13 Juli 2022

Business Class Edition: Energie-Zar Putin & die Fehlkalkulation des Westens

Business Class Edition:
 

Energie-Zar Putin & die Fehlkalkulation des Westens
Guten Morgen,
der Schuldner kann seiner Bank nicht drohen. Wenn er es trotzdem wagt, wird sie ihn vor die Tür setzen. Oder foltern. Dafür braucht sie keine Streckbank. Sie hat ja ihre Zinsen.
Der Energiekonsument kann seinem Lieferanten nicht drohen. Wenn der Kunde nervt, dreht man ihm den Hahn zu. Dem bisherigen Abnehmer fehlen dann Warmwasser, Strom, Heizung und womöglich bald auch der Arbeitsplatz.
Womit wir bei Wladimir Putin wären. Der Westen wollte ihn ökonomisch in die Knie zwingen (Joe Biden: „Die Gesamtheit unserer Sanktionen und Exportkontrollen erdrückt die russische Wirtschaft” ) und plötzlich spüren wir den kühlen Lauf seiner Gaspistole an unserer Stirn.  
Putin hat erkannt, dass er im kleinen ukrainischen Theater die Welt nicht beeindrucken kann. Sein dortiger Krieg ist verlustreich, moralisch abstoßend und politisch ineffektiv.
Seine wirkliche Waffe liegt in den schier unerschöpflichen Öl- und Gasvorräten des größten Flächenstaates dieser Erde. Putins große Bühne sind die Weltenergiemärkte. Hier hat er etwas, was die anderen nicht haben. Hier kann er die Rolle des Energiezaren spielen. Machtvoll. Leichtfüßig. Effizient.
Und so wurden wir Zeitzeuge (und Opfer) der größten politischen Fehlkalkulation des Westens seit dem Einmarsch der Nato inAfghanistan. Putin wurde nicht geschrumpft, sondern vergrößert. Der Ukraine-Krieg wurde nicht beendet, sondern findet als Weltwirtschaftskrieg seine Fortsetzung.
Wir erinnern uns: Auch in der Kampf- und Widerstandskraft der Taliban hatte sich der Westen geirrt. Die so genannten Steinzeitkrieger waren der Nato zwar nicht technologisch oder finanziell überlegen. Aber ihr Energielevel und ihre Leidensfähigkeit waren höher. Der Suizid-Bomber war ihr Tornado. Sie brauchten keine Aufklärungsflugzeuge, die Kollaboration mit der normalen Bevölkerung lieferte ihnen die besseren Daten.
Wladimir Putin ist der Taliban der Neuzeit. Nur, dass seine Sprengkraft geographisch nicht begrenzt ist. Mit seiner Zuteilungspolitik von Öl und Gas, aber auch schon mit seinen Drohungen und Lockungen, bewegt er die Energiemärkte. Am Wochenende erst nutzte er ein Treffen mit Regierungsvertretern, das vom Fernsehsender Rossija 24 übertragen wurde, um dem Westen einen medialen Erpresserbrief zukommen zu lassen:

Die Sanktionen gegen Russland werden am Ende den Ländern, die sie verhängen, viel mehr schaden.

Und weiter:

Neue Sanktionen könnte zu noch schwerwiegenderen Folgen, ja sogar zu katastrophalen Folgen auf dem globalen Energiemarkt führen. Ich übertreibe nich

Der Westen – will er ein zweites Kabul verhindern – sollte dem Aggressor zuhören. Er sollte begreifen, dass Putin das Kriegsziel gewechselt hat. Wir schauen weiter auf Kiew, Mariupol und den Donbass. Er aber zielt in die Mitte unserer Wohlstandsgesellschaften. Er will nicht mehr nur die Ukraine unterjochen, sondern unsere politische Klasse vorführen, die ihre Kräfte falsch einschätzt. Wenn er so weitermacht, bringt er die Verhältnisse im Westen zum Tanzen:

  • Da Russland 23,6 Prozent des Weltmarktes mit seinen Gasexporten bestreitet, wirkt sich jede Angebotsverknappung auf den Preis aus. Die Gaspreise haben sich seit Anfang Juli um über 400% gesteigert. Damit hat Putin die Wirkung des erhöhten Mindestlohns und vieler Sozialleistungen der demokratischen Staaten neutralisiert.

    Deutschlands größter Abnehmer von russischem Gas, die Firma Uniper aus Düsseldorf, geht eher in die Knie als Gazprom. Das Management hat bereits die Bundesregierung um ein milliardenschweres Rettungspaket gebeten. Eine Staatsbeteiligung steht kurz bevor.
  • Auch auf dem Ölmarkt ist Russland eine Großmacht. 12,3 Prozent der global ausgelieferten Ölmengen stammen aus der Russischen Föderation. Analysten von JPMorgan haben gewarnt, dass die Ölpreise von 50 Dollar im Januar 2021 auf bis zu 380 Dollar pro Barrel steigen könnten, wenn Moskau die Exporte drosseln sollte, um „dem Westen Schmerzen zuzufügen".

  • Die deutsche Regierung, die angetreten war, um mit ihren Sanktionen Russland zu schädigen, muss nun ihrerseits einen Notfallplan für den Winter beschließen, um den Mangel zu verwalten. Die Geschichte liebt derartige Pointen: Die sowjetische Planwirtschaft erlebt in einer deutschen Energieplanwirtschaft ihre Wiedergeburt.

  • Auch in Großbritannien wirkt sich die russische Kriegsführung via Öl und Gas massiv aus. Die Regierung hat die Bevölkerung aufgefordert, Energie zu sparen und Rücklagen zu bilden. Die Preisobergrenze für die Strom- und Gasrechnungen der Privathaushalte wird voraussichtlich auf 3.400 Pfund pro Jahr für den Durchschnittshaushalt ansteigen und damit dreimal so hoch sein wie im Jahr 2020.
    Die westlichen Staaten, finanziell geschwächt der Pandemie entronnen, haben nicht im Ansatz die finanziellen Mittel, um einen russischen Gasangriff für die Bevölkerung neutralisieren zu können.

    Die Wirtschaft dürfte geradezu vorsätzlich in die weltweite Rezession rutschen – mit Massenarbeitslosigkeit und Pleitewelle. Die Energiepreise sind das Fundament derWohlstandspyramide. Dieses Fundament wackelt.

    Fazit: Der Westen muss erkennen, dass die Waffe des Sanktionsregimes ihre Laufrichtung gedreht hat. Wir wollten Putin bestrafen und bestrafen uns. Wir wollten, dass er zittert, jetzt bibbern wir vor dem nächsten Winter. Wir wollten ihn verzwergen und haben ihn dadurch erst wieder groß gemacht. Sein Selbstbewusstsein – das war am Wochenende zu besichtigen – befindet sich auf einem All Time High.

    Es gibt in Amerika eine Volksweisheit, die lautet:

    If you are in a hole, stop digging.

    Wenn Du dich im Loch befindet, hör auf zu buddeln. Die unbequeme Wahrheit ist die: Der Westen muss seine Strategie verändern, sonst plumpst er in das Loch, das er für Putin gegraben hat, selbst hinein.

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