07 Juli 2022

Business Class Edition: Banken: Europas stiller Abstieg

Business Class Edition: 07.07.2022

Banken: Europas stiller Abstieg
Guten Morgen,
den Abschied Europas aus der Spitze der bedeutenden Wirtschaftsblöcke darf man sich nicht wie ein Requiem mit Orgel und Streichorchester vorstellen. Die Erkennungsmelodie der vielen Teilabschiede ist vielmehr eine bedrückende Stille.
Niemand
spricht.
Niemand
weint. 
Es gibt auch keinen, der triumphiert.
Selbst diejenigen, die vom europäischen Abstieg profitieren, halten pietätvoll die Hände gefaltet.
Die Zeitenwende, um die es hier geht, hat niemand gewollt und keiner ausgerufen. Aber sie passiert. Der europäische Finanzsektor, Herzmuskel unserer ökonomischen Souveränität, schlägt immer schwächer. Wir haben es mit einem historisch einmaligen Druckabfall zu tun, der in den Medien und in der Politik keinerlei Würdigung findet. In den Medien wird aus Schlafmützigkeit, in der Politik mit Vorsatz geschwiegen. 
Hier der Befund im einzelnen:
Die Dresdner Bank, einst gemessen an der Bilanzsumme das drittgrößte Kreditinstitut Deutschlands, ist bereits 2009 verstorben. Abgehakt.
Die WestLB, ehedem die mächtigste öffentlich-rechtliche Bank im Lande, wurde in der letzten Finanzkrise dahingerafft. Requiescat in pace.
Die Commerzbank erlebt in der Teilverstaatlichung ihr Siechtum. Der Staat ist nicht ihr Animateur, sondern ihr Totengräber.
Die Deutsche Bank – und spätestens da wird die Sache relevant – rangierte 2004 noch auf Platz 6 der nach Bilanzsumme größten Banken der Welt und kämpft heute im internationalen Vergleich auf verlorenem Posten.
Auch UBS und Credit Suisse, UniCredit aus Italien, Banco Santander aus Spanien werden von den internationalen Investoren gemieden als hätten sie die Affenpocken. Ihre Aktienkurse erzählen die Geschichte einer systemischen Krankheit
Die Aktienkurse von JP Morgan Chase und Goldman Sachs sehen auffällig anders aus. Die Investoren setzen auf „the american way to do it“ – auch im Finanzsektor.Die Gründe für den Niedergang der europäischen Finanzindustrie sind nicht in der Unfähigkeit der Bankmanager zu suchen. Diesmal sind die Herren des Geldes (es gibt nach dem Abgang von Carola Gräfin von Schmettow bei HSBC Deutschland keine Frau mehr auf der CEO-Position eines relevanten Geldhauses) unschuldig. Sie haben – mit Ausnahme der Italiener – ihre Bankbilanzen in Ordnung gebracht und die Eigenkapitalquoten signifikant erhöht. Sie haben die Risiken reduziert und die Verwaltungskosten eingedämpft, auch bei der Deutschen Bank, die traditionell auf großem Fuß lebte.
Es sind die folgenden fünf Gründe, die für diesen europäischen Niedergang verantwortlich sind:

1. Der Krieg in der Ukraine und das von den Amerikanern gewollte und durchgesetzte Sanktionsregime haben Europa gegenüber den USA deutlich geschwächt. Während die USA ihre Energieversorgung unabhängig organisiert haben, hängen Europa und insbesondere Deutschland an Putins Nadel.
Die Angst vor einem russischen Energieboykott und damit vor Rezession und Firmenpleiten ist real. Eine Rezession bedeutet Zahlungsausfälle und diese schlagen direkt auf die Bankbilanzen durch. 

2. Auch ohne Krieg und Putin werden die Zukunftsaussichten Europas bei den Investoren negativ und das heißt in Wahrheit realistisch bewertet. Insbesondere die demographische Falle, die spätestens dann zuschnappt, wenn sich die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand verabschieden, dürfte zu Produktivitäts- und Vitalitätsverlusten führen.

3. Das große Versprechen eines europäischen Binnenmarktes wurde für die Finanzindustrie nie eingelöst. Nach wie vor agieren alle Nationalstaaten getrennt voneinander. Auf eine Bankenunion, einen gemeinsamen Einlagensicherungsfonds oder auch nur eine paneuropäische Bankfusion hat man sich zwischen Rom, Paris, Madrid, Brüssel und Berlin nicht verständigen können. Es finden sich tausend Gründe, den Status Quo zu verteidigen. Auch wenn es ein Status Quo auf Abruf ist.

4. Die Vermögenswerte der Europäischen Banken sind nicht so werthaltig wie behauptet. Die Profis wissen das. Sie lassen sich nicht blenden. Wenn man die Marktkapitalisierung der Banken deren Buchwerten gegenüberstellt, sieht man die Vertrauenslücke. Die meisten Europäischen Banken haben ein Kurs-Buchwert-Verhältnis von unter eins.

Laut dem Finanzportal Onvista lag das Kurs-Buchwert-Verhältnis der deutschen Commerzbank in 2021 bei 0,29, das der Deutschen Bank bei 0,39, das der italienischen UniCredit bei 0,48 und das der französischen Bank Crédit Agricole bei 0,56. Zum Vergleich: Die amerikanische Großbank JP Morgan Chase verfügte 2021 über ein Kurs-Buchwert-Verhältnis von 1,79.

Das bedeutet: Die Investoren gehen davon aus, dass im Falle einer Krise – oder auch nur einer etwas kräftigeren Zinserhöhung durch die EZB – diese Vermögenswerte in den Bilanzen dahin schrumpfen wie ein erkaltendes Soufflé.

5. Der Staat – als sei nichts gewesen – reguliert und reglementiert den europäischen Finanzsektor auf Teufel komm raus. Im Zuge der Weltfinanzkrise suchten die Banken die schützende Nähe des Staates, doch aus der liebevollen Umarmung des Retterstaates wurde ein Würgegriff

Mit vereinten Kräften wird zugedrückt. Heute müssen Banken die Anforderungen nationaler Behörden wie der BaFin, der Europäischen Bankenaufsicht, dem Einheitlichen Aufsichtsmechanismus, der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde und der nationalen Zentralbanken erfüllen. Zumindest der Bürokratieaufwand ist Weltspitze.

Fazit: Ohne einen starken Finanzsektor wird sich Europa niemals als Gegenspieler zu China und den USA entwickeln können. Doch diese geostrategische Dimension wird in Brüssel nicht gesehen und in Berlin gesehen, aber nicht verfolgt.

Es war Bayer-CEO Werner Baumann, der die EU jüngst als „Silicon Valley der Regulierung“ bezeichnete. Man wünschte, das wäre eine Übertreibung.

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