01 Juni 2025

Der andere Blick - Die deutsche «Energiewende» ist nationaler Egoismus in grünem Gewand (NZZ)

Der andere Blick
Die deutsche «Energiewende» ist nationaler Egoismus in grünem Gewand (NZZ)
Deutschland verfolgt ehrgeizige Klimaziele, doch die Energieversorgung des Land sichern immer öfter die Nachbarn. Höchste Zeit für eine Kurskorrektur.
von Johannes C. Bockenheimer, 27.05.2025, 3 Min.
Neue Zahlen, altes Problem: Der Netzbetreiber TransnetBW legt am diesem Dienstag Daten zur Versorgungssicherheit in Deutschland vor. Wieder einmal, muss man sagen. Denn solche Auswertungen gab es bereits in der Vergangenheit – und fast alle kamen zu einem ähnlichen Schluss: Es ist schlecht bestellt um die deutsche Energieversorgung.
Vermutlich wird es auch dieses Mal eine Warnung geben – vor Engpässen, vor Dunkelflauten, vor dem, was im hiesigen Stromnetz passiert, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind eine Pause einlegt. Die zentrale Frage ist dabei nicht nur, ob Deutschlands Stromversorgung gesichert ist. Sondern auch: wer sie am Ende sichert.
Denn es sind nicht nur deutsche Kraftwerke, die einspringen, wenn das Netz unter Druck gerät, sondern immer häufiger die der europäischen Nachbarn. Im Jahr 2024 importierte Deutschland 67 Terawattstunden Strom, so viel wie nie zuvor.
Während Berlin sich also ambitionierte Klimaziele setzt, tragen andere Länder die operative Verantwortung mit. Die deutsche Energiewende: Sie ist national ehrgeizig und international rücksichtslos. In seinem Streben, so schnell wie möglich auf erneuerbare Energien umzusteigen, achtet Deutschland zu wenig auf die Auswirkungen für seine europäischen Partner.
Schweden zahlt drauf, Belgien wird belehrt
Der schwedischen Energieministerin Ebba Busch platzte deshalb bereits im vergangenen Winter der Kragen: «Ich bin wütend auf die Deutschen», wetterte sie. Kein Wunder, Deutschlands Dunkelflauten treiben die Preise im Süden Schwedens regelmässig in die Höhe, weil Strom dem eigenen Netz entzogen wird. Solidarität? Das Wort führen deutsche Politiker gern im Mund. Aber die Praxis ist oft einseitig.

Auch Belgien trägt zur Stabilität im deutschen Stromnetz bei, braucht aber nicht auf Dankbarkeit zu hoffen. Als das belgische Parlament jüngst beschloss, den Atomausstieg des Landes rückgängig zu machen und die Laufzeiten seiner Reaktoren zu verlängern, reagierte das deutsche Umweltministerium mit öffentlichem Bedauern.

Zur Begründung hiess es, die Risiken der Atomkraft machten an Landesgrenzen nicht halt. Dabei ist es gerade diese Energie, auf die sich Deutschland in kritischen Phasen stützt.

Und schliesslich: die Schweiz. Der Stromversorger AET hat Deutschland vor einem internationalen Schiedsgericht verklagt. Der Grund: Die deutsche Regierung will das Kohlekraftwerk Lünen, an dem AET beteiligt ist, vorzeitig abschalten. Für AET bedeutet das einen hohen finanziellen Verlust, weil sich die Investition nicht amortisieren lässt.

Drei Länder, drei Konflikte, ein Muster: Deutschlands Energiewende war nie europäisch gedacht. Sie ist nationaler Egoismus im grünen Gewand.

Ein leiser Kurswechsel?

Immerhin, mit der neuen Wirtschaftsministerin Katherina Reiche im Amt deutet sich zumindest ein zögerliches Umdenken an. «Wir werden unsere Energiepolitik einem Realitätscheck unterziehen», sagte sie in ihrer ersten Bundestagsrede. Damit rückte die Christlichdemokratin und frühere Energiemanagerin das Thema Versorgungssicherheit demonstrativ in den Mittelpunkt. Erstmals seit Jahren tönt es aus dem Wirtschaftsministerium in Berlin nicht nach moralischem Absolutismus, sondern nach Pragmatismus.

Es wäre höchste Zeit. Eine «Energiewende», die im Inland von vielen gefeiert, aber in Warschau, Stockholm oder Bern mit Kopfschütteln quittiert wird, ist nicht zukunftsfähig. Weder politisch noch wirtschaftlich.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen