03 Juli 2022

BRICS-Gipfel Ein antiwestlicher Block entsteht, so mächtig wie noch nie (WELT+)

BRICS-Gipfel
Ein antiwestlicher Block entsteht, so mächtig wie noch nie
In Deutschland glauben viele, die meisten Länder stünden im Krieg aufseiten der Ukraine. Doch die Wahrheit sieht ganz anders aus: Die antiwestliche Allianz wird immer mächtiger, politisch und wirtschaftlich – und sie erstreckt sich über die ganze Welt.

Beim G-7-Gipfel auf Schloss Elmau in Bayern treffen sich die Staats- und Regierungschefs der wichtigsten sieben Länder der Welt. Wirklich? Schon diese Woche war Chinas Präsident Xi Jinping Gastgeber des BRICS-Gipfels (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika), wenn auch wegen der chinesischen Null-Covid-Politik diesmal nur digital. Dieses Bündnis soll jetzt erweitert werden um Staaten wie Indonesien und Argentinien.

Auch Russlands Präsident war zugeschaltet. Durch die Teilnahme Putins in Kriegszeiten hatte dieser Gipfel eine neue Brisanz – unter anderem, weil Indien dazugehört, das der Westen gern im demokratischen Lager sähe.

Während die westlich orientierten G 7 eine Bevölkerung von knapp 771 Millionen Menschen vertreten, leben in den sieben Staaten des Gegenblocks mehr als drei Milliarden. „Die G 7 repräsentieren das 20. Jahrhundert, BRICS die Zukunft des 21. Jahrhunderts“, heißt es dazu in der chinesischen Parteizeitung „Global Times“.

Schon in seiner Eröffnungsansprache am Mittwoch setzte Xi Jinping den Ton: „Die Ukraine-Krise ist ein Alarmsignal für die Welt“, sagte er, meinte damit aber nicht die russische Kriegsführung, sondern das Verhalten des Westens: Der „missbrauche Sanktionen“, um seine „Hegemonie“ zu behalten.

Russisches Öl fließt nach China

Putin kündigte bei dem Treffen an, die Sanktionen zu umgehen durch verstärkte Zusammenarbeit mit den BRICS-Ländern. In Russland würden bald mehr chinesische Autos fahren und indische Supermarktketten ihre Filialen eröffnen. Russisches Öl fließt jetzt nach China. Indien importiert russische Kohle.

Andrej Denissow, Moskaus Botschafter in Peking, schlug vor, den US-Dollar als internationales Zahlungsmittel durch eine andere Währung zu ersetzen – wahrscheinlich durch den chinesischen Renminbi. Ein Vorgeschmack darauf: Da die Russen wegen der Sanktionen keine Visa- oder Mastercard mehr nutzen können, zahlen sie jetzt mit der chinesischen Kreditkarte UnionPay.

Auch in internationalen Gremien wie dem UN-Sicherheitsrat wollen die BRICS-Staaten Veränderungen. Derzeit gehören dem Rat neben den USA, China und Russland die europäischen Länder Frankreich und Großbritannien an. In ihrer gemeinsamen „Pekinger Erklärung“ forderten die Gipfelteilnehmer diese Woche, die Rolle von Brasilien, Indien und Südafrika innerhalb der Vereinten Nationen zu stärken.

Menschenrechte dürften „nicht mit zweierlei Maß“ durchgesetzt werden, ein Seitenhieb gegen die USA. Der Patentschutz für Corona-Impfstoffe solle aufgehoben werden, damit Entwicklungsländer sie produzieren können. Die Erklärung verurteilt den russischen Angriff auf die Ukraine nicht, sagt dazu lediglich: „Wir unterstützen Gespräche zwischen Russland und der Ukraine.“ 

Indirekt machte Xi Jinping die Nato für den Krieg verantwortlich: „Einige Länder streben jetzt absolute Sicherheit an, indem sie Militärbündnisse ausdehnen und so andere Länder zwingen, sich auf eine Seite zu stellen. Sie schaffen eine Konfrontation der Blöcke, übersehen die Interessen und Rechte anderer Länder und streben nach Vorherrschaft.“

Es sind höchst unterschiedliche Länder und Politiker, die hier in der Ablehnung westlicher Vormacht und Werte vereint scheinen. Brasiliens Präsident Bolsonaro bewundert als Rechtsradikaler Putins Führungsstil und verbittet sich die Einmischung des Westens zum Schutz des Regenwalds am Amazonas. Gerade wurde dort der britische Journalist Dom Phillips ermordet, der über die Gewalt von Holzfällern und Wilderern gegen Indigene recherchierte. Kommentar des Präsidenten: Der Brite sei dort „nicht willkommen“ gewesen.

Einheit von Nationalismus und Sozialpolitik

Auch wirtschaftliche Verflechtungen spielen eine Rolle. China baut in Brasilien das 5G-Netz aus. Russland ist ein wichtiger Düngemittellieferant für den südamerikanischen Riesenstaat, der das Exportland Nummer zwei bei Fleisch und Nummer eins bei Kaffee ist. „Dünger ist uns heilig“, sagt Bolsonaro.

Sein Gegenkandidat bei der Wahl im Oktober, Ex-Präsident Lula da Silva von der Arbeiterpartei, lehnt als Linker die USA ab. Kürzlich ließ er verlauten, der Westen habe nicht genügend mit Putin verhandelt – und Selenskyj nutze den Krieg für eine persönliche Show.

Die argentinische Politik kennt man in Deutschland vor allem aus dem Musical „Evita“, später verfilmt mit Madonna als Evita Perón. Das ist gar nicht so weit entfernt von der Wirklichkeit. Heute regieren in Argentinien wieder die Peronisten, mit der neuen Evita, Cristina Kirchner, als der starken Frau.

Sie war erst Präsidentengattin, dann selbst Präsidentin, jetzt zieht sie als Vizepräsidentin die Fäden. Wie Putin versteht sie es, in unterschiedlichsten Funktionen an der Macht zu bleiben. Kürzlich verglich sie Russlands Krieg gegen die Ukraine mit Argentiniens Krieg gegen Großbritannien um die Falklandinseln 1982. Man hole sich nur zurück, was der Westen geraubt habe. Mit Xi verbindet Kirchner die Einheit von Nationalismus und Sozialpolitik.

Indien hat zwar Grenzkonflikte mit China, pflegt aber traditionell beste Beziehungen zur Sowjetunion und jetzt zu Russland. Dass Narendra Modi als Premierminister eines demokratischen Lands Rücksicht auf die Stimmung der Bevölkerung nehmen muss, sollte im Westen keine falschen Hoffnungen wecken. Die populärsten Hashtags im indischen Internet lauten derzeit #IStandWithRussia und #IStandWithPutin.

Indonesien hat mit seinen 274 Millionen Einwohnern die viertgrößte Bevölkerung der Erde und die bei Weitem größte muslimische. Eine dort verbreitete Weltsicht zeigt sich gerade bei der Documenta in Kassel. Ein indonesisches Künstlerkollektiv malte ein Schwein und einen Teufel mit Davidstern und einen Vampir mit Schläfenlocken.

Der Wind hat sich gedreht

Mit seiner Initiative für eine „neue Seidenstraße“ hat Xi weltweit großen Einfluss gewonnen. Das Programm erstreckt sich über das Gebiet der Seidenstraße von vor 2000 Jahren, also Asien, Afrika und Europa, hat sich aber auch bis nach Lateinamerika ausgedehnt. Überall soll die Infrastruktur entwickelt, der Handel ausgebaut und in Transportmittel investiert werden. 

Zudem sichern die beteiligten Staaten die Energieversorgung, erschließen natürliche Ressourcen und stellen Finanzen dafür bereit. Innerhalb eines Jahrzehnts will Xi dafür mehr als eine Billion US-Dollar ausgeben. Vergleichbar ist das mit dem Marshallplan nach dem Zweiten Weltkrieg, allerdings in wesentlich größerem Maßstab: Der US-Kongress bewilligte damals lediglich 12,4 Milliarden Dollar. Das entspricht nach heutigen Werten 139 Milliarden.

Der Wind auf der Welt hat sich gedreht, auch in Lateinamerika, dem einstigen Hinterhof der USA. Das erlebte Joe Biden Anfang des Monats beim Amerika-Gipfel. Er lud Venezuela, Kuba und Nicaragua aus, da ihre Politik nicht demokratischen Werten entspreche. Daraufhin sagten auch die Präsidenten von Mexiko, Bolivien, Uruguay, Honduras, El Salvador und Guatemala ihre Teilnahme ab. 

Mexikos Präsident López Obrador verurteilte die westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine als „unmoralisch“. Kein Land in Lateinamerika beteiligt sich an den Sanktionen gegen Russland, auch kein Land aus Afrika. In Asien sind es lediglich Japan, Südkorea und Taiwan.

In Deutschland glauben viele, die meisten Länder stünden aufseiten der Ukraine. In Wahrheit entsteht ein antiwestlicher Block, so mächtig wie es ihn in der Geschichte noch nie gegeben hat. Die Sowjetunion war ein „Obervolta mit Atomraketen“, wie Helmut Schmidt einst sagte, militärisch stark, aber wirtschaftlich ein Zwerg. Der neue Block hingegen vereinigt aufstrebende Wirtschaftsnationen, mit Xi Jinpings China an der Spitze. Wenn es nach dem kaufkraftbereinigten Bruttoinlandsprodukt geht, hat die Volksrepublik bereits 2014 die USA überholt.

WELT-Herausgeber Stefan Aust und der langjährige China-Korrespondent Adrian Geiges sind Autoren des Buchs „Xi Jinping – der mächtigste Mann der Welt“, der ersten umfassenden Biografie des chinesischen Partei- und Staatschefs. Sie erscheint jetzt in zehn weiteren Ländern, darunter den USA und Großbritannien.

 

 

 

 

 


 

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