27 Mai 2025

Streit um Saalverteilung im Bundestag - Otto-Wels-Saal: Revierkämpfe wie auf einer Hundewiese (Cicero+)

Streit um Saalverteilung im Bundestag
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Otto-Wels-Saal: Revierkämpfe wie auf einer Hundewiese (Cicero+)
Der Streit um die Saalverteilung zwischen SPD und AfD ist ein Musterbeispiel politischer Infantilität. Die Sozialdemokraten verkaufen Besitzstandswahrung als antifaschistischen Widerstand – und liefern der AfD die nächste Steilvorlage. Das ist Symbolpolitik auf Sandkastenniveau.
VON FELIX HUBER am 26. Mai 2025 7 min
„Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.“ Als Otto Wels diese Worte 1933 in der letzten freien Rede im Reichstag sprach, war das ein Akt von unfassbarem Mut und ein wichtiges Zeichen gegen den aufziehenden Faschismus. In einem Parlament, das bereits unter Kontrolle der Nationalsozialisten stand, stimmte seine SPD-Fraktion als einzige gegen das Ermächtigungsgesetz – wissend, was folgen würde. Wenig später wurde die sozialdemokratische Partei verboten. Wels starb 1939 in Paris.
Fast 100 Jahre später wird Wels nun wieder bemüht – nicht im historischen Kontext, sondern als Symbol in einem Streit um Quadratmeter im Berliner Bundestag. Es geht um Räume, Sitzabstände und Brandschutzverordnungen. Und wieder steht der Name Otto Wels im Zentrum. Nur diesmal nicht als Ausdruck antifaschistischen Widerstands, sondern als Rechtfertigung der eigenen politischen Bequemlichkeit. Monatelang hatten sich AfD und SPD um einen Sitzungssaal im Bundestag gestritten.
Vor wenigen Tagen dann die Entscheidung des Ältestenrats: Die SPD darf im sogenannten Otto-Wels-Saal bleiben, die AfD zieht in den ehemaligen Fraktionssaal der FDP. Dieser ist allerdings deutlich kleiner. 462 Quadratmeter für 120 SPD-Abgeordnete, 251 Quadratmeter für 151 AfD-Abgeordnete. Das klingt schon disproportional – und ist es auch. Zum Vergleich: In deutschen Schulen sind immerhin 2 Quadratmeter pro Schüler vorgesehen. Die AfD bekommt gerade einmal 1,66 Quadratmeter pro Kopf. Willkommen im besten Deutschland, das es jemals gegeben hat, und im politischen Berlin 2025. Statt Fairness und politischer Reife herrschen Revierkämpfe wie auf einer Hundewiese.
Dicht an dicht wie die Ölsardinen
Die Hintergründe sind dabei eigentlich relativ einfach: Die AfD kam bei der letzten Wahl auf 20,8 Prozent, stellt jetzt 151 Abgeordnete und ist damit zweitgrößte Fraktion im Parlament. Ihre Forderung war entsprechend nachvollziehbar: Der zweitgrößte Saal für die zweitgrößte Fraktion. Ein einfaches Prinzip – in der politischen Praxis aber offenbar zu viel verlangt. Die SPD, mit nur noch 120 Abgeordneten deutlich kleiner, hielt stur an ihrem angestammten Raum fest. Ergebnis: Die AfD sitzt nun dicht an dicht wie die Ölsardinen, inszenierte ihre erste Sitzung im alten FDP-Raum öffentlichkeitswirksam und nutzt das Thema medial für ihre Agenda. Der Vorwurf: Effektives Arbeiten sei so eng gedrängt kaum möglich, und auch in Sachen Brandschutz könnten bei einer solchen Personenstärke Bedenken aufkommen.

Dass die SPD gerne an ihrem bekannten Saal in direkter Nähe zum Union-Saal festhalten möchte, ist menschlich verständlich. Aber dafür hätte es eine einfache Lösung gegeben: Wer den großen Sitzungssaal behalten will, sollte vielleicht nicht das mit Abstand schlechteste Wahlergebnis seit Gründung der Bundesrepublik einfahren. In einer parlamentarischen Demokratie gilt: Räume werden nach Fraktionsstärke vergeben – nicht nach moralischer Überlegenheit, historischer Namensromantik oder sentimentalen Besitzansprüchen. Versuchen Sie das mal in Ihrem Privatleben: Sie haben sechs Monatsmieten nicht gezahlt und keinen Job mehr, weigern sich aber auszuziehen, weil Sie seit Jahren dort wohnen – und Ihr Wohnzimmer liebevoll „Otto“ nennen.

Fest steht: Die SPD möchte ihren Saal schlichtweg nicht an die AfD abtreten, was menschlich sogar verständlich sein mag. Und die AfD beharrt währenddessen auf das Recht der zweitgrößten Fraktion und sieht ganz bestimmt auch eine günstige Gelegenheit, um der SPD einen kleinen Denkzettel zu verpassen. Doch im Kampf um den angestammten Raum bezogen sich die SPD und ihr Umfeld in den vergangenen Monaten immer öfter auf den Namensgeber ihres bisherigen Fraktionsaals. Nur hat Otto Wels herzlich wenig mit der Raumzuteilung im Jahr 2025 zu tun – und in der Debatte überhaupt nichts zu suchen. 

Oder gleich ein paar Stuhlbeine ansägen?

Was wir hier erleben, ist kein gelebter Antifaschismus, der Deutschland vor einem drohenden vierten Reich retten soll. Es ist Symbolpolitik auf Sandkastenniveau. Wie sieht der nächste Punkt auf der Maßnahmenliste zur „Faschismusbekämpfung“ aus? Heizung im AfD-Raum abdrehen? Nur noch nährstoffarme Mahlzeiten in der Kantine? Oder gleich ein paar Stuhlbeine ansägen? Den Ausschluss der AfD-Abgeordneten aus der Fußballmannschaft des Bundestags hat man ja bis zur Entscheidung des Landgerichts Berlin ebenfalls aufrechterhalten – alles Maßnahmen, die eher nach Pausenhof als nach Parlament klingen.

Die SPD verweist auf „sachlich-fachliche Gründe“, die die Entscheidung des Ältestenrats erklären würden. Wie diese „sachlich-fachlichen“ Gründe das Prinzip „Mehr Menschen, mehr Platz“ außer Kraft setzen sollen, ist bislang allerdings noch unklar. Außerdem wurde inzwischen bekannt, dass SPD-Mann Dirk Wiese mit der Großnichte von Otto Wels telefoniert habe. Die sei auch erleichtert gewesen, heißt es in diversen Berichten. Das wirkt schon fast satirisch, denn Fakt ist: Den „Otto-Wels-Saal“ gibt es offiziell gar nicht. Es handelt sich schlicht um Raum 3-S-001 im Bundestag. Hier wurde Otto Wels weder begraben, noch ist dort einzig von ihm geweihter heiliger Boden zu bestaunen. Fraktionen dürfen intern Namen vergeben – das war’s.

Die SPD kann also auch ihren neuen, deutlich angemessener dimensionierten Raum problemlos wieder „Otto-Wels-Saal“ nennen und die Großnichte von Wels zur Neueröffnung einladen. Es existiert nicht einmal ein offizielles Namensschild, und ein entsprechendes Porträt – der Grund für die SPD-interne Namensgebung – kann man auch umhängen. Und überhaupt sollte die SPD, die sich unter der Führung von Lars Klingbeil dringend neu erfinden muss, eigentlich Besseres zu tun haben, als der feixenden AfD neues Material zu liefern. Denn der Durchschnittsbürger durchschaut diese ganze Posse ohne Probleme. Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wurde nicht am Hindukusch verteidigt. Und die Demokratie auch nicht im Saal 3-S-001.

Kleinliche Grabenkämpfe statt politische Reife

Es geht in diesem Fall eben nicht um „unsere“ Demokratie, den Verfassungsschutz oder das große Erbe von Otto Wels. Es geht um Machtspielchen und das verständlicherweise verletzte Ego der SPD. Doch gerade solch kindisches Gebaren und politische Verweigerungshaltung haben die AfD in den letzten Jahren überhaupt erst so rasant wachsen lassen. Der Umgang mit politischen Gegnern, gerade mit einer Partei wie der AfD, muss auf der Sachebene klar und hart geführt werden. Mit Argumenten, Haltung, demokratischer Reife – nicht mit kleinlichen Grabenkämpfen um Nichtigkeiten. 

Egal ob Verbotsverfahren oder ein zu kleiner Raum, politische Antworten sind und bleiben die einzige Lösung, die die aktuelle Bundesregierung wirklich vorbringen kann, um die Verhältnisse wieder in ihre gewünschten Bahnen zu lenken. Sollte die AfD bei der nächsten Bundestagswahl dann halbiert worden sein, wäre es wiederum das gute Recht einer wieder erstarkten SPD, ihren liebgewonnenen Saal erneut zu beziehen. Doch bis dahin gilt, dass jede demokratische Partei in der Lage sein muss, mit ihrer Fraktion arbeiten zu können. Das ist keine Großzügigkeit, das ist Grundvoraussetzung für parlamentarische Arbeit. 

Kein antifaschistischer Triumph

Wer sich diesem Mindestmaß an Spielregeln verweigert, der verweigert auch den politischen Diskurs. Und genau dieses Verhalten sehen wir seit Jahren im Bundestag. Während Lokalpolitiker, besonders im Osten, sich zunehmend ins Absurde verbiegen müssen, um überhaupt weiter Politik auf Parteilinie machen zu können, glänzt die politische Elite in Berlin lieber mit empörter Pose, strahlender Moral – und wäscht die Hände hinsichtlich der Probleme im Land weiter in Unschuld.

Der aktuelle Politikbetrieb in Berlin wirkt dabei zunehmend wie ein geschlossener Zirkel aus Menschen, die im Alter von 14 Jahren Parteijugend-Kugelschreiber verteilt haben, mit 16 die Aktentasche vom Kreisvorsitzenden trugen – und heute lieber moralisch einwandfrei untergehen, als auch nur einen Millimeter über ihren Schatten zu springen. Das Ganze ist kein antifaschistischer Triumph, sondern ein unwürdiger, peinlicher Kindergarten. Der besonnene Staatsmann Otto Wels hätte diesen Streit wohl selbst als erstes beendet und sich wirklich wichtigen Themen gewidmet – im Namen der politischen Verantwortung.

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