27 Juli 2022

Pro und Contra: Sanktionen gegen Russland beenden? - Eine Aufhebung der Sanktionen wäre Verrat (Cicero+)

Pro und Contra: Sanktionen gegen Russland beenden?
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Eine Aufhebung der Sanktionen wäre Verrat (Cicero+)
Sollte Deutschland seine Sanktionen gegen Russland beenden? Nein, sagt Cicero-Autor Thomas Dudek. Denn die Sanktionen zeigen zunehmend Wirkung auf die russische Wirtschaft. Zudem würde Deutschland endgültig das ohnehin angeknackste Ansehen und Vertrauen bei seinen östlichen EU- und Nato-Partnern verspielen.
VON THOMAS DUDEK am 26. Juli 2022
In diesem Text argumentiert Thomas Dudek gegen eine Aufhebung der Sanktionen. Am morgigen Mittwoch folgt ein Plädoyer des stellvertretenden Cicero-Chefredakteurs Ralf Hanselle für ein Ende der Sanktionspolitik.
Die spürbare Inflation, steigende Energiepreise, ausbleibende Gasimporte aus Russland und Meldungen über sogenannte „Wärmestuben“, die von einigen Kommunen für die Wintermonate vorbereitet werden – viele Nachrichten klingen derzeit wie ein Horrorszenario. Bei all diesen Umständen ist es verständlich, dass die Stimmen nach einer Aufhebung der von Deutschland und seinen Partnern als Reaktion auf den Angriffskrieg in der Ukraine gegen Russland verhängten Sanktionen immer lauter werden. Doch so verständlich diese Rufe auch sein mögen, so wäre solch eine Entscheidung aus mehreren Gründen ein großer Fehler.

Da wäre einerseits die Ukraine. Eine Aufhebung der Sanktionen wäre für das von Putin angegriffene Land durchaus ein Verrat. Denn man würde die Menschen, die man seit dem 24. Februar durch finanzielle, humanitäre und militärische Hilfe unterstützt, trotz aller Solidaritätsbekundungen wie eine heiße Kartoffel fallen lassen. Und wahrlich ins eigene Bein schießen würden sich Deutschland und seine Partner, wenn sie die Sanktionsmaßnahmen gegen Russland aufheben würden, ohne die finanzielle und militärische Unterstützung für die Ukraine zu beenden. Schon heute entbehrt es nicht einer gewissen Tragik, dass der Westen durch seine Gasimporte Geld in die Taschen des Kremls spült. Geld, welches es Putin ermöglicht, seine Kriegs- und Propagandamaschinerie am Laufen zu halten. Gegen die Ukraine und gegen den Westen.

Eine Aufhebung der Sanktionen würde aber auch bedeuten, dass Russland wieder auf den internationalen Märkten Feinelektronik kaufen könnte, die es dringend für seine Rüstungsindustrie benötigt. Langfristig würde das bedeuten, dass Putin auch sein Waffenarsenal mit modernerem Gerät auffüllen könnte. Das Ergebnis wären neue Raketen, Panzer und Kampfflugzeuge, die das russische Militär mit indirekter Hilfe des Westens gegen die ganzen Panzerhaubitzen, Panzer und andere Waffen einsetzen könnte, die Deutschland und seine Partner bisher an die Ukraine geliefert haben.

Russland hält sich nicht an Vereinbarungen

Was wir in Deutschland bei unserem Blick auf die stockenden Gaslieferungen, leeren Gasspeicher und steigenden Energiepreise gerne vergessen, ist die Tatsache, dass die westlichen Sanktionen auch in Russland wirken. Denn so sehr Putin sich nach außen gelassen gegenüber dem „wirtschaftlichen Blitzkrieg“ zeigt, wie er selbst die westlichen Sanktionen nennt und dabei zum Beispiel auf den Rubelkurs verweist, die Auswirkung der Sanktionen auf die russische Wirtschaft musste auch er einräumen. Nicht nur die hohe Inflation von 17,5 Prozent gab Putin zu. Dass viele russische Privatunternehmen die nächsten Monate nicht überleben werden, musste der russische Präsident ebenfalls gestehen.

Ein weiteres Argument gegen eine Aufhebung der Sanktionen, welche die russische Propaganda feiern würde wie den Sieg in einem Krieg, ist die fehlende Glaubwürdigkeit des Kremls. Denn es gibt keine Garantie, dass Russland auch nach deren Ende wieder zuverlässig Gas über Nord Stream 1 oder die Jamal-Pipeline liefern wird. Und da helfen auch nicht die Verweise auf die zuverlässigen Lieferungen aus Russland, wie sie vor dem 24. Februar üblich waren. Und dies aus mehreren Gründen. Sollte der Westen auch nach der Aufhebung der Sanktionen die Ukraine finanziell und militärisch unterstützen, ist es nicht ausgeschlossen, dass Putin dies bestraft, indem er wieder am Gashahn dreht. Und dass dem Kreml die Hilfe des Westens für die Ukraine missfällt, daraus macht er kein Geheimnis.


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Da drängt sich gleich automatisch die Frage auf, in welchen Fällen Putin Deutschland und die EU noch mithilfe von Gaslieferungen erpressen könnte. Weil ihm die Energiewende nicht gefällt? Jener oder dieser Politiker in der Regierung? Ein Wahlergebnis, das sich der russische Präsident anders vorgestellt hat? Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen weitere Morde, die der Kreml nach Beispiel des Tiergarten-Mordes in Auftrag gegeben hat? Und da helfen auch keine Verweise auf die bereits bestehenden Verträge, die Russland bis zum 24. Februar auch eingehalten hat. Denn in den vergangenen Monaten hat der Kreml wiederholt bewiesen, dass er nicht bereit ist, sich an Vereinbarungen zu halten. Was nicht nur den Krieg in der Ukraine betrifft. Obwohl Polen, Bulgarien oder die auch die Niederlande ihre russischen Gasimporte bezahlt haben, hat Gazprom seine Lieferungen in diese Länder in den vergangenen Monaten eingestellt.

Es geht auch um das Ansehen Deutschlands und die EU

Die wichtigsten Argumente gegen eine Aufhebung der Sanktionen sind aber das Ansehen Deutschlands in Europa sowie die Zukunft der Europäischen Union. Bereits der Bau von Nord Stream 1, noch mehr aber der Bau von Nord Stream 2, in Deutschland so gerne verniedlicht als „privatwirtschaftliches Projekt“ , sorgte vor allem bei den ostmitteleuropäischen Partnern für Unmut und Enttäuschung. Denn Berlin zeigte sich bei dem Thema nicht nur taub für die Bedenken aus Polen und den baltischen Staaten, sondern ihnen gegenüber teilweise auch egoistisch. Dass zum Beispiel die Rohre von Nord Stream 1 die Entwicklung des polnischen Hafens Swinemünde gefährdeten, wo Polen seit 2016 sein LNG-Terminal betreibt, weil diese die Zufahrt für Schiffe ab einem bestimmten Tiefgang gefährdeten, ist der deutschen Öffentlichkeit kaum bekannt. Dabei beschäftigten diese sogar deutsche Gerichte.

Und als ob dies nicht genug wäre, schaffte es Berlin in den letzten Monaten durch seine zögerliche Haltung endgültig, Ansehen und Vertrauen bei seinen östlichen EU- und Nato-Partnern zu verspielen. Nicht nur wegen seiner zögerlichen Haltung bei den Waffenlieferungen an die Ukraine. Schon in den Wochen vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine sorgte die Ukraine-Politik der Bundesregierung in der Region für so viel Unmut, dass man von Deutschland als einem „trojanischen Pferd Putins“ sprach. Würde nun Deutschland als einer der wichtigsten EU-Staaten die Sanktionen gegen Russland aufheben, die in Ostmitteleuropa trotz der ebenfalls zu spürenden Auswirkungen auf breite Zustimmung treffen, hätte dies weitreichende Folgen. Deutschland wäre für die dortigen Länder endgültig ein unzuverlässiger Partner. Was auch die Spaltung zwischen Ost und West innerhalb der EU vertiefen würde.

Und das ausgerechnet unter einer Bundesregierung, welche die Vertiefung der europäischen Integration im Koalitionsvertrag festgeschrieben hat. Und auch auf die deutsche Wirtschaft hätte solch eine Spaltung Auswirkungen. 2021 verkaufte Deutschland nach Ostmitteleuropa Waren im Wert von fast 180 Milliarden Euro. Nach Russland waren es Exporte für nur knapp 27 Milliarden Euro.

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