05 Mai 2025

Kein Wort über Nancy Faeser - Die „Reporter ohne Grenzen“ ignorieren die größte Gefahr für die Pressefreiheit (Cicero)

Kein Wort über Nancy Faeser
-
Die „Reporter ohne Grenzen“ ignorieren die größte Gefahr für die Pressefreiheit (Cicero)
Die „Reporter ohne Grenzen“ berichten über Gefahren für die Pressefreiheit in Deutschland, doch sie meinen damit nicht gesetzliche Einschränkungen und Einschüchterungsprozesse, sondern die vermeintliche „Pressefeindlichkeit“ vieler Bürger.
VON FERDINAND KNAUSS am 3. Mai 2025 5 min
Die Nachricht scheint nicht überraschend: Deutschland ist in der Rangliste der Pressefreiheit der „Reporter ohne Grenzen“ (RSF) auf Platz 11 abgerutscht, wie die Organisation zum Internationalen Tag der Pressefreiheit (3. Mai) mitteilt. Na klar, denkt man sich, ein Land, in dem der Chefredakteur des AfD-nahen Deutschlandkurier, David Bendels, vor Gericht steht und zu einer Gefängnisstrafe auf Bewährung verurteilt wird, weil er ein Meme veröffentlicht hat, in dem der Innenministerin per Fotomontage unterstellt wird, die Meinungsfreiheit zu hassen, macht keinen besonders pressefreiheitlichen Eindruck. Erst recht nicht, wenn dieselbe Ministerin zuvor schon ein anderes Magazin (Compact) verboten hat, was erst durch ein Gerichtsurteil wieder aufgehoben wurde. Es gibt wahrlich viele Indizien dafür, dass die Zuordnung der Aussage „Ich hasse die Meinungsfreiheit“ zur Innenministerin in dem erwähnten Bild zwar etwas plump, aber durchaus nicht völlig aus der Luft gegriffen zu sein scheint. Durch ihre Anzeige hat sie ja – ironischerweise – die Unterstellung gerade bestätigt.
Die RSF haben für die Herabstufung Deutschlands aber nicht Faeser und viele weitere staatlich-politische Akteure als zentralen Grund genannt. Ihr Name kommt in dem Bericht überhaupt nicht vor. Das Vorgehen ihres Innenministeriums gegen die Zeitschrift Compact wird erwähnt, aber nicht grundsätzlich kritisiert, sondern nur „das Verbot auf Basis des Vereinsrechts für rechtsstaatlich fragwürdig“ erklärt. Angemessener wäre nach Ansicht der RSF „ein strafrechtliches Vorgehen gegen einzelne Inhalte und die dafür verantwortlichen Personen in Abwägung mit dem Grundrecht der Pressefreiheit“.
„Bürger*innen“ als Gefahr für die Pressefreiheit?
Als wichtigsten Grund für ihre Herabstufung Deutschlands nennen die selbsterklärten Pressefreiheitswächter nicht die Regierenden, sondern die Bürger: „Generell erleben Reporter*innen zunehmende Pressefeindlichkeit und ein verengtes Verständnis von Pressefreiheit. Denn viele Bürger*innen sehen Berichterstattende, die nicht ihrem eigenen politischen Spektrum entstammen, mittlerweile als Gegner an.“
Erwähnt werden „89 Angriffe auf Medienschaffende“ im Jahr 2024. Faesers Compact-Verbot und ihre Anzeige gegen Chefredakteur Bendels fallen wohl nicht darunter. Gemeint sind offenbar nur körperliche oder verbale Attacken bei Demonstrationen („75 davon waren Angriffe wie Tritte oder Stoßen, aber auch das Bewerfen mit Gegenständen. 38 Fälle körperlicher Gewalt ereigneten sich allein auf Nahostdemonstrationen in Berlin. 21 weitere Angriffe kamen aus dem verschwörungstheoretischen und rechtsextremen Umfeld“).

Fazit des Berichts: „Auch 2024 waren erneut diejenigen Journalistinnen und Journalisten gefährdet, die sich mit rechtsextremen Milieus und Parteien wie der AfD beschäftigten: Sie berichten von Feindmarkierungen, Bedrohungen, Beleidigungen und Angst vor körperlicher Gewalt.“ Zur Veranschaulichung soll gleich auf der ersten Seite der Langfassung des Berichts das Foto eines AfD-Politikers dienen, der einem direkt vor ihm stehenden Fotografen die Hand vor das Objektiv hält.

Das ist umso seltsamer, als im Bericht sehr viel gewaltsamere Angriffe auf Journalisten geschildert werden. Aber diese wurden nicht von AfD-Politikern verübt, sondern von gewalttätigen Pro-Palästina-Demonstranten: „Auch als der Journalist bereits am Boden lag, wurde weiter auf ihn eingetreten.“

Von Gefährdungen der Pressefreiheit durch deutsche Behörden ist bei den RSF kaum die Rede. Und wenn, dann ist die politisch einseitige Haltung offenkundig: Gegen das Abhören der Telefone der Pressestelle der gewalttätigen „Letzten Generation“ hatten die RSF im September 2024 erfolgreich eine Verfassungsbeschwerde eingelegt. 

Einschüchterungsklagen vom Bauunternehmer

Die RSF haben durchaus recht: „Medienschaffende müssen mit Aktivist*innen sprechen können, ohne vom Staat systematisch belauscht zu werden“, obwohl die „Letzte Generation“ die Grenzen der Legalität unzählige Male überschritten hat. Allerdings müssen Journalisten eben auch Regierungspolitiker scharf kritisieren können, ohne dafür vor Gericht verurteilt zu werden.

Zwar werden Einschüchterungsklagen (SLAPP, Strategic Lawsuits against Public Participation) erwähnt. Aber damit sind offenbar nicht solche von Regierungspolitikern gemeint. Als „mächtige Akteure“, die diese rechtmissbräuchlichen Zivilklagen gegen „einzelne Medienschaffende oder Medien-Häuser“ führen, „um sie einzuschüchtern und von unliebsamen Veröffentlichungen abzuhalten“, nennen die RSF nur „zumeist finanzstarke Unternehmen“, aber nicht deutsche Ministerinnen. Bezeichnend ist das einzig konkrete Beispiel für einen vermeintlich mächtigen Akteur: „Ein sächsischer Bauunternehmer hatte gegen verschiedene Äußerungen in einem Artikel über Unternehmerisches Engagement für die extreme Rechte in Ostsachsen geklagt.“

Freiheit für den Haltungsjournalismus

Empörend finden die grenzenlosen Reporter neben der „Pressefeindlichkeit“ der Bürger vor allem zweierlei:  

  • Erstens einen vermeintlichen „stark verengten Meinungskorridor bei der Arbeit zu Israel und Palästina“ innerhalb der Redaktionen durch „äußerst langwierige Kontroll- und Aushandlungsprozesse zu Begriffen, mit denen die israelische Kriegsführung kritisiert wird“. Auch dass „Aussagen palästinensischer Quellen und von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, Human Rights Watch oder den Vereinten Nationen (UNO)“ in den Redaktionen „grundsätzlich in Frage gestellt“ werden, halten die RSF für „umstrittene Aushandlungsprozesse in Redaktionen“.
  • Schwer enttäuscht sind die RSF außerdem über das Ende des „Bundesaufnahmeprogramms Afghanistan (BAP)“ der scheidenden Ampel-Regierung: „Damit bleiben tausende gefährdete Menschenrechtsverteidiger*innen und bedrohte Medienschaffende ihrem Schicksal überlassen, selbst wenn sie im Vertrauen auf eine Aufnahme durch die Bundesregierung den mühsamen Weg nach Pakistan bereits auf sich genommen hatten.“ 

Die Reporter ohne Grenzen haben – zumindest in Deutschland – ganz offenkundig nicht in erster Linie die Freiheit des Journalismus generell im Sinn. Sondern bestmögliche Bedingungen für einen Journalismus mit bestimmter politischer Haltung. Was sie als „ein verengtes Verständnis von Pressefreiheit“ bei Bürgern beklagen, nämlich die Markierung von jenen, „die nicht ihrem eigenen politischen Spektrum“ angehören, als „Gegner“, ist ebenso unschwer in ihrem eigenen Bericht zu erkennen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen