06 Juli 2022

Flugchaos Jetzt rächt sich die Illusion vom billigen Fliegen (WELT+)

Flugchaos
Jetzt rächt sich die Illusion vom billigen Fliegen
Wer billig fordert, wird billig erhalten. Eigentlich eine Binsenwahrheit, die kaum zu bestreiten ist. Deshalb ist das laute Klagen über das Flug(hafen)chaos zu Ferienbeginn scheinheilig. Denn Probleme waren programmiert. Niemand durfte allen Ernstes glauben, dass ein Geschäftsmodell nachhaltig ist, das Menschen zu einem Spottpreis von A nach B transportiert. Wenn Flugtickets nur einen Bruchteil einer Fahrkarte mit der Bahn kosten, muss eigentlich etwas faul sein. Dann werden irgendwo Kosten missachtet oder auf andere überwälzt.
Oder es werden staatliche Subventionen verschleiert, an welchen Gliedern der Wertschöpfungskette einer Flugreise auch immer – von Steuergeldern für den Bau von Flugzeugen und Flughäfen bis zur Steuerbefreiung für Kerosin. Oder die Kunden zahlen mit Qualitätsmängeln, die Zeit und Nerven kosten, so wie es nun eben in diesen Tagen der Fall ist. Auch beim Fliegen gilt eben ein Grundgesetz der Marktwirtschaft: Es gibt nichts umsonst. Irgendwer zahlt immer – schlimmstenfalls sogar mehr oder weniger unbeteiligte Dritte, wie das Klima, die Umwelt oder kommende Generationen.
Dass Fliegen zu billig ist, erkennt mittlerweile sogar einer der Pioniere der Billigflugstrategie, Michael O’Leary, seit bereits fast 30 Jahren Chef von Ryanair. Die „Financial Times“ zitiert seine Aussage, es sei absurd, dass die Fahrt in London zum Flughafen mehr koste als der anschließende Flug. Fliegen sei einfach „zu billig für das, was es ist“. Konsequenterweise kündigt O’Leary auch gleich an, dass in den kommenden Jahren Ryanair die Ticketpreise von heute durchschnittlich 40 auf künftig 50 bis 60 Euro anheben werde.
Ganz anders als der Chef einer Billigfluglinie reagiert die deutsche Politik. Da will man nicht wahrhaben, dass Fliegen teurer werden muss. Vielmehr verfolgt man weiterhin eine Billigflug-Strategie. Auch wenn die von ihren Vätern gerade aufgegeben wird. 
Anstatt mehr Leute besser zu qualifizieren und Fachkräfte in den Flugzeugen und an den Flughäfen, bei Sicherheitsdiensten oder bei der Gepäckabfertigung so anständig zu bezahlen, dass hier die attraktiven Jobs entstehen, die andernorts durch Digitalisierung, Automation und Roboterisierung verloren gehen, greift man tief in die Mottenkiste gescheiterter Politikideen zurück. Da wird tatsächlich gefordert, türkische Gastarbeiter zu holen, damit alles so schön billig bleiben könne mit den Flugreisen, wie es immer schon war.

Mehr Geschichtsvergessenheit geht fast gar nicht. Bereits einmal glaubte man, mit Gastarbeitern auf simple Weise Lücken auf dem Arbeitsmarkt schließen zu können. In den 1960er-Jahren wurden Millionen von Arbeitskräften an deutsche Fließbänder gelockt, um jene beschwerlichen Arbeiten so billig wie irgendwie möglich zu erledigen, für die sich keine Deutschen fanden. Und danach wunderte man sich, dass Menschen kamen, die nach getaner Arbeit nicht zurückkehrten, sondern bleiben wollten.

Die Folgen sind bestens bekannt. Was als billige Problemlösung gedacht war, verursachte andernorts teure Folgeprobleme. Zuwanderung lässt sich nicht passgenau nach den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes im Aufnahmeland steuern. Vielmehr folgt sie einer eigenen unplanbaren Dynamik mit langwierigen Echoeffekten in Form eines Familiennachzugs. Anders als Maschinen lassen sich Personen eben nicht so leicht, schnell und kostengünstig von oben gesteuert über das Schachbrett der Wirtschaft verschieben.

Vor allem aber missachten Forderungen nach billigen Gastarbeitern oder mehr und besser gesteuerter Zuwanderung marktwirtschaftliche Grundsätze. Man will einen Mangel nicht über Qualitäts- und Lohnsteigerungen beheben. Es soll alles möglichst billig bleiben. Aber damit verschließt man nicht nur die Augen vor den Integrationskosten, die mit einem Mehr von Zuwanderung verbunden sind. Man lehnt offenbar grundsätzlich ab, dass gute Facharbeit ihren Preis wert ist und eben nicht billig zu haben ist. Das passt zu einer Sichtweise, die auch meint, dass man einen Pflegenotstand durch eine allgemeine Dienstpflicht beheben könne.

Oder die glaubt, Soldat sein sei so einfach, dass jeder könne, der müsse. Oder die so tut, als verlange Pflege so wenig Spezialkenntnis, dass sie etwas für alle sei. Dann glaubt man eben auch, dass sich beim Fliegen Knappheitsprobleme durch Gastarbeiter lösen ließen. Wer Facharbeit derart abwertet und gering wertschätzt, schreckt alle ab, die gut verdienen wollen.

Dann wird der Mangel noch größer und das Klagen noch lauter. Die ausgelöste Spirale der Billigarbeit wird dann nämlich in der Tat zur Bedrohung. Denn wer billig sät, wird auch billig ernten. Klüger wäre es deshalb, Fliegen teurer werden zu lassen und die Beschäftigten besser zu bezahlen. Nur so lassen sich Leistung, Produktivität, Zufriedenheit und Wohlstand nachhaltig steigern.

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