Einstufung der AfD durch Verfassungsschutz
Gabor Steingart, Montag, 05.05.2025
"Junge Menschen erwarten oft von mir das ungebrochene Ja, das deutliche Nein. Aber mir ist es unmöglich geworden, an eine einzige, an die Wahrheit zu glauben. Also sage ich meinen jungen Freunden und anderen, die es hören wollen: es gibt mehrere Wahrheiten, nicht nur die eine, alles andere ausschließende Wahrheit. Deshalb glaube ich an die Vielfalt und also an den Zweifel."
Der Demokratie kann der Staat so keinen Dienst erweisen. Warum dieses Vorgehen unsere demokratische Verfasstheit nicht schützt, sondern gefährdet, hat vier handfeste Gründe, die in der „Soziologie der Minderheiten“ weithin erforscht sind:
1. Intransparenz schafft Mythen
Die Geheimhaltung ist die Geburtsstunde jeder Verschwörungstheorie. Folgerichtig soll auch die 1.100-seitige Studie des Verfassungsschutzes, die zu diesem Verdikt geführt hat, nicht veröffentlicht werden. Damit versucht man, das Urteil zu immunisieren.
Wir sollen glauben, nicht wissen. Wir sollen folgen, nicht zweifeln. Die Wähler der AfD will man erkennbar nicht überzeugen, sondern stigmatisieren. So gesehen hat der Verfassungsschutz einen Volltreffer gelandet.
2. Verfolgung begründet Märtyrer-Status
Die Haltung der AfD-Führung – gegen Einwanderung und
Einbürgerung, für Ausgrenzung und Ausweisung – wird durch das Vorgehen
einer staatlichen Behörde nicht gelockert, sondern gefestigt. Zumal der
amerikanische Außenminister Marco Rubio der AfD beispringt. (siehe Foto)
Dieser Märtyrer-Status nutzt der Partei, insbesondere bei der Akquise neuer Mitglieder und Wähler. Denn hier wird im Parteienwettbewerb ein Alleinstellungsmerkmal etabliert. Seht her: Der Wähler der AfD ist nicht Wähler, sondern Widerstandskämpfer. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat die perfekte Markenkampagne für die AfD gestartet.
3. Dog Whistle Politics: Staat löst Framing-Effekte aus
Staatliche Diskriminierungen von politischen Gruppierungen führen nicht zu deren Verschwinden, sondern zur Etablierung einer eigenen Sprache, die – wie die spezielle Hundepfeife – nur von einer bestimmten Spezies verstanden wird. Es wird wie bei der Dog Whistle auf einer eigenen Frequenz gesendet, die für andere kaum wahrnehmbar bleibt.
Das Framing ändert sich, die Bedeutung lebt fort: Björn Höcke bezeichnet
sich nicht als nationalsozialistisch, sondern als sozialpatriotisch,
fordert nicht Ausländer raus, sondern Remigration, spricht nicht von
Rasse, sondern von Identität. Was früher als jüdisches Großkapital galt,
nennt er jetzt Globalisierungselite. Er ist ein Rechtsextremist im
Tarnanzug.
4. Identitätsstärkung durch Opferidentität
Laut der Reaktanztheorie des Psychologen Jack Brehm von 1966 kommt es bei verfolgten Minderheiten nicht zur Aufgabe der Ziele, sondern zur Verstärkung der Anstrengung. Verbote und Verbotsdebatten führen in der Regel zu einer internen Radikalisierung („Wir sind die Letzten, die die Wahrheit kennen“) und verringern zugleich den Außenkontakt mit der liberalen Gesellschaft.
Das bedeutet: Die Polarisierung nimmt nicht ab, sondern zu. Die verschiedenen Gesellschaftsteile stehen sich jetzt wie feindliche Heere gegenüber, brechen den Dialog ab und schließen das Visier. Der Staat hat sich zwischen sie gestellt – aber nicht als Moderator, sondern als Grenzpolizist, der die Demarkationslinie des Diskurses überwacht.
Fazit: Die 61 Verfassungsväter und vier Verfassungsmütter des Parlamentarischen Rates haben die Hürde für ein Parteienverbot extrem hoch gelegt, weil sie ja wussten, dass die Versuchung groß ist, den politischen Wettbewerb einzuschränken. Carlo Schmid:
Deshalb wacht über die Zulässigkeit einer Partei seit Hitlers Zeiten, der alle Parteien verbieten ließ, nicht die Innenministerin, nicht der Regierungschef, nicht der Bundestag und nicht das Bundesamt für Verfassungsschutz, sondern das einzig dem Recht verpflichtete Bundesverfassungsgericht.Wir wollen eine Ordnung schaffen, in der das Recht über der Macht steht.
Das eben war die Lehre aus Hitlers Orgie von Parteiverboten: Die deutsche Demokratie ist wehrhaft, aber nicht willkürlich. Oder um es mit Carlo Schmid zu sagen:
Wir wollen eine Ordnung, die den Streit der Meinungen aushält, weil nur im Streit die Wahrheit sichtbar wird. Der Parlamentarismus ist nicht bequem – aber er ist ehrlich
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