05 Mai 2025

The Pioneer - Einstufung der AfD durch Verfassungsschutz

Business Class Edition

Einstufung der AfD durch Verfassungsschutz
Gabor Steingart, Montag, 05.05.2025
Guten Morgen,
wenn es das Ziel ist, die AfD stark zu machen, ihr ein Alleinstellungsmerkmal zu verschaffen, um so eine rechtspopulistische Regierungsübernahme in 2029 vorzubereiten, dann hat das Bundesamt für Verfassungsschutz alles richtig gemacht.
Wenn es aber darum geht, ein Klima der Verständigung zu schaffen, in dem die Migrationsfrage faktenbasiert besprochen und von der neuen Regierung im Rahmen des gesetzlich Erlaubten und des humanitär Gebotenen gelöst werden kann, dann haben die Verfassungsschützer alles falsch gemacht.
Mit der öffentlichen Deklaration, ab jetzt seien Zweifel verboten und Deutschlands größte Oppositionspartei mit ihren knapp 450 Mandatsträgern auf Bundes-, Landes- und EU-Ebene und 10,3 Millionen Wählern bei der Bundestagswahl habe als „gesichert rechtsextremistisch“ zu gelten, wird der politische Antagonist im öffentlichen Diskurs de facto deaktiviert. Was Willy Brandt bei der Verleihung des Friedensnobelpreises am 10. Dezember 1971 in Oslo sagte, soll nicht mehr gelten:

"Junge Menschen erwarten oft von mir das ungebrochene Ja, das deutliche Nein. Aber mir ist es unmöglich geworden, an eine einzige, an die Wahrheit zu glauben. Also sage ich meinen jungen Freunden und anderen, die es hören wollen: es gibt mehrere Wahrheiten, nicht nur die eine, alles andere ausschließende Wahrheit. Deshalb glaube ich an die Vielfalt und also an den Zweifel."

Das Bundesamt für Verfassungsschutz – das noch der SPD-Innenministerin untersteht – planiert den Raum für Zweifel. Der Aktionsradius des neuen Kanzlers wird eingeengt. Das Gelände vor und hinter der Brandmauer ist von nun an – wie einst die innerdeutsche Grenze – vermint und mit Selbstschussanlagen versehen.

Wer, wie der künftige Fraktionschef der Union, Jens Spahn, die AfD jetzt noch „wie jede andere Oppositionspartei im Bundestag“ behandelt sehen will, muss im Jagdrevier der Politik mit dem letalen Fangschuss rechnen.

Der Demokratie kann der Staat so keinen Dienst erweisen. Warum dieses Vorgehen unsere demokratische Verfasstheit nicht schützt, sondern gefährdet, hat vier handfeste Gründe, die in der „Soziologie der Minderheiten“ weithin erforscht sind:

1. Intransparenz schafft Mythen

Die Geheimhaltung ist die Geburtsstunde jeder Verschwörungstheorie. Folgerichtig soll auch die 1.100-seitige Studie des Verfassungsschutzes, die zu diesem Verdikt geführt hat, nicht veröffentlicht werden. Damit versucht man, das Urteil zu immunisieren.

Wir sollen glauben, nicht wissen. Wir sollen folgen, nicht zweifeln. Die Wähler der AfD will man erkennbar nicht überzeugen, sondern stigmatisieren. So gesehen hat der Verfassungsschutz einen Volltreffer gelandet.

2.⁠ ⁠Verfolgung begründet Märtyrer-Status

Die Haltung der AfD-Führung – gegen Einwanderung und Einbürgerung, für Ausgrenzung und Ausweisung – wird durch das Vorgehen einer staatlichen Behörde nicht gelockert, sondern gefestigt. Zumal der amerikanische Außenminister Marco Rubio der AfD beispringt. (siehe Foto)

Dieser Märtyrer-Status nutzt der Partei, insbesondere bei der Akquise neuer Mitglieder und Wähler. Denn hier wird im Parteienwettbewerb ein Alleinstellungsmerkmal etabliert. Seht her: Der Wähler der AfD ist nicht Wähler, sondern Widerstandskämpfer. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat die perfekte Markenkampagne für die AfD gestartet.

3. Dog Whistle Politics: Staat löst Framing-Effekte aus

Staatliche Diskriminierungen von politischen Gruppierungen führen nicht zu deren Verschwinden, sondern zur Etablierung einer eigenen Sprache, die – wie die spezielle Hundepfeife – nur von einer bestimmten Spezies verstanden wird. Es wird wie bei der Dog Whistle auf einer eigenen Frequenz gesendet, die für andere kaum wahrnehmbar bleibt.

Das Framing ändert sich, die Bedeutung lebt fort: Björn Höcke bezeichnet sich nicht als nationalsozialistisch, sondern als sozialpatriotisch, fordert nicht Ausländer raus, sondern Remigration, spricht nicht von Rasse, sondern von Identität. Was früher als jüdisches Großkapital galt, nennt er jetzt Globalisierungselite. Er ist ein Rechtsextremist im Tarnanzug.

4. Identitätsstärkung durch Opferidentität

Laut der Reaktanztheorie des Psychologen Jack Brehm von 1966 kommt es bei verfolgten Minderheiten nicht zur Aufgabe der Ziele, sondern zur Verstärkung der Anstrengung. Verbote und Verbotsdebatten führen in der Regel zu einer internen Radikalisierung („Wir sind die Letzten, die die Wahrheit kennen“) und verringern zugleich den Außenkontakt mit der liberalen Gesellschaft.

Das bedeutet: Die Polarisierung nimmt nicht ab, sondern zu. Die verschiedenen Gesellschaftsteile stehen sich jetzt wie feindliche Heere gegenüber, brechen den Dialog ab und schließen das Visier. Der Staat hat sich zwischen sie gestellt – aber nicht als Moderator, sondern als Grenzpolizist, der die Demarkationslinie des Diskurses überwacht.

Fazit: Die 61 Verfassungsväter und vier Verfassungsmütter des Parlamentarischen Rates haben die Hürde für ein Parteienverbot extrem hoch gelegt, weil sie ja wussten, dass die Versuchung groß ist, den politischen Wettbewerb einzuschränken. Carlo Schmid:

Wir wollen eine Ordnung schaffen, in der das Recht über der Macht steht.

Deshalb wacht über die Zulässigkeit einer Partei seit Hitlers Zeiten, der alle Parteien verbieten ließ, nicht die Innenministerin, nicht der Regierungschef, nicht der Bundestag und nicht das Bundesamt für Verfassungsschutz, sondern das einzig dem Recht verpflichtete Bundesverfassungsgericht.

Das eben war die Lehre aus Hitlers Orgie von Parteiverboten: Die deutsche Demokratie ist wehrhaft, aber nicht willkürlich. Oder um es mit Carlo Schmid zu sagen:

Wir wollen eine Ordnung, die den Streit der Meinungen aushält, weil nur im Streit die Wahrheit sichtbar wird. Der Parlamentarismus ist nicht bequem – aber er ist ehrlich


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