Wer Bill Gates kritisiert und Aiwanger verteidigt, ist offenbar rechtsextrem (Cicero)
Im Betonklotz von
Köln, der Zentrale des Bundesamtes für Verfassungsschutz, scheint man
eine regelrechte Bingo-Datenbank aufgebaut zu haben, mit der man
Äußerungen aus den Reihen der AfD einer Analyse unterziehen kann. Und
siehe da: Man würde bei dem Wort „Schande“ fündig.
Vor wenigen Wochen hatte Alice Weidel im Zusammenhang mit einem Wahlkampfauftritt die Errichtung von Windrädern im „Grimmschen Märchenwald“ scharf kritisiert und von den „Windmühlen der Schande“ gesprochen, die man wieder abreißen müsse. So wird es auch im aktuellen AfD-Gutachten ausführlich zitiert. Und dann schlägt die Jehova-Fraktion aus Köln zu.
Weil einst auch Björn Höcke das Wort „Schande“ verwendet hatte, scheint die AfD-Vorsitzende mit Hilfe von Windrädern ebenfalls der Verharmlosung des Nationalsozialismus zuzuarbeiten. Denn: Höcke sei in der Partei nicht nur sehr einflussreich, sondern man habe auch „zahlreiche Belege für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung in seinen Positionierungen“ finden können. Da Weidel „den Sprachgebrauch von Höcke“ übernehme, unterstütze sie wohl dessen Positionen.
Das ist ungefähr das Niveau, auf dem im Gutachten hunderte belanglose Zitate ausgewertet werden. Als ultimativen Beleg hierfür formuliert der VS: „Höcke hatte am 17. Januar 2017 in einer Rede in Dresden (SN) das Holocaust-Mahnmal in Berlin als ,Denkmal der Schande‘ bezeichnet.“ Bingo!
Mit Verschwörungen dem Antisemitismus auf der Spur
Damit die bloße Verwendung des Wortes „Schande“ zu einem Angriff auf die Verfassung werden kann, muss wie schon bei Gössner und im Falle der „tiefgreifenden Veränderung“ ein geheimer „Code“ unterstellt werden, den nur der gerissene Verfassungsschutz entschlüsseln kann. Diese Logik zieht sich durch das ganze Gutachten. Und das Codewort „Code“ muss vor allem dort zum Einsatz kommen, wo die Beweise eher dünn sind.
Wenn
man jemanden des Rechtsextremismus überführen will, gehört es in
Deutschland zum Einmaleins, ihn auch des Antisemitismus zu bezichtigen,
also der rassistisch motivierten Abwertung von Juden. Das Dilemma des
Verfassungsschutzes: „Direkt geäußerter und unverstellt zum Hass gegen
Jüdinnen und Juden aufstachelnder Antisemitismus ist dabei nicht
festzustellen“, und „israelbezogener Antisemitismus“ nur „in einem
Fall“. Die Lösung des Problems: Der Begriff des Antisemitismus muss
uferlos ausgeweitet und der hinter den harmlos klingenden Äußerungen
liegende „Code“ freigelegt werden.
Zum Zwecke der Ausweitung des Begriffs des Antisemitismus behilft sich der Verfassungsschutz mit dem „sekundären Antisemitismus“, den er auch „Erinnerungs-Abwehrantisemitismus“ nennt. Er definiert ihn wie folgt: „Die Erinnerung an die Verfolgung durch die Nationalsozialisten und den Holocaust wird als von Jüdinnen und Juden betriebene Diffamierung der deutschen Identität und als moralische Demütigung verstanden; als Mittel, um ungerechtfertigte Wiedergutmachungszahlungen zu erhalten oder die israelische Politik im Nahen Osten zu legimitieren.“ Daran ist so viel richtig, als von Antisemiten eine Verharmlosung der nationalsozialistischen Verbrechen zu erwarten ist. Das allerdings macht umgekehrt noch nicht jeden Einwand gegen die mehrheitlich in Deutschland praktizierte Erinnerungskultur antisemitisch.
George Soros als Weltschlüssel
Als Entschlüsselungscode für erwiesenen Antisemitismus muss in den Akten des Verfassungsschutzes vor allem ein Name herhalten: George Soros. Der liberale Milliardär jüdischer Herkunft finanziert weltweit NGOs und mitunter auch Medien, darunter das deutsche Recherche-Netzwerk Correctiv. Und Soros spendet sein Geld nicht an beliebige Organisationen und auch nicht zu beliebigen Zwecken. Ihm geht es dabei häufig um Menschenrechte, Demokratie und eine globalisierte Welt. Für viele rechte Akteure ist Soros daher zum Sinnbild des „Globalismus der Eliten“ geworden.
Und
weil Soros Jude ist, wird damit in den Augen des Verfassungsschutzes
jedes kritische Wort über ihn zum Antisemitismus: „Soros dient (…) als
personifizierte Projektionsfläche. Entsprechend genügt bereits eine mehr
oder weniger kontextlose Nennung des Namens ‚Soros‘, um – ohne dies
direkt aussprechen zu müssen – antisemitische Bilder von omnipotenten
Juden aufzurufen (…).“ Er hat schon wieder „Jehova“ gesagt.
Damit keine Missverständnisse aufkommen: Es gibt in der AfD vereinzelt antisemitische Äußerungen. Am 21. August 2023 sagte zum Beispiel ein AfD-Kandidat für die Kommunalwahl in Schleswig-Holstein in einem öffentlich zugänglichen Tweet: „Türken haben Deutschland wieder aufgebaut, Afrikaner wiedervereinigt und eine andere Minderheit, die wir fast ausgerottet haben, regiert dieses Land.“ Aber für diese ziemlich klar antisemitischen Äußerungen braucht man weder den ominösen „sekundären“ Antisemitismus noch geheimnisvolle Codes. Er liegt offen zutage. Aber das ist selten so. Deshalb wird Verfassungsschutzbingo gespielt.
Der implantierte Antisemitismus
Ein sprechendes Beispiel hierfür ist eine Äußerung des umstrittenen AfD-Europa-Abgeordneten Petr Bystron. Dem wird folgende Äußerung zur Last gelegt, wir zitieren das VS-Gutachten vollständig:
„Und sie [Anm.: die Menschen] haben erkannt, dass sie von den Altparteien verraten wurden, für Rüstungskonzerne, für die Pharmaindustrie, eben an die Globalisten. Und sie haben begriffen, dass wir da sind für die Mittelschicht, für die Menschen, die arbeiten und Steuern zahlen, die Familie mit Kindern, die dieses Land tragen, für die Unternehmer, die Arbeitsplätze schaffen und Wohlstand sichern. Und zwar, dass wir kämpfen gegen die Kriegstreiber, die uns in Kriege hetzen wollen. Gegen die Globalisten, die uns zwangsimpfen wollten, die uns enteignen wollen, uns ja im Prinzip versklaven wollen. Und die Menschen haben verstanden, dass wir die Einzigen sind, die den Mut haben, gegen die Schwabs, Gates und Soros dieser Welt anzukämpfen. [....] Aber aus Brüssel kommt das Gift. Dort werden von den Globalisten still und heimlich Vorgaben gemacht, die nachher nur in den nationalen Parlamenten nur noch durchgewunken werden.“
Diese Passage atmet zweifelsfrei verschwörungstheoretischen Geist. Aber ist sie auch antisemitisch? Für den Verfassungsschutz schon. Dieser schreibt:
„Der antisemitische Gehalt der Äußerung kommt hier zuvorderst in der Aufzählung der genannten Personen zum Ausdruck. Obwohl Bill Gates selbst kein Jude ist, wird ihm im Kontext antisemitischer Verschwörungstheorien aufgrund seines scheinbar übermächtigen Einflusses ein ‚Jüdischsein‘ unterstellt.“
Man muss den Vorgang in seine Einzelteile zerlegen, um den darin enthaltenen Irrsinn freizulegen, der selbst an Verschwörungstheorien erinnert. In Wahrheit nimmt Bystron mit keinem Wort auf das Judentum Bezug. Dieser Bezug wird erst durch den Verfassungsschutz in den Text eingebaut, indem er bereits den bloßen Verweis auf den Namen „Soros“ zum Antisemitismus erklärt.
Weil die Aussage Bystrons damit als antisemitisch kontaminiert gilt, werden auch alle andren Aussagen als Ausdruck antisemitischer Absicht interpretiert, selbst die Erwähnung des Nichtjuden Bill Gates. Man sollte es zweimal lesen: „Obwohl Bill Gates selbst kein Jude ist, wird ihm im Kontext antisemitischer Verschwörungstheorien aufgrund seines scheinbar übermächtigen Einflusses ein ‚Jüdischsein‘ unterstellt.“ Der Verfassungsschutz merkt gar nicht mehr, dass er selbst es ist, der Gates zum Juden wider Willen erklärt, um diese Unterstellung anschließend Bystron in die Schuhe zu schieben.
Die Aiwanger-Pointe
Und
es geht noch kurioser. Der Nachweis des Antisemitismus des Herrn Björn
Höcke geht nämlich so: Zur Last gelegt wird ihm ein Facebook-Post, in
dem er sich über das vom Bayerischen Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger als Schüler mitgeführte antisemitische Flugblatt
äußert. In dem Post Höckes heißt es, das Flugblatt sei ein
„geschmackloser und morbider Schülerscherz“ gewesen. Er triefe nur so
vor „pubertären Allmachtsfantasien“. Die Sache sei „primitiv und dumm“
gewesen und eine „klassische Jugendsünde“. Aber es sei wohl davon
auszugehen, dass Aiwanger sich nunmehr „sittlich weiterentwickelt“ habe.
Man würde Höckes Statement ja nahezu als Gegenteil eines antisemitischen Vorfalls interpretieren müssen. Aber nicht so der Verfassungsschutz, der mit seinen geheimnisvollen „Codes und Chiffren“ die antisemitischen Tiefenschichten freilegen kann: Mit der Bezeichnung als „Jugendsünde“ verharmlose Höcke „auch den grundsätzlich gegen die Menschenwürde gerichteten Antisemitismus“. Auch Anti-Antisemitismus ist Antisemitismus.
Es sei noch einmal betont: In dem Gutachten befinden sich natürlich auch Aussagen, die verfassungsfeindlich, mindestens aber geschmacklos sind. Nach kursorischer Lektüre bewegen sich rund 20 Prozent aller zitierten Aussagen in einem Umfeld, bei dem die Frage nach der Verfassungsfeindlichkeit zumindest nicht an den Haaren herbeigezogen ist.
Aber in den 80 Prozent anderen Fällen bietet der Verfassungsschutz ein intellektuell beklagenswertes Bild, das selbst an Verschwörungstheorien erinnert. Wenn diese Behörde unseren Rechtsstaat und unsere Demokratie schützen soll, dann Prost Mahlzeit Meinungsfreiheit!
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