Wie konnte das passieren? Wie konnte sich unser Land derart abhängig machen von russischem Gas, von einem Despoten in Kreml, seine ganze sogenannte Energiewende auf eine Illusion bauen, die zu keinem Zeitpunkt gerechtfertigt war, schon gar nicht seit der Rückkehr des Herrn Putin ins Präsidentenamt? Der Schaden ist gigantisch, die Kosten nähern sich alleine für Deutschland dem Billionenbereich. Ganzen Branchen droht der Bankrott und Städte planen die Einrichtung von Wärmestuben.
Die Antwort ist so schlicht wie unangenehm – und sie führt weit über die aktuelle Energiekrise hinaus: Es konnte passieren, weil Deutschlands Medien, Deutschlands Journalisten es zugelassen, ja, sogar vielfach unterstützt haben. Und es ist noch lange nicht das Ende. Die eigentliche Katastrophe für Deutschland und Europa droht erst noch mit dem Zusammenbruch der Europäischen Währungsunion, dem Zerfall des Euro. Zu diesem Thema, zur deutschen Entstehungsgeschichte des Euro, hat der Autor dieser Zeilen promoviert – und das Ergebnis seiner zehn Jahre währenden Studien ist noch deprimierender als etwa zu der Frage, wie sich eine Angela Merkel 16 Jahre lang im Amt halten konnte und bis heute von den Medien angehimmelt wird.
Ein ursprünglich heiliges Tabu
Schauen wir zunächst 33 Jahre zurück. Um Frankreich die Zustimmung zur Wiedervereinigung zu erleichtern, hatte Helmut Kohl auf einem Gipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs, der im Dezember 1989 unter französischer Präsidentschaft und deshalb reichlich seltsamen Umständen, in aus deutscher Sicht regelrecht feindseliger Atmosphäre in Straßburg stattfand, dem Drängen von François Mitterrand nachgegeben und einem verbindlichen Zeitplan für die Schaffung einer Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU) zugestimmt, über die zuvor 18 Jahre lang lediglich diskutiert worden war. Gleichzeitig sollte auch eine sogenannte Politische Union entstehen, also eine Vergemeinschaftung auch der Fiskal- und Haushaltspolitik der künftigen Euro-Zone, aber von der war schon bald in Brüssel keine Rede mehr. Mitterrand wollte sie in Wirklichkeit gar nicht und hierzulande vor allem die CSU auch nicht.
Das wichtigste Hindernis für eine EWWU, die geradezu traditionelle Weigerung der Franzosen, einer Zentralbank vollständige Unabhängigkeit von den Regierungen nach dem Vorbild der Deutschen Bundesbank zu garantieren, hatten die Franzosen bereits ein Jahr zuvor zur Verblüffung der deutschen Delegation in der Delors-Kommission aus dem Weg geräumt. Als hätten sie geahnt, dass sich mit dem Fall der Mauer Ende 1989 eine historische Chance ergeben würde, die Vormachtstellung der Bundesbank für die europäische Zins- und Währungspolitik ein für allemal zu brechen.
Deren Präsident Karl-Otto Pöhl besorgte – zunächst, ohne es zu ahnen – die Abschaffung der D-Mark selbst, in dem er seine Forderungen an die anderen Notenbank-Chefs in jener Kommission weitgehend durchsetzte und der noch zu schaffenden Europäischen Zentralbank eine Machtfülle sicherte, die noch über jene des Bundesbankgesetzes weit hinausging – „erstaunlicherweise“, wie er rückblickend sagte.
Wozu diese EZB ihre Unabhängigkeit und die daraus resultierenden Möglichkeiten später dann aber nutzen sollte, zu einem dauerhaften und folgenschweren Verstoß gegen das ursprünglich heilige Tabu der Staatenfinanzierung – das allerdings überstieg damals die Fantasie mindestens der deutschen Seite. Die von den Deutschen so tapfer erkämpfte Unabhängigkeit der EZB war nicht nur nichts wert – sie ermöglichte im Gegenteil sogar erst das Vorgehen, das die Währungsunion nun in eine weitere und möglicherweise vollends unbeherrschbare Krise gestürzt hat, wie die aktuelle Wechselkursentwicklung zeigt. Der Euro ist zur Weichwährung geworden und die EZB-Präsidentin zeigt sich vollends hilflos.
Im Zeitraffer kippte die Refinanzierung weg
Ein Versuch, die galoppierende Geldentwertung durch wenigstens minimale Zins-Normalisierungen zu bremsen, endete jetzt schon wenige Stunden nach der Ankündigung in einer Krisensitzung, denn es geschah sofort zunächst das, was den Menschen vor 30 Jahren als quasi automatischer Stabilisator verkauft worden war: Die Sollzinsen des überschuldeten Mitglieds Italien stiegen im Nu an, der „Spread“, die Spreizung gegenüber den Zinsen für deutsche Staatsanleihen, schoss hoch – und Italiens Staatshaushalt kippte im Zeitraffer die Refinanzierung weg.
In seiner Panik revidierte der EZB-Rat sein Vorhaben, denn an einer Staatspleite der Italiener wollte er auch diesmal wieder nicht schuld sein. Es hätte den Verbund zerrissen. Was die Bundesregierung in teuren, aber weitgehend nutzlosen, weil unglaubwürdigen Kampagnen in den Jahren 1995 bis 1998 der skeptischen Bevölkerung erklärt hatte, nämlich, dass unsolide Haushaltspolitik der südlichen Mitgliedsländer jederzeit und sekundengenau durch höhere Zinsen bestraft werde, was zwangsläufig zu Disziplin und Besserung führen werde, erwies sich im Juni 2022 ein weiteres Mal als falsch, ja, als grober Unsinn.
Die Plakate und Broschüren des Presse- und Informationsamtes unter Helmut Kohl waren schon damals das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt wurden, und sind es heute erst recht nicht mehr. Und die Journalisten? Erst verschliefen sie das Thema, begriffen 1990 und 1991 im allgemeinen Wiedervereinigungstaumel gar nicht den Zeitenwechsel, den die Aufgabe der nationalen Geld-Souveränität bedeutete. Später verhielten sie sich ambivalent bis zustimmend (Rudolf Augstein etwa sah sich mit seiner Skepsis gegenüber den tatsächlichen französischen Motiven im eigenen Blatt isoliert und kritisiert).
Und sie warteten ab, wie sich die Mehrheitsverhältnisse und die Stimmung in der Bevölkerung in der D-Mark-Frage entwickeln würde, um sich schließlich – um den Jahreswechsel 1995/1996 – vollends auf die Seite der Befürworter zu schlagen. Schließlich handelte es sich beim Euro doch, so ihre „Haltung“, um eine Frage, die jeder überzeugte „Europäer“ nur mit ganzem Herzen unterstützen könne. Skeptiker und Wissenschaftler wurden als „Kräfte des Zweifel“ (Klaus Kinkel, FDP-Außenminister) und des Nationalismus, des „D-Mark-Chauvinismus“ verleumdet, kritische Brüssel-Korrespondenten – etwa vom damaligen Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung – kaltgestellt. Denn: Kanzler Kohl hatte nie viele Freunde in den Redaktionen, aber wenn es um Europa und den Euro ging, durfte er in den heißen Phasen mindestens mit Flankenschutz und Waffenstillstand rechnen.
Ein zutiefst anti-nationales Projekt
SPD-Chef Oskar Lafontaine startete 1996 in Baden-Württemberg noch
einen letzten Versuch, ob sich mit Euro-Skepsis eine Wahl gewinnen
ließe, scheiterte krachend und drehte ebenfalls bei. Joschka Fischers
Würdigung des Helmut Kohl als „pfälzisches Gesamtkunstwerk“ hat hier
seinen Ursprung: Wie dieser Mann den Euro, dieses zutiefst
anti-nationale Projekt, gegen alle Widerstände durchsetzte, nötigt dem
Spontifex Maximus der Grünen bis heute hohen Respekt ab. Nicht einmal,
als Kohl im Bundestag – für seine Verhältnisse kleinlaut – einräumen
musste, dass aus der von ihm hoch und heilig versprochenen
„gleichzeitigen Politischen Union“ nichts werden würde, zog die
Opposition aus SPD und Grünen ihn dafür zur Rechenschaft.
Die Risiken dieser Geldverschmelzung, die, wie eine berühmte Studie der österreichischen Wirtschaftswissenschaftlerin Theresia Theurl bereits 1992 aus historischer Sicht nachwies, scheitern wird, weil sie scheitern muss, wurden zwar in Fachkreisen lebhaft diskutiert, blieben aber im Ergebnis von der Politik weitgehend unbeachtet. Theurl schrieb schon vor Abschluss des Vertrages von Masstricht: „Alle Monetären Unionen, die keine vollständigen Politischen Unionen waren, blieben temporäre monetäre Arrangements. Sie lösten sich auf. Alle Monetären Unionen, die mit einer totalen politischen Unifikation ihrer Mitglieder verbunden waren, waren irreversibel.“
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Und später, angesichts erster Erfahrungen: „So wie sich in den Monetären Unionen des 19. Jahrhunderts die Staatshaushalte als Sprengsätze herausgestellt haben, hat sich auch die Budgetdisziplin einzelner Mitglieder der Europäischen Währungsunion als kritischer Faktor herauskristallisiert, was nicht zuletzt auf die Anreizstrukturen ihrer politischen Ordnungen zurückzuführen ist.“
Sogar Waigels „Stabilitäts- und Wachstumspakt“ von 1997, erfunden in einer Phase der Defensive – weil selbst Deutschland die Maastricht-Kriterien zu verfehlen drohte und Waigel in seiner Not die Goldreserven der Bundesbank neu bewerten lassen wollte, was ihm ein verheerendes Presseecho und ein „Avanti Dilettanti“ von Joschka Fischer einbrachte –, schadete dann in der Praxis mehr, als er disziplinierte. Dafür sorgten sechs Jahre später Kanzler Gerhard Schröder und sein Finanzminister Hans Eichel, indem sie einen Blauen Brief aus Brüssel selbstbewusst in die Tonne traten und sich damit noch brüsteten.
Eine Phalanx gegen Schäuble
Das Sanktionsmanagement entpuppte sich als kontraproduktiv. Die Finanz- und Euro-Krisen von 2008, 2010 und vor allem von 2015 gaben allen Versuchen, zu Regelbasiertheit und Vertragstreue in der EWWU zurückzukehren, den Rest. Wolfgang Schäuble, damals Finanzminister, wollte Griechenland nach Fälschungen der Haushaltszahlen für fünf Jahre aus der Währungsunion ausschliessen. Daran wurde er von einer Phalanx aus Kanzlerin Angela Merkel, der SPD, der Opposition und deutschen Medien („Minister Gnadenlos“) gehindert.
Nicht einmal in der Bundesrepublik selbst hatte solide Währungspolitik vor sieben Jahren also noch eine Lobby – eines der verheerenden Ergebnisse der Ära Merkel. Die der mehrheitlich skeptischen Bevölkerung seinerzeit gemachten Versprechungen, unser Land werde niemals für die Schulden anderer Länder haften, wurden allesamt gebrochen, denn indirekt geschieht längst genau das. Es begann mit Verzögerung, dafür nun um so wirksamer.
Bei ihrer Aufgabe als unabhängige, distanzierte und vor allem kritische Kontrollinstanz haben die Medien damit bereits in den 90er Jahren schrecklich versagt. Eine wirklich gründliche und unvoreingenommene, vor allem auch ergebnisoffene Prüfung des Vorhabens hat zu keiner Zeit stattgefunden. Wäre es anders, wären Kohl, Waigel und Lafontaine mit ihrem Plan nicht durchgekommen. Maßgeblich war immer dann, wenn Fragen und Probleme schon vor den finalen Beschlüssen zur Aufgabe der D-Mark im Frühjahr 1998 hochkochten, eine „europafreundliche Haltung“.
Von existenzieller Bedeutung für alle Landsleute
Dass sich der Euro als Anschlag auf den inneren Frieden Europas herausstellen könnte, wie es Bernd Baehring 1998 als Chefredakteur der Börsen-Zeitung formulierte, wurde als unbeachtlich abgetan. Baehring erkannte in der Verweigerung dieser öffentlichen Debatte ein „historisches Versagen der zweiten deutschen Demokratie“.
Ähnlich zur selben Zeit Arnulf Baring. Er beklagte eine Verteufelung von Euro-Kritikern. Die wenigen, die auf Risiken des Vorhabens hinwiesen, müßten sich als Nationalisten oder Reaktionäre, mindestens aber als Gegner der europäischen Einigung diffamieren lassen, sogar als „moralisch minderwertig“, indem man ihnen – so Baring – einen „Appell an niedere Instinkte“ vorwerfe. Unfaßbar sei, daß sogar Bundespräsident Roman Herzog verlangt habe, den Euro aus dem nächsten Wahlkampf herauszuhalten: „Der höchste Repräsentant unseres Staates spricht sich also dafür aus, die politische Diskussion eines Themas, das von existentieller Bedeutung für alle Landsleute ist, einfach ausfallen zu lassen!“
Der „bessere Europäer“ war für Baring tatsächlich aber derjenige, der öffentlich sage, die Währungsunion sei jetzt zu gefährlich, der die Integration wolle, aber die „absehbare Zerstörung der EU durch den Euro verhindern möchte“. Der „verläßlichere Europäer“ müsse fordern, daß der Einigungsprozeß besonnener ablaufe und die Lehren der Geschichte berücksichtigt würden.
Für Politiker ein heißes Pflaster
Keine Chance schon damals. Und heute? Nehmen wir als pars pro toto die Bundespressekonferenz, der sich als Elite verstehende Zusammenschluss der deutschen Parlamentsjournalisten. Helmut Kohl hatte dort nie ein Heimspiel; Rudolf Scharping, 1993/1994 einige Monate lang sein Herausforderer, aber ebensowenig. Bis zum Ende der Amtszeit von Gerhard Schröder war dieses Podium für alle Politiker ein heißes Pflaster. Wer Schwäche zeigte, wurde gegrillt und manchmal auch überführt. Eine ganze Reihe von mächtigen Kabinettsmitgliedern gingen als Kanzlerkandidaten oder Minister in den Saal hinein und kamen als gerupfte Hühner wieder heraus.
Das änderte sich während der Amtszeit von Angela Merkel schleichend, aber durchgreifend in einem Ausmaß, das im Hinblick auf Ursachen und Wirkungen eine eigene wissenschaftliche Studie wert wäre. Einen Höhepunkt dieser Entwicklung bildete jener Auftritt vor versammelter Presse am 31. August 2015, in dem Merkels Satz fiel „Wir haben so vieles geschafft – wir schaffen das!“
Die Kanzlerin, das zeigt in der Rückschau eine Lektüre des Protokolls jener Veranstaltung noch einmal in aller Klarheit, holte sich an jenem Mittag faktisch vorab die Genehmigung der deutschen Leitmedien für ihre Entscheidung vier Tage später, die deutschen Grenzen nicht zu schließen, sondern – wie von Welt-Journalist Robin Alexander zwei Jahre später in seinem Bestseller „Die Getriebenen“ detailliert nachgezeichnet – Artikel 16a des Grundgesetzes faktisch außer Kraft zu setzen und die Abkommen von Schengen und Dublin gleich mit.
Fassunglose Kritik der NZZ
Angela Merkel wickelte die anwesenden Journalisten in ihrer Sommerpressekonferenz gleich zu Beginn gekonnt um den Finger – und diese ließen es gern geschehen. In ihrem Eingangsstatement setzte sie den Ton nicht nur ihrer späteren Antworten, sondern auch den Ton der Fragen – und das klang so:
„Die Zahl derjenigen, die heute für Flüchtlinge da sind, die Zahl der Helfenden, die Zahl derjenigen, die fremde Menschen durch die Städte und Ämter begleiten, sogar bei sich aufnehmen, überragt die Zahl der Hetzer und Fremdenfeinde um ein Vielfaches, und sie wächst noch, auch – das möchte ich hier ausdrücklich erwähnen – dank vieler wunderbarer Berichte darüber von Ihnen, den Medien, gerade in den letzten Tagen. Ich erlaube mir ausnahmsweise einmal, sie auch zu ermutigen, genau das fortzusetzen; denn damit geben Sie den vielen guten Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit, ihresgleichen in der Berichterstattung zu sehen, damit zeigen Sie Vorbilder und Beispiele, und Sie machen wieder anderen Mut.“
Nach dem Verlauf dieser ultraharmonischen, zweistündigen Pressekonferenz, wusste sie: Von dieser Hauptstadtpresse hatte sie bei allen unmittelbar bevorstehenden Entscheidungen keinen Widerstand zu erwarten, nicht einmal kritische Anmerkungen. Vielmehr immunisierte sie ihre medial als weltweit vorbildlich gewertete Vorgehensweise in der Flüchtlingskrise auch in anderen Themenbereichen bis zum letzten Tag ihrer Amtszeit und – wie ihr Auftritt vom 7. Juni 2022 im Berliner Ensemble und das Pressecho beweisen – sogar noch darüber hinaus.
Befragen ließ sich die ehemalige Kanzlerin da von einem, das stellte Alexander Osang vom Spiegel noch in der ersten Minute klar, der sie unverändert anhimmelt: „Meine Kanzlerin wird sie sowieso immer bleiben.“ Fassungslos die Kritik von Marc Felix Serrao von der Neuen Zürcher Zeitung: „Keinerlei professionelle Distanz. Den Flötenton behielt er für den Rest des Abends bei.“ Hin und weg dagegen der Südwestrundfunk: „Osang und Merkel brillierten mit ihren Auftritten.“
Je wichtiger das Thema, desto geringer die Distanz
So zieht sich ein roter Faden von den 90er Jahren, in denen es um die existentielle Frage der deutschen Währung ging, in der unser erarbeitete Wohlstand aufbewahrt wurde, hin zur Gegenwart, was die Arbeit und das Selbstverständnis der deutschen Qualitätsmedien angeht. Je wichtiger das Thema, desto geringer die Distanz zwischen Journalisten und Politikern. Europafreundlich, flüchtlingsfreundlich, klimafreundlich soll die Haltung sein, doch die Wirklichkeit dementiert diese guten Vorsätze mehr und mehr auf das Heftigste.
Natürlich werden auch heute noch in der Bundespressekonferenz kritische Fragen gestellt. Allerdings geschieht dies zu 90 Prozent dann, wenn die Bundesregierung in einem bestimmten Bereich nach Meinung des Fragestellers nicht europafreundlich, flüchtlingsfreundlich, klimafreundlich, integrationsfreundlich – kurzum: nicht grün und links genug agiert und ehrgeizige Zeitpläne aller Art mutmaßlich nicht energisch genug verfolgt. Das führt im betroffenen Ministerium natürlich zu Rechtfertigungszwang.
Regierungen, Koalitionen, Parteien und Medien bilden damit, unterstützt von einem ähnlich gepolten, weil staatlich subventionierten Kultur- und Universitätsbetrieb, ein selbstreferentielles System, das sich in seinen Überzeugungen gegenseitig verstärkt, anstatt kontrolliert und in seinen zahlreichen und folgenschweren Irrtümern halbwegs rechtzeitig korrigiert zu werden.
Jede Putin-PK hat mehr Biss
Gerhard Schröder besitzt zwar seit 17 Jahren kein politisches Amt mehr, wird jetzt aber für seine verfehlte Haltung zu Putin und Russland gecancelt. Zur selben Zeit hat eine übergroße Koalition von CSU bis Grüne kein Problem damit, seinen nicht weniger verantwortlichen ehemaligen Minister und ersten Ratgeber Frank-Walter Steinmeier mit Vier-Fünftel-Mehrheit als Bundespräsident im Amt für fünf Jahre zu bestätigen.
Möglich war das nur, weil jener Herr Steinmeier genau wie Frau Merkel unter anderem in der Euro- und in der Flüchtlingsfrage stets die richtige Haltung bewiesen hat, die gerne auch in großen Teilen identisch sein darf mit jener der sogenannten Antifa. Demgegenüber, es ist kaum zu glauben, aber wahr, fallen eine galoppierende Inflation (die, wie im Cicero schon letztes Jahr ausführlichst nachzulesen war, sich lange vor dem russischen Überfall auf die Ukraine abgezeichnet hatte) und eine katastrophale Ostpolitik mit in ihrem Ausmaß noch gar nicht vollständig absehbaren, jedenfalls aber verheerenden Folgen für die übergroße Mehrheit der Bevölkerung offensichtlich nicht ins Gewicht.
Mussten sich die Steinmeier-Fans in allen Parteien deswegen in der Phoenix-Übertragung der Bundesversammlung vom 13. Februar auch nur eine einzige kritische Frage von den Reportern gefallen lassen? Nein, mussten sie nicht. Es herrschte mustergültige Harmonie; jede Putin-PK im Kreml hat mehr Biss.
Verletzung des demokratischen Prinzips
Aus dem Verfahren, wie ab 1990 die Währungsunion gegen den Willen der Bevölkerungsmehrheit durchgesetzt werden konnte, zogen Politik und Medien den gefährlichen Schluss, das Bemühen um Akzeptanz sei in der postmodernen Gesellschaft bei nur hinreichend komplexen Problemstellungen und einem ausreichend hohem Anteil an Vollendete-Tatsachen-Komponenten, wie sie Angela Merkel unter anderem mit ihrem Atomausstieg 2011 und ihrem Asyl für alle 2015 perfekt nachvollzog, überflüssig geworden. Vielmehr reiche es inzwischen, die jeweils thematisch relevanten Eliten und die Qualitätsmedien auf ihre Seite zu ziehen.
Diese Vorgehensweise verletzt aber grundlegend das demokratische Prinzip, obwohl es laut Karlsruhe „nicht abwägungsfähig ist, sondern unantastbar“, und zerstört es letztendlich. Medien, auch und besonders öffentlich-rechtliche, trifft der damit einhergehende und wahrscheinlich heute bereits unvermeidbare Ansehens- und Legitimitätsverlust genauso mit voller Wucht. Da sollten sich Verleger und Intendanten nichts vormachen. Und im Falle eines Zerbrechens der Europäischen Währungsunion wären auch ihre Pensionszusagen und Lebensversicherungen bestenfalls nur noch die Hälfte wert, wovon inflationsbedingte Kaufkraftverluste noch abgezogen werden müssten. Chronisches Versagen bei der grundgesetzlich geschützten Kontrollfunktion ist unentschuldbar und nimmt doch offensichtlich kein Ende.
Aber der nächste Winter kommt bestimmt. Sicher: Kritische Presse, die ernst genommen werden will, muss sich nicht unbedingt als „Sturmgeschütz der Demokratie“ verstehen. Das klang stets ein wenig zu martialisch. Wachhund, und zwar hungriger und mit allen Zähnen, würde vollauf genügen. Schmusekätzchen der Regierenden aber braucht kein Mensch. Mit dieser Haltung hat sie ihren Job verfehlt – und so wird die Presse auch schon bald ohne konsequente Korrektur behandelt werden: als überflüssig.
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