09 März 2023

Standortschwächen Flüchtlinge statt Fachkräfte – Hier scheitert Deutschland im Kampf um Top-Talente (WELT+)

Fachkräfte werden auf der ganzen Welt gesucht
Standortschwächen
Flüchtlinge statt Fachkräfte – Hier scheitert Deutschland im Kampf um Top-Talente (WELT+)
Chefökonomin, 09.03.2023
Nach Deutschland kommen viele Kriegsflüchtlinge und Asylbewerber. Hochqualifizierte Arbeitnehmer oder Start-up-Gründer zieht es jedoch meist in andere Länder. Die OECD deckt die zentralen deutschen Standortschwächen auf, zeigt, welche Staaten es wie besser machen – und warum.
Deutschland ist seit Jahren ein Magnet für Migranten aus aller Welt. Bei den begehrten Top-Talenten stehen allerdings andere Staaten höher im Kurs, wie ein Ranking der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zeigt, das mit Unterstützung der Bertelsmann-Stiftung erstellt wurde.
Für hoch qualifizierte Arbeitnehmer ist demnach Neuseeland am attraktivsten, gefolgt von Schweden, der Schweiz, Australien und Norwegen. Deutschland schafft es im Vergleich der 38 OECD-Mitglieder nicht einmal in die Top Ten. Mit dem 15. Platz hat die Bundesrepublik seit dem ersten Ranking 2019 drei Plätze eingebüßt. Bei Unternehmern fiel Deutschland gar um sieben Ränge zurück und liegt nun auf dem 13 Platz. Spitzenreiter ist hier Schweden vor der Schweiz, Kanada, Norwegen und Neuseeland. Die USA landen jeweils auf dem 8. Platz.

Erstmals hat die OECD auch die Attraktivität für Start-up-Gründer verglichen. Schließlich sind Innovationen und Unternehmergeist in Zeiten des rasanten technologischen Wandels von entscheidender Bedeutung. Gerade alternde Gesellschaften können eine entsprechende Energiezufuhr gut gebrauchen.

Viele Staaten buhlen denn auch intensiv und teilweise auch sehr erfolgreich um ausländische Gründer. Kanada, die USA und Frankreich belegen bei der Attraktivität für diese Personengruppe die ersten drei Plätze. Auch Großbritannien und Irland werden gut bewertet. Deutschland kommt auch hier nur auf einen mittelmäßigen 12. Rang.

Die Ampel-Regierung hat das Ziel, die Zahl der Arbeitsmigranten kräftig zu erhöhen, um den wachsenden Fachkräftemangel zu bekämpfen. Weil nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa altert, richtet sich der Blick vor allem auf Nicht-EU-Staaten.

Die von der Bundesregierung geplanten Lockerungen im Rahmen des Fachkräftezuwanderungsgesetzes sehen allerdings nicht nur Verbesserungen für Hochqualifizierte vor. Auch für Personen ohne nachgewiesene Berufsausbildung will man legale Zuwanderungswege öffnen. Schneller als bisher soll zudem die deutsche Staatsbürgerschaft ermöglicht werden.

Bislang handelt es sich bei den Migranten, die aus Drittstaaten in die Bundesrepublik kommen, größtenteils um Asylbewerber und Kriegsflüchtlinge sowie um Angehörige, die im Rahmen des Familiennachzugs einreisen. Arbeitsmigration spielt eine geringe Rolle, obwohl Deutschland die Hürden für qualifizierte Arbeitskräfte – beispielsweise Vorgaben zum Mindestgehalt oder für das Mindestqualifikationsniveau – in den vergangenen Jahren bereits gesenkt hat.

Laut dem Migrationsbericht der Bundesregierung wanderten 2021 rund 500.000 Personen aus Drittstaaten ein. Davon kamen 40.000 zu Erwerbszwecken und weitere 46.000 zum Studium oder einem anderen Bildungszweck.

Die für Deutschland wenig schmeichelhaften Ergebnisse der OECD-Studie „Indicators of Talent Attractiveness“ geben Aufschluss darüber, warum es Deutschland schwerer als anderen Ländern fällt, Top-Talente anzulocken. Die Forscher haben dafür die Rahmenbedingungen analysiert, die Arbeitsmigranten mit mindestens einem Hochschulabschluss in den einzelnen Ländern vorfinden.

Dabei geht es sowohl um rein ökonomische Faktoren wie die beruflichen Chancen, Einkommensaussichten und Steuerbelastung, aber auch um Perspektiven für Familienmitglieder, etwa auf eine Arbeitsgenehmigung oder eine gute Schulausbildung. Auch die Frage der allgemeinen Lebensqualität sowie mögliche Hürden bei der Visaerteilung werden berücksichtigt.

Bei den Unternehmern beeinflussen darüber hinaus auch gesetzliche Vorgaben wie eine verlangte Mindestinvestitionssumme oder eine Mindestanzahl von Angestellten das Ergebnis.

Bei den Gründern punkten Länder wie Kanada zudem mit einem speziellen „Gründer-Visum“, das die Deutschen nicht im Angebot haben. Auch die Möglichkeit für ausländische Studenten, nach dem Abschluss eine Firma gründen zu können, wirken sich positiv auf die Attraktivität des jeweiligen Landes aus.

Steuern, Staatsbürgerschaft, Digitalisierung, Studenten

Frankreich bietet internationalen Gründern zudem großzügige finanzielle Hilfen. In den USA lockt dagegen weniger der Staat als vielmehr das hoch entwickelte Ökosystem für Start-ups inklusive potenter privater Wagniskapital-Geber.

Dass Deutschland als viertgrößte Wirtschaftsnation im internationalen Konkurrenzkampf sowohl bei hoch qualifizieren Arbeitnehmern als auch bei Unternehmern trotz seiner vergleichsweisen liberalen Regelungen nur mittelmäßig abschneidet, liegt zum Teil auch an Standortschwächen, unter denen nicht nur Migranten leiden.

Die hohe Steuer- und Abgabenbelastung von über 50 Prozent für Top-Verdiener schreckt ab. Die Bertelsmann-Stiftung beklagt zudem, dass viele eingewanderte Akademiker auch nach zehn Jahren noch keine deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Ein weiterer Nachteil der Bundesrepublik sei zudem, dass hier ein besonders hoher Anteil der erwerbstätigen Migranten für ihre Jobs überqualifiziert sei.

Vor allem mit Blick auf die Unternehmer und Gründer wirkt sich außerdem Deutschlands Rückständigkeit bei der Digitalisierung negativ aus. Insgesamt haben sich laut Studie hierzulande die Rahmenbedingungen seit 2019 nicht verschlechtert. Doch weil andere Länder auf den relevanten Feldern zum Teil erhebliche Verbesserungen erreicht hätten, sei Deutschland weiter zurückgefallen.
Einen Lichtblick gibt es immerhin. Bei den Studenten befindet sich Deutschland im Spitzenfeld und belegt hinter den USA den zweiten Platz. Die viertgrößte Volkswirtschaft punktet hier mit geringen Studienkosten, ordentlichen Universitäten und den guten Möglichkeiten, nach einem Abschluss im Land zu bleiben. Nach Kanada weist Deutschland mittlerweile die zweithöchste Quote an internationalen Hochschulabsolventen auf, die nach dem Studium bleiben.

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