08 Juli 2022

Geschlechterdebatte Das Ziel ist, dass keiner mehr abweichende Meinungen zu hören bekommen soll (WELT+)

Geschlechterdebatte
Das Ziel ist, dass keiner mehr abweichende Meinungen zu hören bekommen soll (WELT+)
Von Anna Schneider Chefreporterin 08.07.2022

Toleranz einzufordern setzt voraus, selbst tolerant zu sein. Doch genau das fehlt den Transaktivisten, die an der Humboldt-Uni den Vortrag einer Biologie-Doktorandin verhinderten. Ein so krasser Fall von Cancel Culture wirft die Frage auf: Wer diskiminiert hier eigentlich wen?
Frauen haben keinen Penis. Dieser banale Satz reicht dieser Tage, um einem die Schmähbezeichnung TERF – „Trans-Exclusionary Radical Feminist“ – einzubringen. Allerdings leugne ich weder die Existenz von Transfrauen oder -männern (im Gegenteil, hier gilt für mich im liberalsten Sinne: Jeder nach seiner Façon), noch bin ich Feministin; ich habe nur im Biologieunterricht aufgepasst.

Außerdem bin ich eher nicht willens, Frauen unsichtbar zu machen, indem so getan wird, als reiche es, sie als „Menschen, die menstruieren“ oder „Menschen mit Uterus“ zu bezeichnen. Nicht umsonst erstritten Frauenrechtler Schutzräume, die allein Frauen zugänglich sind – und damit meine ich tatsächlich biologische Frauen.
Und doch überkommt mich ein gewisses Unbehagen. Eine Frage, die schon oft – und zu oft im falschen Kontext – gestellt wurde, drängt sich mir wider Willen auf: Darf ich das denn noch sagen?
So oder so ähnlich geht es im Moment vielleicht auch einer Biologin und Doktorandin an der Humboldt-Universität, Marie-Luise Vollbrecht. Am vergangenen Wochenende sollte sie im Rahmen der „Langen Nacht der Wissenschaften“ zum Thema „Geschlecht ist nicht gleich Geschlecht – Sex, Gender und warum es in der Biologie nur zwei Geschlechter gibt“ referieren, doch ein „Arbeitskreis kritischer Jurist*innen“ kündigte Protest an.
Die Studentenvertretung schloss sich dem Aufruf per Mail an, und schließlich sagte die Universitätsleitung die Veranstaltung ab (der Vortrag soll, so viel sei dazu gesagt, bald im Rahmen einer Diskussionsrunde nachgeholt werden). Als Begründung wurden Sicherheitsbedenken genannt. Außerdem sei an der Humboldt-Universität kein Platz für die Diskriminierung sexueller Identitäten.
Perfide geistige Meisterleistung
An dieser Stelle frage ich mich: Wer diskriminiert sexuelle Identitäten? Vollbrecht, die in einem nach dieser Chose erschienenen Beitrag in der „Zeit“ betonte, dass es ein logischer Fehlschluss sei, aus dem Verweis auf die Existenz von nur zwei Geschlechtern in der Biologie eine Wertung oder moralische Forderung abzuleiten? Wohl kaum.
„Ich bin nicht menschenfeindlich, im Gegenteil, ich habe große Sympathien mit allen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung oder ihres Andersseins diskriminiert werden. Politisch stehe ich weit links. Aber ich bin eben dagegen, normative und soziale Fragen auf Kosten naturwissenschaftlicher Erkenntnisse zu debattieren“, schreibt Vollbrecht weiter. Daraus Trans- oder Queerfeindlichkeit zu konstruieren, ist schon eine perfide geistige Vollbrecht gilt nun teils in linken, jedenfalls aber in pseudo-progressiven Kreisen nicht nur als transphob, sondern auch als „umstritten“, ein Wort, das spätestens in dem Moment seine Bedeutung verlor, als auch die großartige Autorin Monika Maron damit bedacht wurde. Sex wird nicht mehr von Gender, das biologische also nicht mehr vom sozialen Geschlecht unterschieden – dabei sind es doch genau Transmenschen, die darunter leiden, im falschen Körper (eben im männlichen oder im weiblichen) geboren zu sein. Alles sehr rätselhaft. Was passiert hier?
Andere Meinungen? Daran haben besagte Aktivisten kein Interesse
Was jedenfalls nicht passiert, ist eine angemessene Debatte dieser Thematik. Vielmehr befinden wir uns in einer diskursiven Einbahnstraße. Besagte Transaktivisten rufen in erster Linie nicht nach Rechten und Anerkennung für jedes Individuum (was jedenfalls legitim wäre) – sie wollen andere Meinungen nicht hören, niemand soll das mehr.
Ihrem Ziel kommen sie mit jedem dieser Vorfälle einen Schritt näher. Nicht umsonst sieht auch Bundesverfassungsrichter Peter M. Huber die Hochschulen in der Pflicht, besser für die Sicherheit ihrer Wissenschaftler zu sorgen. Im „Einspruch“-Podcast der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ sagte er, dass sich „unter dem Etikett Cancel Culture“ in den vergangenen Jahren an Universitäten Fälle gehäuft hätten, wo Meinungsäußerungen im Rahmen des demokratischen Spektrums „zu unterdrücken versucht werden“. Dies müsse intensiver beobachtet und Abhilfe geschaffen werden.
An dieser Stelle möchte ich insbesondere diejenigen ganz herzlich grüßen, die behaupten, so etwas wie Cancel Culture gebe es in Deutschland gar nicht. Guten Morgen.
Dazu kommt, dass die ganze Debatte um Transgeschlechtlichkeit nur noch höchst emotional geführt wird – darin liegt denn auch das Hauptproblem. Ich wiederhole mich: Wir leben im 21. Jahrhundert, es soll jedem möglich sein, der zu sein, der er ist. Oder eben der, der er sein will. Es kann aber nicht angehen, dass diejenigen den Diskurs bestimmen, die ihr intimstes Privatleben (oder das Privatleben derer, für die sie streiten) in den Mittelpunkt rücken und sich dadurch gegen jegliche Widerrede immun machen wollen – ihre Position soll dadurch unhinterfragbar werden. Das geschieht mit einer absoluten Unbarmherzigkeit, die in einer offenen Gesellschaft nichts verloren hat.
Toleranz einzufordern setzt voraus, selbst tolerant zu sein. Doch derlei Gerechtigkeitsdarsteller kämpfen bloß vermeintlich für mehr, realiter aber für (wesentlich) weniger Diversität (der Meinungen). Nur ihr Wort, nur ihr Empfinden zählt, sonst keines. Widerspruch ist zwecklos, weil er sofort mit dem Vorwurf der Transphobie oder Diskriminierung erdrosselt wird. Ein elender Teufelskreis.
Ein bisschen weniger Selbstexhibitionismus
Ich für meinen Teil wäre jedenfalls bereit für ein bisschen weniger Selbstexhibitionismus. Mündige Bürger haben es nicht nötig, von allen anderen nicht nur toleriert, sondern auch gefördert und mit Aufmerksamkeit überschüttet werden zu wollen. Vielleicht sind wirklich die sozialen Medien Schuld daran, dass alle ständig mehr von sich Preis geben, als schön ist (mich nicht ausgenommen, Pardon!), man weiß es nicht.
Und freilich ist es jedem selbst überlassen, wie viel er der Welt von sich zeigt. Doch ob man wirklich in erster Linie danach beurteilt werden will, mit wem man schläft oder nach welchem Pronomen man sich an diesem oder jenem Tag fühlt, steht auf einem anderen Blatt. Die Frage, ob, wie und wann dieses Wissen für andere überhaupt wichtig ist, also an welcher Stelle und in welchem Zusammenhang – das wäre eine ganz eigene Debatte wert. Und diese wäre wiederum vielleicht der wesentlich emanzipatorischere Schritt. Meisterleistung.
Die Debatte darüber, was man in diesem Kontext lieber nicht sagen sollte, brodelt seit Wochen. Dazu hat auch die WELT beigetragen. Denn Vollbrecht ist Mitautorin eines in der WELT veröffentlichten Gastbeitrags, in dem öffentlich-rechtlichen Sendern vorgeworfen wurde, Kinder „im Sinne der Trans-Ideologie zu indoktrinieren“. Der Widerspruch war heftig, und das ist legitim: Man muss diese Meinung nicht teilen. Doch anders als an der Humboldt-Universität können hier keine (physischen) Sicherheitsbedenken vorgeschützt werden. Meinungsfreiheit steht über verletzten Gefühlen. Debatten müssen geführt werden, auch wenn sie schmerzen.

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