Nicht nur Trump missachtet Verfassungsgerichtsentscheidungen. Bundesregierungen auch:
„Lügenverbot“ im Koalitionsvertrag? Wie Union und SPD gegen Desinformation, Hass und Hetze vorgehen wollen (Epoche Times)
Union
und SPD wollen den Kampf gegen die „Verbreitung falscher
Tatsachenbehauptungen“ und gegen „Hass und Hetze“ mithilfe einer
„staatsfernen Medienaufsicht“ verschärfen. Ein Angriff auf die schon
jetzt bestehenden Grenzen der Meinungsfreiheit? Eine Analyse.
Patrick Reitler
Der amerikanische Vizepräsident JD Vance
hat den Umgang der europäischen Regierungen mit der Meinungsfreiheit im
Februar 2025 auf der Münchner Sicherheitskonferenz mit deutlichen Worten
getadelt.
Laut Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD plant die neue Bundesregierung dennoch, den Kampf gegen das vermeintlich allzu freie Wort in Deutschland zu verschärfen. Im Vertragskapitel „Umgang mit Desinformation“ heißt es auf Seite 123:
„Die
bewusste Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen ist durch die
Meinungsfreiheit nicht gedeckt. Deshalb muss die staatsferne
Medienaufsicht unter Wahrung der Meinungsfreiheit auf der Basis klarer
gesetzlicher Vorgaben gegen Informationsmanipulation sowie Hass und
Hetze vorgehen können.“
Laut Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD plant die neue Bundesregierung dennoch, den Kampf gegen das vermeintlich allzu freie Wort in Deutschland zu verschärfen. Im Vertragskapitel „Umgang mit Desinformation“ heißt es auf Seite 123:

Strengere Grenzen der Meinungsfreiheit?
Die
Passage hatte in den vergangenen Wochen die Debatte um die Grenzen der
Meinungsfreiheit angeheizt. Es solle de facto ein „Lügenverbot“
eingeführt werden, meinte etwa die „Welt“-Journalistin Anna Schneider.
Ähnlich sah es das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW): „Der Vorstoß von
CDU/CSU und SPD für eine Art Zensuranstalt ist ein gefährlicher Angriff
auf die Meinungsfreiheit“, schrieb die Partei auf ihrem X-Kanal. Das BSW forderte:
„Was politisch richtig oder falsch ist, sollte nicht die Regierung entscheiden dürfen. Ein Wahrheitsministerium sollte dem Roman 1984 von George Orwell vorbehalten bleiben und darf in einer demokratischen Gesellschaft niemals Realität werden.“
Auch FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki befürchtete einen noch engeren Meinungskorridor.
Strafrechtsexperten ebenfalls besorgt
Die
Kölner Strafrechtsexpertin Prof. Frauke Rostalski sieht durch die
„Verkürzung der Meinungsfreiheit“ ebenfalls das „offene
gesellschaftliche Gespräch“ in Gefahr: Aus Sorge vor Strafverfolgung
könnten sich die Bürger zu einer Art Selbstzensur entschließen oder
sogar ganz verstummen, anstatt von ihrem Grundrecht auf Meinungsfreiheit
Gebrauch zu machen, brachte Rostalski in der „Legal Tribune Online“
zum Ausdruck. Das sei aus ihrer Sicht ein Zeichen für die in der
Bundesrepublik gewachsene „Diskursvulnerabilität“ – ein Begriff, den sie
selbst zur Beschreibung einer „besonderen Verletzlichkeit im Gespräch“
geprägt habe.
Ähnlich wie Rostalski
hält auch der Medienanwalt Prof. Dr. Ralf Höcker das Kapitel „Umgang mit
Desinformation“ im Koalitionsvertrag (PDF) für „juristisch und demokratisch höchst problematisch“, wie er in einem Gastbeitrag für die „Berliner Zeitung“ (Bezahlschranke)
schrieb. Denn „gerade in politischen und gesellschaftlichen Debatten,
an denen der Staat ein besonderes Interesse“ habe, existiere „selten
eine absolute Wahrheit“.
Auch Höcker
vermutet, dass „die Schere im Kopf“ die Meinungsvielfalt noch weiter
„zur Einfalt verkommen lassen“ wird, wenn Social-Media-Plattformen noch
schärfer gegängelt würden oder persönliche Nachteile drohten. Dabei sei
es bislang durchaus erlaubt, sogar „blanken Unsinn“ zu äußern, solange
die Persönlichkeitsrechte anderer gewahrt blieben.
Die
Grenzen dieser Rechte seien klar definiert und endeten keineswegs
„dort, wo die Gefühle eines anderen beginnen“, gab Höcker zu bedenken:
Beleidigung, üble Nachrede, Verleumdung, Falschbehauptungen über
Personen, Volksverhetzung oder die Leugnung des Holocaust seien als
Äußerungsdelikte ohnehin längst strafbar, so Höcker.
SPD-Rechtspolitikerin wirbt für Mut zur Anzeige
Man
solle nicht davor scheuen, bei mutmaßlichen Äußerungsdelikten oder
„digitaler Gewalt“ zur Strafanzeige zu greifen, meint Sonja Eichwede,
die rechtspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Bundestag. Die
studierte Richterin und frühere Dozentin für Polizei- und Verwaltungsrecht hatte bereits Ende Juni 2024 auf ihrem TikTok-Kanal dafür geworben, die Möglichkeiten einer Onlineanzeige etwa über das Portal „Hate Aid“ zu nutzen:
„Traut euch! Zeigt dies an! Weil es Konsequenzen braucht, wenn man Straftaten begeht, weil man da den gesellschaftlichen Konsens verlässt.“
Eichwede gilt nach Angaben der „Tagesschau“
neben der geschäftsführenden Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD)
als Favoritin für das Amt der Justizministerin in einem künftigen
schwarz-roten Regierungsbündnis. Wer es letztlich werden soll, will die
SPD am Montag, 5. Mai, bekannt geben.
Meinung oder Tatsachenbehauptung?
Union
und SPD greifen in ihrem Koalitionsvertrag offensichtlich gezielt auf
einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 25. Oktober
2012 zurück (1 BvR 901/11).
Das höchste deutsche Gericht hatte damals entschieden, „dass die
erwiesen oder bewusst unwahre Tatsachenbehauptung nicht vom Schutz des
Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG umfasst wird“.
Andererseits hatte das BVerfG am 28. November 2011 festgestellt (BvR 917/09,
Randnummer 18), dass Meinungen nach Artikel 5 des Grundgesetzes
unabhängig davon geschützt seien, „ob sie sich als wahr oder unwahr
erweisen, ob sie begründet oder grundlos, emotional oder rational sind,
oder ob sie als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos
eingeschätzt werden“. Auch „Tatsachenmitteilungen“ seien geschützt,
„soweit sie Voraussetzung für die Bildung von Meinungen sind
beziehungsweise sein können“ und nicht „bewusst oder erwiesen unwahr“
seien.
BVerfG: „Funktion der Meinungsfreiheit“ darf nicht unter „Wahrheitspflicht“ leiden
Das
BVerfG betont dabei einen gewissen Spielraum: Die Anforderungen an die
Wahrheitspflicht dürften „nicht so bemessen werden, dass darunter die
Funktion der Meinungsfreiheit leidet. Im Einzelfall ist eine Trennung
der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile nur zulässig, wenn
dadurch der Sinn der Äußerung nicht verfälscht wird. Wo dies nicht
möglich ist, muss die Äußerung im Interesse eines wirksamen
Grundrechtsschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen werden,
weil andernfalls eine wesentliche Verkürzung des Grundrechtsschutzes
drohte.“
Der Unterschied zwischen geschützten
unwahren Meinungsäußerungen und nicht geschützten unwahren
Tatsachenbehauptungen mag also zuweilen schwer abgrenzbar sein. Das
BVerfG definierte Meinungen in seinem 2011er-Beschluss als „durch das
Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägte Äußerungen“. Im
Gegensatz zu einer Tatsachenbehauptung, deren Wahrheitsgehalt bewiesen
werden könne, seien Meinungen „subjektiv und nicht belegbar“, erklärt
der „ARD-faktenfinder“.
„Hass und Hetze“ im Einzelfall zu betrachten
Und
was ist mit der juristischen Bedeutung von „Hass und Hetze“ – der
Formulierung, die im Koalitionsvertrag steht? Die Wissenschaftlichen
Dienste des Bundestags weisen in einem Artikel zum Thema (PDF) darauf hin, dass die beiden Begriffe „im Straftatbestand der Volksverhetzung Verwendung“ finden, also in Paragraf 130 des Strafgesetzbuches
(StGB). Weitere Straftatbestände, „die mit durch Hass motivierten
Äußerungen typischerweise verwirklicht werden“ könnten, seien
Beleidigung, üble Nachrede, Nötigung, Bedrohung und das Verwenden von
Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.
Im
Zusammenhang mit Volksverhetzung sei Hass „seitens der
höchstrichterlichen Rechtsprechung definiert als ‚eine gesteigerte, über
die bloße Ablehnung oder Verachtung hinausgehende feindselige Haltung
gegen den betreffenden Bevölkerungsteil‘“. Ob solch eine feindselige
Haltung die Schwelle zur Strafbarkeit überschreite, weil mit ihrer
Äußerung ein „Aufstacheln zum Hass“ vorliege, bedürfe „einer genauen
Betrachtung des jeweiligen Einzelfalles“, so die Auffassung der
Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags.
Keine Stellungnahme von den Fraktionen
Epoch
Times schickte den Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD schon vor
einigen Tagen Fragenkataloge. Wir wollten unter anderem wissen, was sie
sich unter dem Begriff „Informationsmanipulation“ und einer
„staatsfernen Medienaufsicht“ vorstellen, wie die
Staatsferne der Aufsicht garantiert werden soll, ob eine neue Behörde dazu eingerichtet werden soll und ob sich die Aufsicht nicht nur auf Medienhäuser, sondern auch auf Privatpersonen und Politiker erstrecken soll.
Staatsferne der Aufsicht garantiert werden soll, ob eine neue Behörde dazu eingerichtet werden soll und ob sich die Aufsicht nicht nur auf Medienhäuser, sondern auch auf Privatpersonen und Politiker erstrecken soll.
Zudem
interessierte uns, ob die Medienaufsicht stets das letzte Wort haben
soll und welche „klaren gesetzlichen Vorgaben“ den Fraktionen
vorschweben, anhand derer eine geschützte Meinung, eine „bewusst
falsche“ Tatsachenbehauptung oder ein schlichter Irrtum überhaupt
voneinander unterschieden werden sollen.
„Digitales Gewaltschutzgesetz“
Auch
das Kapitel über das angestrebte „Digitale Gewaltschutzgesetz“ (Seite
91 im Koalitionsvertrag) wirft Fragen auf. Darin heißt es, die
Regierungspartner würden dafür sorgen, dass Plattformen „Schnittstellen
zu Strafverfolgungsbehörden bereitstellen“ sollen, „damit relevante
Daten automatisiert und schnell abgerufen werden können.“ Dadurch sollen
„auch anonyme Hass-Accounts mit strafbaren Inhalten“ gesperrt werden
können.
Epoch Times wollte von den Fraktionen von CDU/CSU und SPD wissen, welche Aufgaben dabei auf die Bundesnetzagentur, auf deren „Trusted Flagger“ oder auch auf private Agenturen wie „Hate Aid“ oder „SO DONE“ zukommen.
Trotz mehrtägiger Fristen blieben sämtliche Fragen von beiden Fraktionen unbeantwortet.
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