Die Muslimbruderschaft wolle Frankreichs Gesellschaft umkrempeln, warnt ein neuer Bericht (NZZ)
Nach Angaben des Berichts sind derzeit 139 Moscheen offiziell mit den «Musulmans de France» verbunden, 68 weitere gelten als nahestehend. Hinzu kommen rund 280 Vereine, die in Bereichen wie Bildung, Jugendarbeit und Wohlfahrt tätig sind. Rund 91 000 Gläubige sollen die Moscheen regelmässig besuchen. Als Kern der Bewegung machen die Autoren 400 bis 1000 besonders loyale Mitglieder aus. Auch zur finanziellen Basis der Organisation macht der Bericht Angaben: Die Bewegung finanziere sich vor allem über Spenden aus dem Inland, Mitgliedsbeiträge und Einnahmen aus wirtschaftlichen Aktivitäten einzelner Vereine. Zudem gebe es Hinweise auf punktuelle Unterstützung durch ausländische Geldgeber, vor allem aus Katar.
Hervorgehoben wird der Einfluss der Muslimbruderschaft im Bildungsbereich: 21 Privatschulen in Frankreich mit rund 4200 Schülern gelten als ihr nahestehend. Ein prominentes Beispiel ist das Lycée Averroès in Lille, das wegen des Vorwurfs illegaler Finanzierung unter Beobachtung steht. Auch das Lycée Al-Kindi bei Lyon ist im Visier der Behörden. Hinzu kommen 114 Koranschulen, die direkt der Bruderschaft zugerechnet werden.
Der Bericht des Innenministeriums erwähnt aber auch ausserschulische Indoktrinierung in Gestalt von jungen Predigern, die über soziale Netzwerke ihre Botschaften verbreiten. Namentlich genannt wird Marwan Muhammad, der ehemalige Präsident des sogenannten Kollektivs gegen Islamophobie in Frankreich. Er lebt heute im kanadischen Exil. Über ihn und andere Prediger werde ein ideologisches Milieu geschaffen, das religiöse Radikalisierung auch jenseits von Moscheen ermögliche, heisst es.
Kulturelle Parallelstrukturen
Angeblich nur caritativ arbeitende Organisationen wie Humani’terre (gegen die wegen möglicher Finanzflüsse zur Hamas ermittelt wird) ergänzen das «Ökosystem» der Bruderschaft. Die Muslimbrüder, so schreiben die Autoren, nutzten soziale Dienstleistungen, Halal-Zertifizierungen und «islamkonforme Finanzprodukte», um schrittweise kulturelle Parallelstrukturen aufzubauen.
Diese Strategie, diskret und auf niedriger Ebene in Sport-, Kultur- und andere Vereinigungen zu infiltrieren, wird in der französischen Diskussion auch «Entrismus» genannt; ein Begriff, der eigentlich aus dem Trotzkismus stammt. Dahinter verbirgt sich ein janusköpfiges Auftreten: Während die Organisation nach aussen gesetzestreu erscheint, existiert ein innerer Führungszirkel mit geheimen strategischen Funktionen. Öffentliche Vertreter der Bruderschaft vermeiden offene Konfrontationen und überlassen dafür Partnern wie dem mittlerweile aufgelösten Kollektiv gegen Islamophobie die Auseinandersetzung um strittige Themen.
Die Aktivitäten der «Ikhwan al-Muslimin», wie die Mutterorganisation in Ägypten genannt wird, reichen in Frankreich bis in die 1950er Jahre zurück. Nach Repressionen im Nahen Osten fanden führende Kader wie Saïd Ramadan in Europa Zuflucht und gründeten dort islamische Zentren. Die Bewegung formulierte früh das Ziel, den Islam als umfassendes Regelwerk auch in westliche Gesellschaften einzupflanzen – oft verborgen hinter zivilgesellschaftlichem Engagement und interreligiösem Dialog.
Der Bericht fordert von Staat und Öffentlichkeit eine neue Aufmerksamkeit für das Phänomen. Während der Fokus der Sicherheitsbehörden bislang auf akuten Terrorgefahren gelegen habe, wirke die Bruderschaft schleichend – mit dem Ziel, Gesellschaften auf Dauer «Scharia-kompatibel» zu machen. Die grösste Herausforderung sei die Langfristigkeit des Vorhabens und der geschickte Wechsel zwischen legaler Taktik und ideologischem Ziel.
Vertreter der «Musulmans de France» protestierten umgehend gegen die «unbegründeten Anschuldigungen», auch andere Stimmen warnten am Mittwoch vor einer «gefährlichen Vermischung von Islam und Radikalismus». Die «Islamophobie», wetterte der Frontmann der linksradikalen Partei La France insoumise, Jean-Luc Mélenchon, habe in Frankreich inzwischen eine gefährliche Grenze überschritten.
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