Damit das plausibel sein könnte, müssten gleich mehrere Bedingungen erfüllt sein, die schlicht nicht erfüllt sind. Das Bundesamt müsste hierzu eine unabhängige Einrichtung sein, die keinen politischen Einflüssen ausgesetzt ist. Und es dürfte sich nicht irren. Nichts davon ist der Fall.
Der Verfassungsschutz als weisungsgebundene Behörde
Auch wenn von den Beteiligten gerne der gegenteilige Eindruck erweckt wird, um so die Autorität der eigenen politischen Entscheidungen zu erhöhen: Der Inlandsgeheimdienst ist eine weisungsgebundene Behörde wie jede andere auch. Ihr Chef ist letztlich der Bundesinnenminister. Geregelt ist das alles im Bundesverfassungschutzgesetz – und zwar Wort für Wort.
Der
Leiter der Behörde ist zudem ein politischer Beamter. Im
Beamtenstatusgesetz ist wortwörtlich geregelt, was das bedeutet:
Politische Beamte müssen „in fortdauernder Übereinstimmung mit den
grundsätzlichen politischen Ansichten und Zielen der Regierung stehen“ –
andernfalls können sie zur Strafe in den einstweiligen Ruhestand
versetzt werden.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser war in ihren öffentlichen Äußerungen zwar sehr darauf bedacht zu betonen, dass die Entscheidung vom Verfassungsschutz und daher ausschließlich von den „Fachleuten“ getroffen wurde. Sie hätte sich nicht eingemischt. Aber die Behörde ist nun einmal von Gesetz wegen auf die „fortdauernde Übereinstimmung mit den grundsätzlichen politischen Ansichten und Zielen der Regierung“ verpflichtet. Der Bundesinnenminister muss daher im Regelfall der Behörde nichts anweisen, weil diese den politischen Absichten der Regierung ohnehin im vorauseilenden Gehorsam entgegen arbeitet.
In zahlreichen Artikeln wurde dieser Tage das gegenteilige Märchen im ganzen Land verbreitet. Eine weisungsgebundene Bundesbehörde, die zudem von einem politischen Beamten geführt wird, gilt im öffentlichen Bewusstsein als „unabhängig“ wie ein Gericht. Es wäre die Aufgabe eines echten Journalismus, diese zumindest in der Nähe einer Lüge befindliche Äußerung nach allen Regeln der Kunst zu zerlegen. Stattdessen wurde und wird sie unkritisch weiterverbreitet.
Eine hypothetische Erwägung mit Folgen
Aber nehmen wir einmal an, es stimmte tatsächlich, was nun allenthalben absichtsvoll kolportiert wird: Faeser hätte sich mit dem Inhalt des Gutachtens nie beschäftigt und allein der Verfassungsschutz wäre für Zeitpunkt und Inhalt der getroffenen Entscheidung verantwortlich.
Auch
dies könnte nichts daran ändern, dass sie die Dienstvorgesetzte bleibt.
Und es könnte auch nichts daran ändern, dass das Bundesamt eine Behörde
ist, die von einem politischen Beamten geführt wird. Und es könnte auch
nichts daran ändern, dass Faeser längst informiert darüber war, wie der
Verfassungsschutz die AfD sieht. Er trägt schon seit Jahren die immer
gleichen Argumente vor.
ndem Faeser sich nicht eingemischt hätte, hätte sie sich daher doch
eingemischt. Sie hätte sich mit dem bloßen Durchwinken die Arbeit ihres
Verfassungsschutzes zueigen gemacht. Auch jede Nichteinmischung ist eine
bewusste politische Entscheidung, für die man Verantwortung trägt. Aus
seiner Verantwortung kann sich ein Minister nur durch Rücktritt
verabschieden.
Und in Wahrheit hat sich Faeser mit der Erklärung der eigenen Unschuld auch noch selbst politische ins Abseits gestellt: Was ist das für ein Amtsverständnis, eine Entscheidung, die die Achsen des politischen Systems der BRD verschieben könnte, einer ihr untergebenen Behörde zu überlassen? Wozu braucht es dann noch einen Innenminister?
Auch der Verfassungsschutz kann sich irren
Denn selbstverständlich kann sich ein Geheimdienst irren. Das passiert ihm übrigens ziemlich oft. So beobachtete er über Jahrzehnte hinweg rechtswidrig den ehemaligen Ministerpräsidenten von Thüringen, Bodo Ramelow. Den Menschenrechtsanwalt Rolf Gössner behelligte die Behörde sogar ganze 38 Jahre. Nicht nur in diesen Fällen war der Verfassungsschutz nicht von selbst bereit, sein eigenes verfassungswidriges Verhalten einzugestehen und abzustellen. Er musste von höchsten deutschen Gerichten dazu gezwungen werden.
Und es gibt noch einen viel brisanteren Fall. Einst galt dem Berliner Inlandsgeheimdienst die Partei der Republikaner als verfassungsfeindlich. Sie wurde zum Beispiel im Bericht des Jahres 1997 so ausgewiesen. Erst neun Jahre später stoppte das Oberverwaltungsgericht Berlin/Brandenburg den Vorgang. Die Behörde hätte fälschlicherweise behauptet, die Republikaner seien eine „gesichert extremistische“ Partei. Zwischenzeitlich waren sie in der politischen Bedeutungslosigkeit verschwunden.
Die der Abschreckung dienenden Einschätzungen der Verfassungsschutzämter hatten hieran ihren Anteil. Damals wurde richterlich festgestellt, dass der Verfassungsschutz nicht nur selbst rechtswidrig in Grundrechte eingegriffen und damit verfassungswidrig gehandelt hatte. Hierdurch entstand zudem ein Schaden am demokratischen Gemeinwesen, der sich nicht wieder rückgängig machen ließ.
Geheimhaltungsfragen sind Machtfragen
Wenn
sich der Verfassungsschutz damals irrte, warum könnte das heute bei der
AfD nicht auch der Fall sein? Das ist die Frage, von der sich echter
Journalismus treiben lassen müsste, ohne eine Antwort vorwegzunehmen.
Allzu viele klammern sich stattdessen an die staatliche Festlegung, die
AfD sei „gesichert extremistisch“. Nicht deshalb, weil es unabhängig und
objektiv erwiesen wäre, sondern weil es so gewünscht wird.
Was der Verfassungsschutz als Grund für die Hochstufung der AfD verrät, fällt dürftig aus. Das Gutachten soll ja auch geheim bleiben, obwohl es sich fast ausschließlich auf öffentlich zugängliche Quellen stützen dürfte. Die Geheimhaltung ist ein taktischer Mechanismus, um sich mit der Aura der Unangreifbarkeit zu umgeben. Was öffentlich strittig diskutiert würde, könnte nicht mehr unhinterfragt als „gesichert“ gelten. Es geht bei der Geheimhaltung um nichts anderes als die Macht der Behörde.
Kampf um den Volksbegriff
Das Volksverständnis der AfD sei „nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar“, heißt es seitens des Verfassungsschutzes. Ihr wird also nicht vorgeworfen, dass sie die politische Ordnung gewaltsam stürzen will. Was man ihr vorwirft, ist ihr „ethnischer Volksbegriff“.
Die Argumentationsfigur stammt aus dem
Jahre 2017. Damals hatte das Bundesverfassungsgericht die NPD als
extremistische Partei bestätigt, weil sie den Status des Staatsbürgers
an die ethnische Abstammung knüpfen wollte. Deutscher könne demnach nur
sein, wer auch ethnisch-deutscher Abstammung sei. Ein Türke, der nach
Deutschland einwandert, könnte dann niemals Staatsbürger werden. Es
entstünde ein Zwei-Klassen-Rechtssystem anhand des Blutes. Das
Verfassungsgericht sah hierin einen Verstoß gegen die Menschenwürde und
eine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus.
Der Verfassungsschutz agiert wie ein Schüler, der nur mittelmäßig mathematisch begabt ist und jede neue Aufgabe auf einen ihm bereits bekannten Lösungsweg zurückführt. Er wirft der AfD vor, wie die NPD den Rechtsstatus von Menschen allein auf ihre biologische Abstammung zu stützen und Migranten einer „nicht verfassungskonformen Ungleichbehandlung“ aussetzen zu wollen.
Das Problem ist nur: Es gibt im Unterschied zur NPD nicht einen einzigen Beschluss der Bundespartei, der einen solchen Vorwurf stützen könnte. Aber es gibt das Gegenteil. Am 18. Januar 2021 verabschiedeten der Bundesvorstand und alle Landesvorsitzenden eine Erklärung zum Volksbegriff: „Als Rechtsstaatspartei bekennt sich die AfD vorbehaltslos zum deutschen Staatsvolk als der Summe aller Personen, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Unabhängig davon, welchen ethnisch-kulturellen Hintergrund jemand hat, wie kurz oder lange seine Einbürgerung oder die seiner Vorfahren zurückliegt, er ist vor dem Gesetz genauso deutsch wie der Abkömmling einer seit Jahrhunderten in Deutschland lebenden Familie, genießt dieselben Rechte und hat dieselben Pflichten. Staatsbürger erster und zweiter Klasse gibt es für uns nicht.“
Eine hermeneutische Ersatzhandlung
Der Verfassungsschutz greift daher ersatzweise auf vereinzelte Aussagen von Mandatsträgern und Funktionären zurück, die er als verfassungsfeindlich interpretiert. Die offiziellen Beschlüsse der Partei werden einfach als taktische Ausweichmanöver gedeutet.
Inzwischen sind aber erste Zitate aus dem neuen „Gutachten“ in die Öffentlichkeit gelangt. Da das Dokument als geheim eingestuft ist, könnte es sich dabei um eine Straftat handeln – mutmaßlich begangen von einem Behörden- oder Ministeriumsmitarbeiter. Einem AfD-Mitglied wird dabei folgende Aussage zur Last gelegt: „Verfehlte Migrationspolitik und Asylmissbrauch habe zum 100.000-fachen Import von Menschen aus zutiefst rückständigen und frauenfeindlichen Kulturen geführt.“
Der Aussage ist objektiv kein
Verstoß gegen die Verfassung zu entnehmen. Es handelt sich um eine
robust formulierte Meinungsäußerung. Der Verfassungsschutz greift daher
zu einem hermeneutischen Trick: Wenn man ohnehin davon ausgeht, dass die
AfD einem verfassungswidrigen ethnischen Volksbegriff anhängt, können
verfassungsrechtlich harmlose Aussagen als Zeigerpflanzen für das
angeblich zugrundeliegende Weltbild gedeutet werden. Der
Verfassungsschutz setzt das, was er beweisen müsste, einfach voraus. Es
ist ein Muster, das mitunter selbst an Verschwörungstheorien erinnert.
Aber nicht alles, was der Inlandsgeheimdienst tut, ist Fiktion. Es gibt aus den Reihen der AfD fraglos Äußerungen, die verfassungsfeindlich sind – auch in Sachen Volksbegriff. Die Zahl dieser unstrittig verfassungsfeindlichen Äußerungen ist allerdings eher gering. Es ist daher fraglich, ob dies ausreicht, um die Gesamtpartei des Extremismus zu bezichtigen.
Und genau an dieser Stelle tritt die „Methode Verfassungsschutz“ in Aktion: Indem auch objektiv verfassungsrechtlich harmlose Sätze im Lichte eines verfassungswidrigen Volksbegriffes gedeutet werden, steigt die Zahl angeblicher Beweise ins schier Unermessliche. Was auf den ersten Blick harmlos erscheint, wird von der Behörde regelmäßig als taktische Zurückhaltung gedeutet. Das könnte zwar so sein. Aber diese „Beweisführung“ genügt nicht in jedem Fall rechtsstaatlichen Maßstäben.
Journalisten als Zuarbeiter des Geheimdienstes
Die „Methode Verfassungsschutz“ hat zahlreiche Nachahmer im Feld des Journalismus gefunden. Das führte gestern mustergültig Jessy Wellmer für die Tagesthemen in einem Interview mit der AfD-Abgeordneten Beatrix von Storch vor.
Von Storch kritisierte in dem Interview das deutsche Modell der „wehrhaften Demokratie“, also die Möglichkeit für die Regierung, mit Hilfe einer ihr unterstellten Behörde gegen andere Parteien vorzugehen. Das gebe es so in „keiner westlichen Demokratie“, womit von Storch Recht hat. Daraufhin kam es zu folgendem Dialog:
Wellmer: „Also, Sie zweifeln (…) die Verfassung an.“
Von Storch: „Ich zweifele nicht die Verfassung an, ich weiß jetzt nicht, was Sie mir hier gerade unterstellen. Ich zweifele nicht die Verfassung an.“
Wellmer: „Aber so verstehe ich Sie ziemlich klar.“
Da haben wir sie, die „Methode Verfassungsschutz“ – und zwar in Reinform. Von Storch sagte nichts, was auch nur im Entferntesten einen Hinweis auf Verfassungsfeindlichkeit bot. Verfassungsfeindliches Denken setzt voraus, sich gegen die Freiheitliche Demokratische Grundordnung (FDGO) zu wenden, also gegen Menschenwürde, Demokratie- oder Rechtsstaatsprinzip. Auch der Verfassungsschutz hatte in früheren Zeiten geltend gemacht, dass Kritik an ihm als Anzeichen für Verfassungsfeindlichkeit aufgefasst werden müsse. Dem haben Gerichte in einschlägigen Urteilen längst eine Abfuhr erteilt. Der Verfassungsschutz ist zwar eine Institution mit Verfassungsrang, aber selbst nicht Bestandteil der FDGO. Er kann nach Lust und Laune kritisiert – und auch abgeschafft werden.
Von Storch verwahrte sich daher mit Recht gegen die Unterstellung, ihre Äußerungen seien verfassungsfeindlich gewesen. Das waren sie nur in der Interpretation Wellmers – und das auch noch „ziemlich klar“. Es ist dieselbe Vorgehensweise wie beim Verfassungsschutz: Die Verfassungsfeindlichkeit wird auch ohne Beweis einfach vorausgesetzt, um so harmlose Äußerungen als Belege der Verfassungsfeindlichkeit deuten zu können.
Bemerkenswert ist übrigens noch etwas: Jene hier zitierte Stelle des Interviews ist auf den Internetseiten der Tagesthemen nicht abrufbar. Die fraglichen drei Minuten, in denen von Storch der Öffentlichkeit außerdem erklärt, dass der Verfassungsschutz eine politisch weisungsgebundene Behörde ist, wurden aus dem Video herausgeschnitten.
Die Verantwortung der Mitte
Bis
heute wollen sich weite Teile der medialen Öffentlichkeit und Politik
nicht eingestehen, dass sie selbst an der Erschaffung der AfD in ihrer
heutigen Gestalt beteiligt waren. Anstatt selbstkritisch in den Spiegel
zu blicken, wird nach dem Motto „Haltet den Dieb!“ um so heftiger auf
die größte Oppositionspartei eingedroschen.
Im Jahr 2014 war die AfD eigentlich schon mausetot. Erst mit Beginn der illegalen Massenmigration wurde sie wieder zum Leben erweckt. Die gesellschaftlichen Probleme, die damit bis heute einhergehen, wurden lange geleugnet oder verharmlost – von ihrer Lösung ganz zu schweigen. Und je mehr geleugnet und verharmlost wurde, um so mehr Wähler konnte die AfD auf sich ziehen. So wird es auch bleiben, wenn die Bundespolitik nicht einen fundamentalen Kurswechsel einleitet. Wenn denn die AfD tatsächlich eine Gefährdung der Demokratie ist, hat die sich für unschuldig haltende gesellschaftliche Mitte einen großen Anteil daran.
Und eine zweite Wahrheit kommt hinzu: Von Beginn an wurde die AfD in die extremistische Ecke gestellt. Von den etablierten Parteien war das so unlauter wie absichtsvoll. Es sollte verhindert werden, dass ein weiterer Konkurrent im Kampf um die politische Macht entsteht. Und zahlreiche Journalisten haben dabei mitgemacht. Anstatt als möglichst objektiver Statthalter des Souveräns zu agieren, haben sich viele wie Werbeagenturen der etablierten Parteien betätigt.
Demokratie in Geiselhaft
Dabei darf als unstrittig gelten, dass die Lucke-AfD zu keinem Zeitpunkt extremistische Ziele verfolgte. Man blicke nur in das Bundestagswahlprogramm des Jahres 2013. Was dort damals zur Migrationspolitik gefordert wurde, setzte zehn Jahre später die Ampel-Regierung um – und zwar Punkt für Punkt.
Aber mit der frühen Etikettierung als „rechts“ ließen sich die Unionsparteien die strategische Chance nehmen, die noch junge Konkurrenzpartei frühzeitig durch Koalitionen in das politische System zu integrieren und zu pazifizieren. Hätte die AfD damals auch nur ein einziges Mal Regierungsverantwortung getragen und zeigen müssen, was hinter ihren markigen Sprüchen steckt, sähen ihre Umfrageergebnisse heute ganz anders aus.
Bereits seit Jahren hält die Debatte um die AfD das
politische System in einer regelrechten Geiselhaft. So wird nicht nur
die Lösung offenkundiger gesellschaftlicher Probleme vereitelt, sondern
die Demokratie unter Dauerstress gesetzt. Das kann so nicht ewig
weitergehen, ohne möglicherweise unabsehbare Dauerfolgen für das
Gemeinwesen zu haben.
Man muss daher froh sein, dass die Bundesregierung die AfD endlich zu einer „gesichert extremistischen“ Partei erklärt hat. Noch besser wäre es, wenn dieser Entscheidung ein Verbotsverfahren folgte. Nur so kann vor Gericht und daher möglichst objektiv geklärt werden, wie sachhaltig die Vorwürfe der Regierung und ihres Bundesamtes für Verfassungsschutz sind.
Diese Letztentscheidung wird voraussichtlich nicht beim Bundesverfassungsgericht, sondern beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte liegen. Und das ist auch gut so: Je weniger die Richter selbst als Bürger in die politischen Debatten rund um die AfD verwickelt sind, um so eher darf man sich ein politisch neutrales Urteil erwarten.
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