09 Mai 2025

Harvard und Co. Wie Amerikas Elite-Universitäten zur Beute der Antisemiten wurden (WELT+)

Harvard und Co.
Wie Amerikas Elite-Universitäten zur Beute der Antisemiten wurden (WELT+)
Von Christine Brinck, 08:36 Uhr 5 Minuten
Harvards Problem ist nicht Donald Trump, es ist Harvard selbst. Wie an vielen anderen Elite-Universitäten hat man dort über Jahre zugelassen, dass die Feinde Israels mehr und mehr an Einfluss gewinnen konnten.
Wenn Donald Trump hinter der University of Idaho her wäre, schlüge das weder dort noch hierzulande hohe Wellen. Die Wut des US-Präsidenten gilt den Top-Universitäten der Welt: Princeton, Columbia, Cornell, Yale und der Nummer Eins, Harvard. Älter als die Vereinigten Staaten, ist die Harvard-Universität Forschungsmekka im globalen Ranking. Diese selbstbewusste und reichste Institution niederzuringen, wäre wie ein brillantenbesetzter Orden auf Trumps Brust. Was ist falsch gelaufen in Harvard und in der Efeu-Liga? Warum lassen diese Leuchttürme den Zorn der Regierung überborden? Und was hat das mit uns zu tun?
Die Fehlentwicklung hat nicht nach dem 7. Oktober 2023 begonnen, als überall der Antisemitismus im Gewande des „Antizionismus“ tobte. Es ist ein langer Prozess. Eine Schlüsselszene spielte sich schon an Halloween 2015 in Yale ab. Ein hoch angesehener Professor, der Soziobiologe Nicholas Christakis, wurde auf dem Campus von einer Horde Studenten eingekesselt und niedergebrüllt. Sie waren wütend auf seine Frau Erika, eine bekannte Frühkind-Forscherin, weil sie den Studenten freigestellt hatte, selbst über ihre Kostümierung zu entscheiden. Sombrero? Indianerhäuptling? Macht das miteinander aus. Sie hatte offenbar die neue Ideologie unterschätzt, die sich in Begriffen wie „Kulturelle Aneignung“ und „Identitätspolitik“ niedergeschlagen hatte. Die Studenten waren empört und gaben sich „verletzt“.
Der Anlass war lächerlich, doch zeigte die Reaktion der keifenden Studenten die Arroganz einer Generation, die im Beleidigtsein, im Opferstatus ihre Macht probte. Wer sich das Video auf YouTube ansieht, fragt sich, wie diese Leute an der erlauchten Yale-Universität zugelassen worden waren? Wer hat ihnen Respektlosigkeit, ja, Hass beigebracht – gar einen Professor physisch zu bedrohen? Und warum wurden sie nicht relegiert? Erika Christakis quittierte ihren Job, und die Studenten, die nur von ihrem Schmerz quasselten, blieben unbehelligt.
Spulen wir jetzt vorwärts zu den pro-palästinensischen und anti-israelischen Ausschreitungen seit 2023 quer durch die Campus-Welt. Acht Jahre nach dem Skandal in Yale, riet Columbia jüdischen Studenten, religiöse Symbole zu verstecken, gar der Universität fernzubleiben. Weil zu gefährlich. Die Universitäts-Oberen versagten auf ganzer Linie. Sie trauten sich nicht, dem auch von außen organisierten Hass-Spektakel ein Ende zu bereiten.

Die intellektuelle Integrität der Universität ist in den letzten 20 Jahren allzu oft auf dem Altar der Ideologien geopfert worden. Administrationen wurden aufgebläht mit Politkommissaren, die für ethnische Buntheit und Bevorzugung nichtweißer Gruppen zuständig waren und sexuelle Belästigung ahnden sollten. Der Antisemitismus reckte sein hässliches Haupt. Rassismus, Dekolonisierung und Weiße Vorherrschaft gerieten ins Zentrum der Lehre. Über Jahre waren gewaltige Summen aus arabischen Ländern, vor allem aus Katar, in die Nahost-Institute geflossen, und mit den Geldern kamen israelfeindliche Curricula und arabische Studenten, welche als Führungskader fungierten.

Bei der Anhörung im US-Kongress zu den Vorgängen demontierten sich die Präsidentinnen von Harvard und Pen selbst. Verstieß denn nicht der Aufruf zum Genozid an Juden gegen die Regeln der Universität? Gewunden antworteten sie: Das hänge vom „Kontext“ ab. Den Uni-Vorständen blieb nichts anderes übrig, als die beiden zum Rücktritt zu drängen.

Ein Blick nach Deutschland. Hierzulande haben viele Uni-Verwaltungen auch nicht gegen den Antisemitismus im Gewande des „Antizionismus“ durchgegriffen. Erst als die Gewalt überkochte, begann man, das Hausrecht durchzusetzen. Nach der Vandalisierung des Emil-Fischer-Hörsaals an der Humboldt-Universität wurde die Polizei gerufen. Die Zerstörungswut der Studenten war die Antwort auf die Ausweisung von vier ausländischen Aktivisten, die 2024 das FU-Präsidium besetzt hatten.

Und die AfD gewinnt ein paar Prozentpunkte

Doch nicht nur die Hochschulen haben versagt. Die Politik reagierte ebenso windelweich. Im Berliner Senat wurde lang und breit diskutiert, ob die Ausweisung gerechtfertigt sei. Eine Arbeitsgruppe „Migration und Vielfalt“ in der SPD mahnte Zurückhaltung an. Die AfD lachte sich ins Fäustchen und gewann ein paar Prozentpunkte. Die Bürger verstehen nicht, dass an den Unis hingenommen wird, was im normalen Leben strafbar ist.

In Harvard gab einen Tag nach dem Massaker an 1200 jüdischen Menschen das Palestine Solidarity Committee ein Statement heraus, das von 30 Studentengruppen unterstützt wurde. Darin erklärten sie, dass „das israelische Regime vollumfänglich verantwortlich für alle folgende Gewalt“ sei. Der israelische Gegenschlag war eingepreist, obwohl der erst Tage später erfolgen sollte.

Die Leitungen der Unis waren von der Macht der Demonstranten überrascht. Sie hatten keine Ahnung, dass ihre Studenten sich von den „National Students for Justice in Palestine“ instrumentalisieren ließen. Die Anti-Israel-Offensive – hierzulande wie in den USA – hatte noch tiefere Wurzeln: in einem Lehrangebot, das kurz als „woke“ etikettiert werden kann. Dahinter steckte nicht leidenschaftliches Lernen, sondern ein ideologisches Programm.

Inzwischen kennen wir die Stichworte: Kolonialismus und Postkolonialismus, Vorherrschaft des weißen Mannes, Ausbeutung, Unterdrückung aller Nichtweißen – und Abstrusitäten wie „Dekolonialität“. Derlei Indoktrinierung bereitete den ideologischen Boden für die Radikalisierung auf dem Campus. Und die Professoren? 80 Prozent des Lehrkörpers von Harvard stufen sich als „links“ oder gar „sehr links“ ein. „Diversität“ sieht anders aus.

Der neueste Antisemitismus-Report von Harvard räumt nun vorsichtig jahrelange Fehlentwicklungen ein: sinkende intellektuelle Standards, ein von Vorurteilen gesteuertes Curriculum und eine gewisse „Faulheit“, jüdische oder israelische Perspektiven im Kontext des Israel-Palästina-Konflikts zu berücksichtigen. Manche Abteilungen opferten historische Fakten der politischen Agenda. Ein Professor leugnete gar, dass Juden irgendeine historische Beziehung zum Land Israel hätten.

Wieso diese bizarre Agenda, die sich seit Jahren verbreitet? Der Report hat einen „Schuldigen“ ausgemacht: nicht fest angestellte Lehrbeauftragte. Lehrbeauftragte, eine Art akademisches Proletariat, kosten wenig und gelten vor allem in den Geistes- und Sozialwissenschaften als weit links. Wieso merkt die Leitung das erst jetzt?

Ob der Wegfall von Milliarden an staatlicher Unterstützung Harvard und andere kuriert? Harvard klagt vorerst gegen die US-Regierung. Ein bisschen weniger Antisemitismus wird nicht reichen, um Jahrzehnte des Verfalls der intellektuellen Integrität wieder wettzumachen. Überdies: „linkswoke“ durch „rechtswoke“ zu ersetzen, das ist wie den Teufel mit dem Beelzebub zu vertreiben. Private Universitäten wie Harvard an der Leine des Staates? Das wäre kein Gewinn für Gelehrsamkeit und geschärftes Denken, intellektuelle Redlichkeit und Meinungsvielfalt. Verordnetes „Gutdenk“, diesmal von rechts, ist Gift für Lehre und Forschung.
Christine Brinck ist Publizistin. Sie hat u.a. vergleichende Hochschulforschung gelehrt.

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