Otto-Wels-Saal: Revierkämpfe wie auf einer Hundewiese (Cicero+)
Dass die SPD gerne an ihrem
bekannten Saal in direkter Nähe zum Union-Saal festhalten möchte, ist
menschlich verständlich. Aber dafür hätte es eine einfache Lösung
gegeben: Wer den großen Sitzungssaal behalten will, sollte vielleicht
nicht das mit Abstand schlechteste Wahlergebnis seit Gründung der
Bundesrepublik einfahren. In einer parlamentarischen Demokratie gilt:
Räume werden nach Fraktionsstärke vergeben – nicht nach moralischer
Überlegenheit, historischer Namensromantik oder sentimentalen
Besitzansprüchen. Versuchen Sie das mal in Ihrem Privatleben: Sie haben
sechs Monatsmieten nicht gezahlt und keinen Job mehr, weigern sich aber
auszuziehen, weil Sie seit Jahren dort wohnen – und Ihr Wohnzimmer
liebevoll „Otto“ nennen.
Fest steht: Die SPD möchte ihren Saal schlichtweg nicht an die AfD abtreten, was menschlich sogar verständlich sein mag. Und die AfD beharrt währenddessen auf das Recht der zweitgrößten Fraktion und sieht ganz bestimmt auch eine günstige Gelegenheit, um der SPD einen kleinen Denkzettel zu verpassen. Doch im Kampf um den angestammten Raum bezogen sich die SPD und ihr Umfeld in den vergangenen Monaten immer öfter auf den Namensgeber ihres bisherigen Fraktionsaals. Nur hat Otto Wels herzlich wenig mit der Raumzuteilung im Jahr 2025 zu tun – und in der Debatte überhaupt nichts zu suchen.
Oder gleich ein paar Stuhlbeine ansägen?
Was wir hier erleben, ist kein gelebter Antifaschismus, der Deutschland vor einem drohenden vierten Reich retten soll. Es ist Symbolpolitik auf Sandkastenniveau. Wie sieht der nächste Punkt auf der Maßnahmenliste zur „Faschismusbekämpfung“ aus? Heizung im AfD-Raum abdrehen? Nur noch nährstoffarme Mahlzeiten in der Kantine? Oder gleich ein paar Stuhlbeine ansägen? Den Ausschluss der AfD-Abgeordneten aus der Fußballmannschaft des Bundestags hat man ja bis zur Entscheidung des Landgerichts Berlin ebenfalls aufrechterhalten – alles Maßnahmen, die eher nach Pausenhof als nach Parlament klingen.
Die SPD verweist auf
„sachlich-fachliche Gründe“, die die Entscheidung des Ältestenrats
erklären würden. Wie diese „sachlich-fachlichen“ Gründe das Prinzip
„Mehr Menschen, mehr Platz“ außer Kraft setzen sollen, ist bislang
allerdings noch unklar. Außerdem wurde inzwischen bekannt, dass SPD-Mann
Dirk Wiese mit der Großnichte von Otto Wels telefoniert habe. Die sei
auch erleichtert gewesen, heißt es in diversen Berichten. Das wirkt
schon fast satirisch, denn Fakt ist: Den „Otto-Wels-Saal“ gibt es
offiziell gar nicht. Es handelt sich schlicht um Raum 3-S-001 im
Bundestag. Hier wurde Otto Wels weder begraben, noch ist dort einzig von
ihm geweihter heiliger Boden zu bestaunen. Fraktionen dürfen intern
Namen vergeben – das war’s.
Die SPD kann also auch ihren neuen, deutlich angemessener dimensionierten Raum problemlos wieder „Otto-Wels-Saal“ nennen und die Großnichte von Wels zur Neueröffnung einladen. Es existiert nicht einmal ein offizielles Namensschild, und ein entsprechendes Porträt – der Grund für die SPD-interne Namensgebung – kann man auch umhängen. Und überhaupt sollte die SPD, die sich unter der Führung von Lars Klingbeil dringend neu erfinden muss, eigentlich Besseres zu tun haben, als der feixenden AfD neues Material zu liefern. Denn der Durchschnittsbürger durchschaut diese ganze Posse ohne Probleme. Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wurde nicht am Hindukusch verteidigt. Und die Demokratie auch nicht im Saal 3-S-001.
Kleinliche Grabenkämpfe statt politische Reife
Es geht in diesem Fall eben nicht um „unsere“ Demokratie, den Verfassungsschutz oder das große Erbe von Otto Wels. Es geht um Machtspielchen und das verständlicherweise verletzte Ego der SPD. Doch gerade solch kindisches Gebaren und politische Verweigerungshaltung haben die AfD in den letzten Jahren überhaupt erst so rasant wachsen lassen. Der Umgang mit politischen Gegnern, gerade mit einer Partei wie der AfD, muss auf der Sachebene klar und hart geführt werden. Mit Argumenten, Haltung, demokratischer Reife – nicht mit kleinlichen Grabenkämpfen um Nichtigkeiten.
Egal ob Verbotsverfahren oder ein zu kleiner Raum, politische Antworten sind und bleiben die einzige Lösung, die die aktuelle Bundesregierung wirklich vorbringen kann, um die Verhältnisse wieder in ihre gewünschten Bahnen zu lenken. Sollte die AfD bei der nächsten Bundestagswahl dann halbiert worden sein, wäre es wiederum das gute Recht einer wieder erstarkten SPD, ihren liebgewonnenen Saal erneut zu beziehen. Doch bis dahin gilt, dass jede demokratische Partei in der Lage sein muss, mit ihrer Fraktion arbeiten zu können. Das ist keine Großzügigkeit, das ist Grundvoraussetzung für parlamentarische Arbeit.
Kein antifaschistischer Triumph
Wer sich diesem Mindestmaß an Spielregeln verweigert, der verweigert auch den politischen Diskurs. Und genau dieses Verhalten sehen wir seit Jahren im Bundestag. Während Lokalpolitiker, besonders im Osten, sich zunehmend ins Absurde verbiegen müssen, um überhaupt weiter Politik auf Parteilinie machen zu können, glänzt die politische Elite in Berlin lieber mit empörter Pose, strahlender Moral – und wäscht die Hände hinsichtlich der Probleme im Land weiter in Unschuld.
Der aktuelle
Politikbetrieb in Berlin wirkt dabei zunehmend wie ein geschlossener
Zirkel aus Menschen, die im Alter von 14 Jahren
Parteijugend-Kugelschreiber verteilt haben, mit 16 die Aktentasche vom
Kreisvorsitzenden trugen – und heute lieber moralisch einwandfrei
untergehen, als auch nur einen Millimeter über ihren Schatten zu
springen. Das Ganze ist kein antifaschistischer Triumph, sondern ein
unwürdiger, peinlicher Kindergarten. Der besonnene Staatsmann Otto Wels
hätte diesen Streit wohl selbst als erstes beendet und sich wirklich
wichtigen Themen gewidmet – im Namen der politischen Verantwortung.
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