich, wie sehr ihm das alles gelegen kommt.
Einbringen wollte er sich ja. Etwas in Bewegung setzen. Seine Antennen
sind ausgefahren. Er sehnt sich nach Austausch. Er will nichts mehr
vermessen, keine Kommastellen sehen. Der Städter braucht keine
Ergebniswerte mehr. Er hat die lila Wolkenträume eines Irren. Für Maß
und Ziel ist er verloren.“
Und so bleibt einem eigentlich nichts übrig, als abzuwarten, bis die grün-öffentlich-rechtliche Blase tatsächlich an der Realität zerplatzt. Denn der eigentliche Konflikt findet nicht zwischen der Menschheit und Mutter Erde, sondern zwischen elitär-paternalistischen Moraldarstellern und Normalsterblichen statt, die sich zurecht nicht erklären lassen wollen, wie es sich zugunsten des sogenannten Gemeinwohls am besten lebt.
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